von Gerd Held
Die Arbeitskrise zeigt, in welcher Richtung eine Überwindung der deutschen Krise insgesamt zu suchen ist. Zugleich werden hier schon die Kräfte und Hebel sichtbar, die eine Rehabilitierung des Landes tragen können. (Wie Deutschland ein anderes Land wurde, Teil IV)
Die Arbeitskrise in Deutschland wird hier nicht angeführt, um sie als Übel zu beklagen und sie den Regierenden zum Vorwurf zu machen. Die Arbeitskrise ist eine Anklage gegen die im Lande herrschenden Verhältnisse. Genauer: Sie ist die richtige Antwort auf einen längeren Prozess der Entwertung von Arbeit und Leistung. Die Arbeitskrise besteht ja nicht darin, dass Arbeitsplätze fehlen, sondern dass Arbeitskräfte fehlen. Dies Fehlen ist nicht Folge einer generellen Arbeitsunlust, sondern Antwort auf eine Entwertung der Arbeit – und zwar insbesondere der sogenannten ›einfachen‹ Arbeit (Facharbeiter und angelernte Arbeiter in den verschiedensten Branchen und Sektoren). Einer Arbeit, die bei näherem Hinsehen gar nicht so ›einfach‹ ist, sondern die sich aktiv mit den Widrigkeiten und Knappheiten der materiellen Welt auseinandersetzen muss. Diese Arbeit wird heute in Deutschland – im Verhältnis zu den ›gehobenen‹ Tätigkeiten – geringgeschätzt. Sie wird als Beschäftigung für ›Verlierer‹ angesehen. Auf diese Geringschätzung wird nun seit einigen Jahren ganz praktisch geantwortet – mit einem massiven Rückzug aus dieser Beschäftigung.
von Boris Blaha
Die erste Version des Sozialismus beruhte auf den von Marx entdeckten Naturgesetzen der Geschichte. Für seine deutschen Anhänger hatte dieser gesetzliche Verlauf den großen Vorteil, dass man sich um die gegenwärtige Lage des damaligen Kaiserreichs keine großen Gedanken machen musste, denn es war ja von vorn herein ausgemacht, wo das Ganze enden würde: im Zusammenbruch der bürgerlichen, kapitalistischen Gesellschaft. Dessen war man ganz sicher. Man übernahm von den protestantischen Endzeitsekten den kommenden Weltuntergang, verkürzte die Zeitspanne und übertrug die christlichen Tugenden Glaube und Hoffnung auf die Weltrevolution. Man konnte sich daher beruhigt um wichtigere Dinge kümmern, die Entwicklung den Gesetzen überlassen und sich gemütlich auf den Tag X vorbereiten, an dem einem die volle Macht wie von selbst in den Schoss fallen würde. Der Rest war eine reine Organisations- und Modellierungsfrage, und da es sich bei den ersten Genossen überwiegend um Handwerker handelte, wussten sie, wie man das mit der Neuen Gesellschaft und dem Neuen Menschen machen muss, ein bisschen absägen hier, ein bisschen die Ecken und Kanten rund feilen dort, was vorlaut hervorragt auf ordentliches Gleichmaß zurecht stutzen und den Materialausschuss entsorgen.
von Gerd Held
Die Beherrschung der Republik durch willkürlich herbeigeführte ›Notstände‹ scheint auf den ersten Blick übermächtig. Aber es gibt andere Krisen, die eine fundamentale Schwäche dieser Herrschaft offenbaren. (Wie Deutschland ein anderes Land wurde, Teil III)
In der bisherigen Darstellung wurde gezeigt, wie Deutschland mehr und mehr in den Bann eines hochdramatischen Krisenszenarios geraten ist. Und wie dieses Szenario immer mehr auf eine negative, zerstörerische Lösung hinauslief: auf die Opferung fundamentaler Aufbauleistungen der vergangenen Jahrzehnte und Jahrhunderte. Dieser Wandel scheint übermächtig und ausweglos zu sein – nicht zuletzt deswegen, weil der größere Teil der Gesellschaft in diesem Drama nichts zu sagen, sondern nur die Opfer zu ertragen hat. Während ein anderer, durchaus beträchtlicher Sektor der Gesellschaft in diesem extremen Krisenszenario an Umfang, Macht und Einkommen gewinnt. Diese Konstellation kann zu einem Gefühl der Ohnmacht führen. Sie kann auch dazu verführen, alle Hoffnung auf eine Art Gesellschafts-Duell mit den Krisengewinnern zu setzen. Doch damit hat man noch keinen konstruktiven und tragfähigen Ausweg für das Land gewonnen. Man verkämpft sich in die Widerlegung des herrschenden Krisentheaters – und bleibt ihm doch noch verhaftet.
Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2024 Lucius Garganelli, Serie G