von Henning Eichberg

Die Einteilung des politischen Felds in eine Rechte und eine Linke hat sich im Zuge der Moderne – seit zweihundert Jahren – als ein stabiles Muster herausgebildet. Es hat bislang allen Einwänden, die gegen den Dualismus erhoben wurden, und allen Differenzierungen und Versuchen eines ›dritten Wegs‹ getrotzt.

 Die Linke und die Rechte werden in der Regel unter dem Aspekt ihrer Ideologien und Ziele unterschieden (Bobbio, 1994). Oder auch unter dem Aspekt der von ihnen repräsentierten Interessen. Beide Verfahren, so sinnvoll sie sind, greifen jedoch zu kurz. Und sie stehen im übrigen, insofern sich damit der Focus auf den intellektuellen Überbau richtet, im Widerspruch zur materialistischen Methode, die die Praxis der Menschen zum Ausgangspunkt nimmt. Hier lohnt sich durchaus ideologiekritische Skepsis im Sinne von Karl Marx. Was aber ist Praxis?

Ein alternativer Zugang wäre möglich vom Menschenbild her, wenn dieses nicht als ideologische Gedachtheit verstanden wird, sondern als Abbild von Praxis. Was ist der Mensch – von seinem Tun her gesehen?

Hier stehen einander zwei Praxisformen gegenüber. Sie lassen sich von der Kommunikation und von der Arbeit her beschreiben.

Als kommunizierendes Wesen stellt der Mensch entweder etwas fest, oder aber er stellt Fragen – Fragen des Wunderns oder Fragen des Infragestellens. In unserer Schrift stehen der Punkt (oder das Ausrufezeichen) der Feststellung einerseits und das offene Fragezeichen andererseits einander gegenüber. So ist es! – ist es so? Das eine schliesst ab, das andere öffnet – oder es drückt Zweifel aus.

Als schaffendes, kreatives Wesen arbeitet der Mensch entweder, er produziert Sachen oder Dienstleistungen. Als Produzent ist seine Aktivität zielstrebig auf Resultate gerichtet. – Oder aber der Mensch spielt. Beim Spiel des homo poeticus und des homo ludens ist der Prozess wichtiger als das Ergebnis und besteht aus einem Suchen, einem tentativen ›Fummeln‹, einem Hin-und-Her des Versuchens.

Die beiden widersprüchlichen Verhältnisse sind miteinander verbunden – der Widerspruch zwischen Spielen und Arbeiten mit dem Widerspruch zwischen Fragen und Antworten (Eichberg, 2016). Spiel kann nämlich als eine Art des Fragens verstanden werden. Im Spiel stellen wir Fragen an die Welt: an den Ball, an den Würfel, an die Karten in der Hand, an den Zufall, an die menschliche Geschicklichkeit… Spielend stellen wir Fragen an die anderen Menschen, an das Vermögen der Mitspieler oder der Gegenspieler. Und nicht zuletzt enthält Spiel Fragen an uns selbst, an uns als Spieler und unser Können, unser Wollen, unser Fühlen – wer bin ich hinter der Maske? – Produktion kann hingegen als eine Art des Antwortens oder Behauptens verstanden werden: Sieh mal her, das kann ich! Hier ist das Ergebnis! Hier ist das Produkt!

Richtig und linkisch

Die Rechte und die Linke scheinen nun zu diesen Widersprüchen ein asymmetrisches Verhältnis zu haben. Die politische Rechte legt den Nachdruck auf das Tun – Sebastian Haffner (1980) hat in diesem Zusammenhang auf die rechte Hand als die Hand des Tuns verwiesen. Die Rechte ist insofern produktivistisch. Und man traut rechten Politikern in der Regel auch eher zu, Dinge zu machen und Aktivitäten wirklich durchzuführen. Die Rechte hat darüber hinaus ein engeres Verhältnis zur Macht, die ja Nachdruck auf die Behauptung legt: So ist es richtig! Richtig und rechts hängen nicht nur sprachlich zusammen. Also steht die Rechte nicht nur der ökonomischen Macht nahe, sondern auch der Macht als einer anthropologischen Gegebenheit: Stell keine dummen Fragen – arbeite!

Die Linke ist dagegen eher fragend: Sind die Verhältnisse wirklich so? – Die Linke bewegt sich historisch immer näher bei der Kritik, bei einem Infragestellen und Wundern: Stimmt denn das überhaupt? – Das Fragen mag bisweilen das Handeln beeinträchtigen, und dies insbesondere, wenn die Linke an der Macht ist. Man hat das mit der linken Hand verglichen, mit dem linkischen Handeln. Links und linkisch hängen nicht nur sprachlich zusammen. Oder aber: Wenn die Linke an der Macht ist, rückt sie in der Regel nach rechts, d.h. sie wird in der Handlungs- und Machtposition selbst antwortend, behauptend, entscheidend, dezisionistisch.

In ihrem Ausgangspunkt – dem Fragen, der Verwunderung, dem Infragestellen – steht die Linke hingegen zugleich dem Spiel nahe. Dadaismus, Surrealismus und Situationismus waren linke Strömungen, die das Spiel für Kunst, Politik und Weltverständnis fruchtbar gemacht haben (Dreßen, 1991).

Die skizzierte Zweiteilung sollte allerdings nicht ihrerseits als eine Behauptung verstanden werden. Sie ist selbst eine Frage, eine Suchmaschine: Kann man das so sehen? Und mit welchen Konsequenzen?

Und mit solchen Fragen richtet sie die Aufmerksamkeit nicht zuletzt auch auf Phänomene, die mit dem dualen Muster im Widerspruch stehen mögen.

