
Haltungsschäden in der Kultur
von Ulrich Schödlbauer
Zum achtzigsten Geburtstag des Dichters Thomas Körner rührte sich im deutschen Medienwald naturgemäß nichts. Naturgemäß deshalb, weil es zur Natur des Waldes gehört, dass es gerade so heraushallt, wie man hineinschreit. Einer, dem das Schreien so schwer fällt wie diesem Autor, teils, weil er die leisen Töne bevorzugt, teils, weil er der Auffassung ist, Dichtung beginne jenseits des Schreivorhangs, Öffentlichkeit genannt, und man müsse ihn erst durchschritten haben, um zu zählen, zählt natürlich nicht zu denen, die im Lande Rübezahl jetzt aber echt zählen.
von Herbert Ammon
Laut Grundgesetz bestimmt der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik. Dass Bundeskanzler Olaf Scholz in seinem Ampel-Kabinett diesen Auftrag mit Durchsetzungsvermögen wahrnähme, ist schwer zu erkennen. Die treibende Kraft in der Ampel – wie in nahezu allen Bereichen von Politik und Gesellschaft in diesem unserem Lande – sind die von unbefleckten Idealen bewegten Grünen. Dass die ökologisch-materielle Familienaffäre – für Kenner der grünen Netzwerke ein keineswegs überraschender Fall von Nepotismus – des entlassenen Energiestaatssekretärs Patrick Graichen die Grünen in den Umfragen ein paar Prozente gekostet hat, fällt politisch nicht ins Gewicht. Seit Merkel ist deutsche Politik nur noch grün. An diesem Faktum wird sich auch solange nichts ändern, wie Scholz und Lindner an der Ampel festhalten.
von Aram Ockert
Als vor 78 Jahren, am 8. Mai 1945, Deutschland endlich kapitulierte, da hätte sich von den Deutschen, für die dieser Tag ein Tag der Befreiung war, niemand vorstellen können, dass eine Mehrheit der Landsleute dies irgendwann einmal ebenso sehen würden.
Dieses Jahr ist der Tag der endgültigen militärischen Niederlage Deutschlands im 2. Weltkrieg erstmalig auch ein von der Bürgerschaft im letzten Jahr beschlossener Gedenktag in Hamburg. Ein Prélude dafür, aus dem 8. Mai einen echten Feiertag zu machen.
von Immo Sennewald
Wenn Menschen massenhaft Feindbilder übernehmen sollen, erreichen Propagandisten einer höheren Moral – egal welcher Religion oder sonstiger Ideologie – dies nur, indem sie einer hinreichend großen Zahl von Individuen Teilhabe an kollektiver Macht, an kollektivem Nutzen versprechen. Die Nazis gaben ihren Mitläufern zahllose Dienstränge und Ehrenzeichen, Kommunisten verhießen das Reich der leistungslosen Anspruchsberechtigung, das Paradies auf Erden statt im Jenseits. Zugleich zeigten sie ihren Anhängern, bei wem sie sich ihre Reichtümer, ihre Wohlfahrt holen konnten. Die Grundimpulse des Erlangens und Vermeidens wurden auf ›Mir nützt, was jenen schadet‹ fokussiert, denkende Individuen verknäuelten sich in besinnungslosem Feldgeschrei – wie die Schafe mit ›Vierbeiner gut – Zweibeiner schlecht‹ – auf Orwells animal farm oder in klammheimlicher Verschwörung zu gewaltbereiten Kollektiven. Es funktioniert immer und überall – zu besichtigen bei Putins Feldzug gegen die Ukraine, bei Extremisten jeglicher Couleur – und es funktioniert vor allem bei Kindern und Heranwachsenden.
von Lutz Götze
Seit einigen Wochen ist das neueste Sprachmodell von Open AI in Gestalt des ChatbotGPT4 auf dem Markt: Eine künstliche Intelligenz, die nicht nur – wie ihre Vorgänger – Texte erstellen soll, sondern auch Bilder. Die Hoffnungen der Befürworter der Künstlichen Intelligenz waren gewaltig: Ein Chatbot – also eine Maschine, mit der man sich unterhalten kann – könnte Tätigkeiten übernehmen, für die es keine Arbeitskräfte mehr gibt oder die den Menschen entlasten: Roboter in der Industrie und im Gesundheitswesen, Übersetzungen, Schreibarbeiten, Navigationen zu Land, zu Wasser und in der Luft. Aber eben auch Überwachungs- und Bespitzelungssysteme, keineswegs nur in China; obendrein militärische Aktionen (Drohnen). Der Mensch könnte sich, so die steile These, auf individuelle und kreative Tätigkeiten konzentrieren und die Mühsal alltäglicher Routinearbeit überwinden. Eine vollkommen neue Gesellschaft, frei von Fremdbestimmung und Sachzwängen, sei im Entstehen.
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Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2023 Monika Estermann: Lascaux