von Rainer Paris

Deutschland steht auf gegen den Hass! Dies allerdings nur in einer Richtung, im ›Kampf gegen rechts‹. Und es ist ja richtig: Die AfD, ihre Anhänger und vermutlich ein Großteil ihrer Wähler hassen die Grünen. Aber die Grünen, Linken und Feministinnen hassen die AfD noch viel mehr! Sie bildeten schon das Hasszentrum der Gesellschaft zu einer Zeit, als es die AfD noch gar nicht gab. Wenn Frauen, Homosexuelle und Ausländer human höherwertig und von vornherein bessere Menschen sind, ist es mit einem gedeihlichen Zusammenleben vorbei. Die Guten hassen die Bösen und fühlen sich dabei im ›Überrecht‹.

Tatsächlich ist dieser angeblich humane und emanzipatorische Hass für die Gesellschaft ungleich gefährlicher, hat er doch bereits seit Jahren kulturell das Sagen und ist aktuell zumindest teilweise auch politisch an der Macht. Nicht so sehr die Demokratie, wohl aber die Gesellschaft ist in einem existenziellen Sinne bedroht, wenn sie von hasserfüllten linken und rechten Fanatikern am Ende zerrieben wird.

Dass die ›Gutmenschen‹ in Wirklichkeit oftmals Hassmenschen sind, ist in der Vergangenheit weithin verharmlost oder ignoriert worden. Solange sie nur ihre eigene Vegansuppe kochten, konnte man das ja noch hinnehmen. Nennenswerter Widerstand regte sich erst, als sie damit begannen, Nägel mit Köpfen zu machen, also irreversible Tatsachen zu schaffen und ihre ideologischen Vorstellungen allen anderen aufzuzwingen. Beispiele sind etwa die monströse Verhässlichung Deutschlands durch Windräder oder die Verrenkungen der ›Gendersprache‹. Mehrheiten lassen sich von extremen Minderheiten nur eine Zeit lang auf dem Kopf herumtanzen. Von bigotten Puristen, die im Übrigen von den realen Problemen oft kaum eine Ahnung haben, lässt man sich nicht gerne bevormunden und herumkommandieren.

In dieser Verschiebung der moralischen Wertung liegt übrigens bereits ein gewisses Rezept der Gegenwehr. In jedem Fall wäre schon viel gewonnen, wenn sich die soziale Ächtung des Hasses nicht nur auf den rechten, sondern auch auf den linken und feministischen Hass erstrecken würde.

Doch wie war es überhaupt möglich, dass eine selbsternannte ›Moralelite‹, die in Wirklichkeit gar nicht moralisch – wirkliche Moralität interessiert sich für Dilemmata und Tragik – und auch keine Elite, jedenfalls keine Leistungselite ist, eine derart dominante Stellung erringen konnte? Die Antwort darauf liegt in dem, was zu Zeiten von ’68 einmal als Politisierung des Alltags gefordert wurde und heute bis in die letzten Nischen der Gesellschaft Realität geworden ist. Dass das Private politisch sei – von dieser ursprünglich feministischen Parole ist heute fast jeder überzeugt. Ob Mülltrennung, Mobilität oder Essgewohnheiten, ja das Individuellste überhaupt: die Sexualität – nichts entgeht der moralisierenden Einordnung nach groben sozialen oder politischen Rastern. Tatsächlich ist die beobachtbare Polarisierung der Gesellschaft vor allem eine alles durchdringende Politisierung der Gesellschaft, in der keine private Äußerung oder Alltagsgewohnheit davor gefeit ist, politischen oder moralischen Rechtfertigungszwängen ausgesetzt zu sein und die auf diese Weise jeder Unbefangenheit beraubt wird.

Sebastian Kleinschmidt hat diesen Zusammenhang in einer Gedichtinterpretation einmal schön formuliert: Die Liebe vereint, das Leben entzweit, und nichts entzweit so sehr wie die Politik. Wo das Private immer schon politisch ist, wird es unweigerlich zerstört. Alles Leichte und spontan Selbstverständliche muss fortan legitimiert werden und steht unter Verdacht. Dass der Hass der politischen Lager diesen Prozess enorm und unwiderruflich vorantreibt, liegt auf der Hand und kann im Grunde niemand verwundern.

Im Übrigen gilt: Auch hassen ist menschlich. Die Fähigkeit und Bereitschaft zum Hass gehören zur Conditio humana. Der Hass kann ja unter Umständen gute Gründe haben, das Problem ist: Hat er sich einmal festgesetzt, greift er jeden Grund, also auch schlechte und sehr schlechte Gründe begierig auf, die er dann, oftmals bis zur Unkenntlichkeit, untrennbar miteinander vermischt. Notwendig ist deshalb vor allem der Versuch, die Gründe trotz aller Hindernisse wieder zu entmischen. Wenn man den Hass dazu bringen kann, seine Gründe offenzulegen, so ist das oft schon die halbe Miete und funktioniert als eine Methode der Abhilfe. Denn über Gründe kann man ja streiten.