von Wolfgang Rauprich
Nachhaltigkeit ist ein Begriff, der nunmehr schon länger als drei Jahrzehnte zunächst durch umweltpolitische Debatten geistert und seit gut zehn Jahren als Allheilmittel zur Rettung der Erde vor Umweltzerstörung und Klimakollaps propagiert wird. Der Club of Rome war hierbei Vorreiter, die sogenannte Brundtlandkommission der Vereinten Nationen beförderte mit ihrem Abschlussreport Ende der 1980er Jahre seine weltweite Verwendung. Die zunehmend enge Verzahnung mit weiteren Begriffen wie Gleichheit und (soziale) Gerechtigkeit erfolgte dann im Verlauf der Ideologisierung ökologischer Themen und deren Zusammenführung mit dem schon vorher hoch ideologischen Katalog von Sozialforderungen.
Der Begriff der Nachhaltigkeit entstammt fachlich gesehen der Forstwirtschaft. Was im 18. Jahrhundert für die kursächsischen Forsten als wichtige Erkenntnis galt, nämlich nach jahrhundertelangem Raubbau den Wald über lange Zeiträume zu erhalten und wirtschaftlich zu gestalten, kann nicht einfach zum Erhaltensprinzip der Natur nach den Vorstellungen eines Gleichgewichts umgedeutet werden. Unter Nachhaltigkeit verstanden die alten Forstwirte wie Hans Carl von Carlowitz, der diesen Begriff 1713 erstmals prägte, dass stets nur so viel Holz geschlagen wird, wie man nachpflanzt, »daß es eine continuirliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe«.(Sylvicultura oeconomica, oder haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur wilden Baum-Zucht – 1713) Dabei ging es um wirtschaftliche Nutzung, die durch permanente Veränderungen stets wieder zu Ungleichheiten und zu Ungleichgewichten führt, die wiederum Erneuerung ermöglichen, diese sogar erfordern. Der heutige Nachhaltigkeitsbegriff beinhaltet nicht Verändern und Erneuern, sondern vielmehr das bedingungslose Erhalten. Schlimmer noch: die Rückführung auf ein vorindustrielles Wirtschaften, möglichst ohne Wettbewerb und Wachstum. Solche Ideen sind nicht neu, sie entstammen den ständisch verankerten feudalistischen und merkantilistischen Wirtschaftsmodellen, wurden in ihrer heutigen Form allerdings der Romantik entlehnt und sind ihrem Wesen nach zutiefst reaktionär.
Nachhaltigkeit – die Bedeutungserweiterung eines Begriffs
So erfuhr der Begriff eine erhebliche Bedeutungserweiterung im politischen Raum, die ihn weit über Umweltpolitik hinaushob. Unter der vom Club of Rome ausgegebenen Losung vom Ende des Wachstums bemächtigten sich Gegner der Marktwirtschaft jeglicher Couleur des Begriffes. Insbesondere linke Ideologen banden ihn in alte marxistische Wirtschafts- und Sozialtheorien ein und versuchten, damit eine Art Neosozialismus zu formen, der eine Gesellschaft verspricht, die Ökologie und Ökonomie harmonisiert, in der Gleichheit und Gerechtigkeit herrschen. So wurde aus einem forstwirtschaftlichen Fachterminus ein Kampfbegriff, der genauso wie Gleichheit und Gerechtigkeit in Slogans der Werbewirtschaft vorgedrungen ist, ebenso in Sonntagsreden von Politikern und schließlich in die Alltagssprache. Damit einher ging eine Verharmlosung und Simplifizierung des Inhalts bei gleichzeitiger Inflationierung.
