von Wolfgang Schütze
Anfang April schilderte Sabine Rennefanz in der Berliner Zeitung, wie sie als Journalistin aus dem Osten Deutschlands in den Presseclub des Westdeutschen Rundfunks (WDR) eingeladen werden sollte. Wer den noch nicht gesehen hat oder Sonntagmittag immer ein Schläfchen hält: In einem Kölner Studio diskutieren Journalisten regelmäßig über Themen der Zeit.
Diesmal sollte es um die Beziehung zu Russland gehen, erinnert sich die Kollegin in ihrer Kolumne. Dafür jemanden ins Fernsehen zu bitten aus dem Gebiet, das dereinst sowjetische Besatzungszone war, ist der schlechteste Gedanke nicht, den man in Köln hatte. Zwar gab es die ›unverbrüchliche Freundschaft mit den Völkern der Sowjetunion‹ überwiegend nur in Kommuniqués, privater Kontakt war eher unerwünscht, und selbst die offizielle Propaganda wurde einsilbiger, als in Moskau Michail Gorbatschow an die Macht kam, zum Fall der Mauer beitrug, was ihm im wiedervereinigten Deutschland mehr Ruhm und Ehre eintrug als Zuhause. Die Sowjetunion zerfiel, inzwischen versucht Wladimir Putin, ehemaliger KGB-Offizier in Dresden, das Imperium wieder aufzurichten, siehe russische Annektion der Krim, Stellvertreterkrieg in der Ostukraine...
Viel Stoff also zum Reden. Doch zunächst wurde Frau Rennefanz getestet. Ihrer Schilderung zufolge ging das so: Eine WDR-Redakteurin habe sie gefragt, ob sie denn die ›ostdeutsche Linie‹ vertrete.
Soweit Frau Rennefanz in ihrer Kolumne. Was sie schreibt, kommt mir bekannt vor. Man könnte denken, die Zeit sei stehen geblieben oder wiederhole sich. Denn im vorigen Jahrhundert, ja genau genommen im vorigen Jahrtausend, war ich für die Sächsische Zeitung einige Male im Presseclub. Schon Mitte der 90er Jahre erwartete die WDR-Senderedaktion von ostdeutschen Journalisten, sozusagen ›Stimme des Ostens‹ zu sein. Dass sie es, 30 Jahre nach der wiedergewonnenen staatlichen Einheit, augenscheinlich noch immer erwartet, ist mehr als irritierend.
Wenn Ostdeutsche damals überhaupt in den Presseclub eingeladen wurden, dann meist zu Themen wie Arbeitslosigkeit, Treuhand, Stasi- und sonstige Altlasten, Doping oder Neonazis. Offenbar, weil der gemeine Ostdeutsche bei diesen Themen a priori als Experte galt. Dass mir oder einem anderen ›Quotenossi‹ in der Sendung die pauschale Frage: ›Was sagt denn der Osten dazu?‹ gestellt werden würde, darauf hätte man Wetten abschließen können. Abwehrende Antworten, ich könne als Sachse, als Dresdner mir doch nicht anmaßen, für Rostock, Suhl oder gar für Berlin zu sprechen, fanden kaum Widerhall. Dass hingegen pauschal abgefragt worden wäre, was denn der Norden, der Süden oder der Westen meint, ist mir freilich nicht in Erinnerung.
Dabei war schon die DDR in ihren Grenzen kein homogener Block. Noch weniger, als sich nach der friedlichen Revolution die Unterschiede in den fünf Bundesländern und zwischen ihnen noch verstärkten. In Jena oder Potsdam werden Fragen nach der Lebensqualität zumeist ganz anders beantwortet als in der Oberlausitz oder der Uckermark. Doch bis heute ist differenziertes Betrachten vielen Medien zu anstrengend. Pauschalisieren geht schneller und spalten macht im jeweiligen Lager, in der bevorzugten Blase mehr Spaß.
Sabine Rennefanz verweist in ihrer Kolumne auch auf einen Bericht der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung. Der Studie zufolge seien in Chefetagen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, bei großen Zeitungen und Zeitschriften und selbst in Regionalzeitungen der neuen Bundesländer Ostdeutsche ›eher unterrepräsentiert‹. Mag sein, aber ist das heute, über 30 Jahre nach dem Fall der Mauer, noch entscheidend? Früher ging es nach Parteibuch und jetzt nach Herkunft? Und wie viele höhere Posten in Bayern werden eigentlich von Leuten aus Schleswig-Holstein besetzt?
Seit Jahr und Tag werden sogenannte Leitmedien der Bundesrepublik im Osten des Landes kaum gelesen. Laut dem Magazin Cicero entfallen nur etwa 2,5 Prozent der Gesamtauflage der Süddeutschen Zeitung auf das Gebiet zwischen Ostsee und Thüringer Wald. Bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sind es etwa 3,4 Prozent, beim Spiegel rund vier Prozent.
Spötter wissen warum: Wenn die doch ›auf Linie‹ sein sollten, dann ganz bestimmt nicht auf ›der ostdeutschen‹, was immer das gerade sei.