von Wolfgang Kruse
Warum Andrea Nahles' Vorschlag eines ›Sozialerbes‹ ein Schritt in die richtige Richtung ist, aber nicht weit genug geht.
Die Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen kreist neben den Fragen der Finanzierbarkeit grundsätzlich um zwei Problemkomplexe: Was ist das Ziel? Welche Gefahren sind damit verbunden?
Seine Befürworter argumentieren vor allem, dass die moderne Technologie Arbeit tendenziell überflüssig mache und deshalb eine Lebensgrundlage unabhängig von der Erwerbstätigkeit geschaffen werden müsse. Die Gegner dagegen befürchten eine dauerhafte Alimentierung unproduktiver Bevölkerungsteile, die aus dem weiterhin auf Erwerbsarbeit gegründeten gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt werden. Beide Denkweisen sind nicht per se abwegig, aber jeweils spekulativ und greifen zu kurz. Im Kern geht um vielmehr um Grundfragen gesellschaftlicher Ordnung, um ihre rechtliche Begründung und Praxis.
Als der große Vordenker der modernen Demokratie, Thomas Paine, nach seinem Engagement in der Amerikanischen Revolution 1792 als französischer ›Ehrenbürger‹ in den Nationalkonvent gewählt, im Jahre 1796 sein Projekt eines ›Grundeinkommens‹ vorstellte, stützte er sich auf eine genuin naturrechtliche Konstruktion, deren Hauptbezugspunkt der ursprünglich gemeinsame Besitz aller an Grund und Boden als wesentlicher Lebensgrundlage der vorindustriellen Gesellschaft war. Paine unternahm den Versuch, zwei verschiedene Rechtstitel miteinander zu verbinden: Auf der einen Seite sah er die persönlichen Besitzansprüche der privaten Eigentümer, deren Kultivierungsleistungen er hoch schätzte und gesichert sehen wollte. Auf der anderen Seite aber standen die Verlierer im privatwirtschaftlichen Konkurrenzkampf, deren Nachkommen in unverschuldete Besitzlosigkeit geboren wurden und die dafür aus seiner Sicht ein Anrecht auf Entschädigung ihres Verlustes am ursprünglich gemeinsamen Grund besaßen. Als Instrument dafür schlug Paine, dessen Denken grundsätzlich auf die Verbindung zwischen bürgerlicher Autonomie und gesellschaftlichem Zusammenhang zielte, eine Art ›Sozialerbe‹ vor: Finanziert aus Erbschaftssteuern, sollte neben einer regelmäßig zu zahlenden Alterssicherung jedem volljährig werdenden Staatsbürger ein Starteinkommen ins selbständige Leben ausgezahlt werden. So wollte Paine einen immer wieder zu erneuernden, innergenerationellen Ausgleich der persönlichen Startchancen jedes einzelnen in einer modernen, auf Eigeninitiative gestützten Bürgergesellschaft gewährleisten.
Zweifellos kann man argumentieren, dass der moderne Wohlfahrtsstaat neben der Sozialpolitik auch vielfältige Formen des ›Sozialerbes‹ praktiziert, vom Bildungsbereich über die öffentliche Infrastruktur bis zu den Sozialversicherungen. Doch neben kollektiv angelegten, staatlich-öffentlichen Institutionen ist es heute tatsächlich an der Zeit, auch persönliche Formen des ›Sozialerbes‹ jenseits von staatlichen wie von familiären Leistungen in Erwägung zu ziehen. Das von Thomas Paine skizzierte Modell eines Grundeinkommens hat dafür gegenüber den bisher üblicherweise diskutierten Formen zwei große Vorteile: Zum einen konstituiert es einen historisch begründeten persönlichen Rechtsanspruch, der heute zwar nicht mehr unmittelbar auf Grund und Boden zurückgeführt, wohl aber ähnlich generationell mit der immer wieder zu erneuernden Beteiligung an den Werten und Lebenschancen einer Nation begründet werden kann; wir gehen ja unabhängig von Schuldfragen auch von einer gemeinsamen Verantwortung für die Abgründe der deutschen Geschichte aus. Zum anderen zielt das Grundeinkommen in der von Paine konzipierten Form nicht auf eine dauerhafte Alimentierung aller ab, sondern auf die eigenverantwortliche Nutzung durch selbständige Bürger.
Insofern geht der Vorschlag von Andrea Nahles in die richtige Richtung. Wenn man sich dabei allerdings ernsthaft auf die Begründung Paines stützen möchte, dann macht es keinen Sinn, die Umsetzung in Form eines ›Erwerbstätigenkontos‹ anzulegen, das schon begrifflich den Kreis der Bezieher einschränkt und aus dem nur für staatlich vorbestimmte Zwecke Mittel abgerufen oder gar beantragt werden können. Rechtsansprüche selbständiger Bürger sollten vielmehr grundsätzlich ihrem freien Willen zur Verfügung stehen.
(Bildquelle: wikimedia commons)