So bildeten sich auf der Rechten im frühen 20. Jahrhundert eigentümliche politische Spielformen heraus: Man spielte Soldat. In Anknüpfung an die Pfadfinderei, inszenierte man sich rechts mit Uniformen, Marsch, Gesang, Spielmannsmusik und sonderbaren Grussformen – Faschismus als Theaterspiel. Und doch gab es weder ein spezifisch ›faschistisches Spiel‹ (wie es zum Beispiel einen faschistischen Sport gab) – noch ein faschistisches Fragen. Die rechte Sprache war und blieb die des Behauptens, der Dezision und des Befehls.

Auch auf der Linken gab es Entwicklungen, die die Simplizität des politischen Musters fraglich erscheinen lassen. Mit einem Ausgangspunkt im späteren Marx entwickelten sich linke Diskurse, die den Menschen primär als Produzenten erscheinen liessen. Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse bestimmten das Bild – ein theoretischer Produktivismus. Er manifestierte sich später praktisch – and der Macht – als ein Kommunismus der Arbeitskaserne. Auch hier gab es zwar einen kommunistischen Sport (der sich als Produktion von Resultaten und Rekorden vom bürgerlichen Sport nicht unterschied), aber kein kommunistisches Spiel. Die spielerischen Formen der Linken – wie sie etwa im Proletkult erschienen waren – wurden liquidiert.

Rechts-links als Antworten-Fragen und Arbeiten-Spielen ist also kein feststehendes Muster. Sondern es unterliegt historischer Veränderung.

Rechts, links und Entfremdung

Aber auch das dualistische Muster als solches ist historisch zu befragen und zu relativieren. Es wäre sowohl historisch als auch soziologisch problematisch, den Dualismus als eine anthropologische Konstante anzunehmen. Die politische Gegenüberstellung von Rechts und Links ist nicht älter als zweihundert Jahre, mit Vorläufern im ausgehenden 18. Jahrhundert. Also kann sie nicht unvermittelt von anthropologischen Konstanten wie der rechten und der linken Hand, dem Antworten und Fragen, dem Arbeiten und dem Spielen hergeleitet werden.

Im ausgehenden 18. Jahrhundert begann, gleichzeitig mit den ersten Andeutungen des modernen Links-Rechts-Dualismus, ein Empfinden für das, was wir seitdem Entfremdung nennen. Zuerst zum Ausdruck gebracht wurde das Fremdsein in der Welt bei Rousseau, Herder, Goethe und den Romantikern, bevor Karl Marx den Begriff der Entfremdung in Philosophie und Sozialkritik verankerte. Damit ist nicht gesagt, dass wir nun definitiv wissen, was Entfremdung sei. Aber die Frage danach erhob sich, und seitdem immer wieder – und zwar von der kulturellen Linken her.

Damit verband sich auch immer wieder die Frage nach dem Gegenbild gegen die Entfremdung. Ist es – wie man mit Marx hoffen kann, die Revolution – aber wie ist das möglich, ohne in eine erneute Entfremdung im Zeichen von Guillotine und Konzentrationslager abzustürzen? – Oder ist es soziale (nationale) Identität – aber wie ist das möglich ohne Exklusion von ›anderen‹? – Und wenn Entfremdung zusammenhängen sollte mit der Beschleunigung, mit der Akzeleration unserer Lebensverhältnisse (Rosa, 2010) – wäre dann das Gegenbild die Dezeleration?

Oder ist es vielleicht das Spiel, in dem wir uns ja doch wohl als nicht-entfremdet erleben – sei es in der Kunst oder im Tanz oder im simplen Umgang mit dem Ball?

Wie auch immer, jedenfalls ist es der spezifisch moderne, historisch-gesellschaftliche Hintergrund, die Industriekultur, vor der das Gegeneinander von Rechts und Links auf der politischen Bühne erschien. So wie in dieser gesellschaftlichen Situation das Spiel als Gegenüber der Entfremdung seine spezifisch moderne industriekulturelle Bedeutung erhielt, so auch die fragende und infrage stellende Linke gegenüber der produktivistischen Rechten. Ist die Linke also insofern ein Jux? In einer Zeit, in der die Selbstvernichtung der Menschheit durch produktivistisches Schaffen und globalen Kapitalismus als eine reale Möglichkeit erscheint, ist vielleicht die Frage selbst ein makabrer Jux – mit Tiefgang?

Literatur

BOBBIO, NORBERTO 1994: Destra e sinistra. Ragioni e significati di una distinzione politica. Rom: Donzelli, 2. rev. Aufl. – auf Deutsch: Rechts und Links. Gründe und Bedeutungen einer politischen Unterscheidung. Berlin: Wagenbach 2004
DRESSEN, WOLFGANG, DIETER KUNZELMANN & ECKHARD SIEPMANN 1991 (Hrsg.): Nilpferd des höllischen Urwalds – Spuren in eine unbekannte Stadt – Situationisten, Gruppe SPUR, Kommune I. Berlin: Werkbund-Archiv & Gießen: Anabas
EICHBERG, HENNING 2016: Questioning Play. What play can tell us about social life. London: Routledge
HAFFNER, SEBASTIAN 1980: »Rechts und links.« In: Der Monat. – Nachdruck in: Haffner: Im Schatten der Geschichte. Historisch-politische Variationen aus 20 Jahren. Stuttgart: DVA, 4. Aufl.1985, 231-234
ROSA, HARTMUT 2010: Alienation and Acceleration. Towards a Critical Theory of Late-Modern Temporality. Århus: Aarhus University Press.

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