Gerechtigkeit und Gleichheit sind zwei hohe Menschheitsgüter, um die viele Generationen gerungen und sie diversen Obrigkeiten abgetrotzt haben. Stets ging es darum, Lebensbedingungen und Zusammenleben der Menschen in ihren jeweiligen Gemeinwesen so erträglich wie möglich zu gestalten. Gleichwohl boten diese beiden Menschheitsgüter starke Ansätze, um Ideologien zu befeuern und in deren Namen Menschen aufeinander zu hetzen. Die Geschichte der Menschheit ist durchzogen von kleineren und größeren Aufständen, Revolten, von Umstürzen, aber auch von bedeutenden Revolutionen und Bürgerkriegen im Namen von Gerechtigkeit und Gleichheit. Das Problem bei derart mobilisierenden Idealen entsteht immer dann, wenn sie absolut gesetzt werden, geradeso als wären sie naturgesetzlich in der Welt und müssten nur mit aller Konsequenz durchgesetzt werden. In der Sphäre der Ideologie und des Kulturkampfes tauchen beide nur selten alleine auf denn: Die Gerechtigkeit ist eine Komplementärin der Gleichheit und Gleichheit ist die Kommanditistin der Gerechtigkeit. Weil der Komplementär bei Scheitern mit allem haftet was er hat, der Kommanditist aber nur mit dem, was er eingebracht hat, haben die postmodernen Ideologen eine Blenderin ins Feld geführt, die den Anschein erwecken soll, sie sei die ultimative Problemlöserin: die Nachhaltigkeit!
Gleichheit – wenn der Adler die Maus nicht fressen kann
Entscheidend aber ist: Sowohl für Gerechtigkeit als auch für Gleichheit gibt es keine irgendwie geartete Verankerung in der Natur, beide sind rein menschliche kopfgeborene Ideale, die wie alle Hervorbringungen der Menschen nicht von Bestand sind und am Ende den Weg alles Irdischen gehen. Und Nachhaltigkeit beruht lediglich auf einem fehlverwendeten Fachterminus. Wären Gerechtigkeit und Gleichheit naturgesetzlich begründet, dann hätte das weitreichende Konsequenzen. Dann wären nämlich Adler und Maus gleich. Der Adler müsste aussterben, weil er wegen der Gleichheit die Maus nicht fressen könnte. Aber auch die Maus müsste aussterben, da sie ihre Funktion in der Nahrungskette verlöre. Doch selbst wenn dies nicht so wäre, könnte sich auch die Maus am Ende nicht mehr ernähren. Denn wovon sollte sie dies tun, wenn doch alles gleich ist? Vertreter des Gleichheitsideals würden einwenden, dass dieses ja nur für die menschliche Gesellschaft gelte. Doch damit wäre wieder eine Ungleichheit manifestiert und eine Überlegenheit postuliert.
Der Ursprung der Gleichheitsüberhöhung beruht im Wesentlichen auf einem Missverständnis. Er ist dem Irrglauben verhaftet, dass in der Natur ein Gleichgewicht herrsche, welches zu sichern sei, weil, falls es gestört würde, dies zum Untergang des Planeten führe. Es sei der Mensch mit seinem Tun, der dieses Gleichgewicht störe, dadurch Umweltkatastrophen und Erderwärmung hervorrufe und die ohnehin vorhandene Ungleichheit in der Gesellschaft noch weiter vertiefe. Indem das Gleichgewicht wiederhergestellt werde und damit wesentliche in der wirtschaftlichen Tätigkeit des Menschen begründete Ursachen von Umwelt- und Klimazerstörung beseitigt werden, könne man auch Gleichheit und Gerechtigkeit aufrichten, zum Beispiel die Klimagerechtigkeit für alle Menschen. Genau an dieser Stelle kommt die Nachhaltigkeit ins Spiel. Die geradezu hyperinflationäre Verwendung dieses Begriffs in der veröffentlichten Debatte um Klimaschutz, Kampf gegen CO2 und andere Themen bis hin zum ›Nullwachstum‹ darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich dabei um einen Pappkameraden handelt, der mit all diesen Großthemen nichts zu tun hat.
