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von Ulrich Schödlbauer
Historische Darstellungen beruhen auf zwei Fragestellungen:
1. Was hätte passieren können, wenn…?
2. Was waren die auslösenden Faktoren für…?
Auf beide kann es, wie leicht einzusehen, nur hypothetische Antworten geben – im ersten Fall, weil die Frage selbst hypothetisch, im zweiten, weil der Gegenstand virtuell unendlich ist: historische Realität wird nur in Schichten zugänglich, Schichten verlangen Schnitte, Schnitte bedeuten Willkür – das heißt, spätestens an dieser Stelle fließen Interessen ein, irgendwann auch die Frage nach Schuld und Gerechtigkeit und damit das Problem der Monokausalität: Man will wissen, wer’s getan hat, und dieses Wissen ist bei komplexen historischen Vorgängen nicht zu erlangen. Das heißt, man setzt den Teil fürs Ganze und bleibt Gefangener einer Perspektive. Geschichte, so betrachtet, ist eine perspektivische Wissenschaft.
von Ulrich Schödlbauer
Dystopien sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren, vor allem dann, wenn sie im Gewand der Zeitzeugenschaft daherkommen. In gewisser Weise sind alle Dystopisten Zeitzeugen: Sie fassen ihre geballten Beobachtungen dessen, was faul im Staate Dänemark, sprich in ihrer Lebenswelt ist, zu einem konsequenten Weltentwurf zusammen und verlegen ihn in eine unbestimmt ferne Weltgegend, besser noch, in die Zukunft. Was Wolski auf seinen Seiten (im Netz wie im Buch) bietet, lässt sich als dystopische Konstruktion der Gegenwart betrachten. Sie geht von einer geheimen Vorgeschichte aus, deren Eckdaten immer bekannt waren, deren wirkliche Bedeutung hingegen in den öffentlichen Darstellungen unterdrückt blieb. Dem entspricht der Gestus des Zeitzeugen, dessen raunende Beschwörung eigener Erlebnisse sich am Ende mit der Bemühung ›allgemein zugänglicher Informationen‹ zufriedengibt.
Der Ukrainekrieg – eine Dissidentensicht
von Max Ludwig
Der Globkult-Autor Helmut Roewer hat dieser Tage eine originelle Kombination aus essayistischer Analyse und Tagebuch vorgelegt – zum seit nunmehr bereits über 900 Tage währenden Ukraine-Krieg. Das Buch besteht aus einem längeren Aufsatz zu den historischen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Ursachen des Krieges, seiner unmittelbaren Vorgeschichte, seinem Verlauf und seinen Konsequenzen auf knapp siebzig Seiten. Dann folgen 250 Seiten des öffentlichen, im Netz geführten Tagebuchs des Autors, der sich manchmal täglich, dann wieder sporadisch zu den Ereignissen im Osten Europas äußert. Gemeinsam haben beide Teile den lässig-polemischen, oftmals amüsierten Duktus, der gewissermaßen cool und distanziert über den euphorisch-angstbesetzten ambivalenten Geisteszustand des westlichen Kollektivs schreibt, wobei manchmal etwas Wehmut über den Zustand des Landes durchschimmert, dem der Autor als junger Mensch als Soldat und dann später als verbeamteter Jurist und Inlandsgeheimdienstler auf Landesebene gedient hat.
Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2024 Lucius Garganelli, Serie G