Wärmetod – Zustand der vollkommenen Gleichheit
In der Natur sind Ungleichheit und Ungleichgewichte entscheidende Voraussetzungen für jegliche Entwicklung. Das gilt in der sogenannten unbelebten wie in der belebten Natur, wo es genau solcher Widersprüche bedarf, wie ein Blick in die Evolutionsgeschichte, aber auch der Blick in den Mikrokosmos leicht vermitteln kann. In den Atomen der Elemente ist es beispielsweise die ungleiche Verteilung von Elektronen auf ihren Bewegungen um den Atomkern, die neue Verbindungen entstehen lässt. Chemische Reaktionen setzen Ungleichheit beziehungsweise Ungleichgewicht geradezu voraus. Dort, wo dieses nicht besteht, muss es durch Energiezufuhr erzeugt werden, um eine Reaktion herbeizuführen und damit eine neue chemische Verbindung herzustellen. Gleichheit steht hier dem Wärmetod näher und Nachhaltigkeit wäre dessen kleine Schwester, wenn man dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik folgt. Der Wärmetod stellt einen Zustand der vollkommenen Gleichheit dar, der Entropie. Es ist zwar schwierig, menschliches Verhalten und gesellschaftliche Zusammenhänge mit physikalischen Gesetzen erklären zu wollen, bei genauem Hinsehen liegen jedoch die Analogien zu naturgesetzlichen Prozessen klar auf der Hand. Und das ist kein Zufall oder eine Schöpferlaune, sondern weist lediglich darauf hin, dass jegliche Materie und jegliche Existenz in unserem Universum einen einzigen Ursprung hat, der physikalisch begründet ist, und in der Evolution zur Entfaltung gebracht wurde und vor allem sich weiter entfaltet.
Postmoderne Priorität des Erhaltens vor dem Verändern
In der heutigen Engführung einer immer stärkeren Gewichtung des Erhaltens der Natur vor dem Verändern prägt den (postmodernen) Nachhaltigkeitsbegriff insbesondere in Deutschland, wo er zu einer zentralen Forderung der grünen Ideologie erhoben wurde, die letzten Endes Menschen zu einer entsagenden Lebensweise bekehren will. Die unstrukturierte, als Energiewende bezeichnete Sturzgeburt, die angestrebte sogenannte Dekarbonisierung und der Kampf gegen die individuelle Mobilität, insbesondere gegen die Technologie des Verbrennungsmotors, kennzeichnen den zerstörerischen Charakter solcherart Nachhaltigkeit.
Es ist ein Vernichtungswerk gegen die energetische Basis der Menschheit. Dekarbonisierung bedeutet nichts anderes als jegliche Energieerzeugung durch Kohlenstoffnutzung auszuschließen. Das heißt weder Kohle, Erdöl noch Erdgas oder andere organische Rohstoffe sollen zur Energieerzeugung genutzt werden. Da auch die Kernkraft ausgeschlossen wird, bleiben bis auf weiteres nur die volatilen Energieträger Wind und Photovoltaik sowie als einziger stetiger Energieträger die Wasserkraft übrig. Vorerst stehen andere Alternativen wie zum Beispiel Kernfusion nicht zur Verfügung und konventionelle chemische Energiespeicher sind längst an ihren physikalischen Grenzen angelangt. Andere Speichertechnologien wie beispielsweise ›Power to Gas‹ scheitern an ihrem geringen Wirkungsgrad. Bei diesem Verfahren wird Elektroenergie elektrolytisch in Wasserstoff transformiert, um diesen in einem weiteren chemischen Prozess in Methan umzuwandeln und ins Erdgasnetz einzuspeisen. Bei Bedarf soll von dort in Gaskraftwerken wieder die Rückführung zu Elektroenergie erfolgen. Derart verlustreiche ›Nachhaltigkeit‹ lässt kaum einen Zweifel daran, dass eine solche Technologie nicht den Schritt zu einer praktikablen Anwendung schaffen wird. Würde man diesen Weg weiter beschreiten, zöge das den Untergang ganzer Industrien nach sich und mit ihnen den der davon abhängigen modernen Gesellschaften.