von Herbert Ammon
Die erste Information über das von einem Amoktäter angerichtete Massaker in Nova Scotia erhielt ich am Vormittag des 20.4.2020 durch NPR Berlin. Der Reporter kommentierte die Nachricht von der die Irrsinnstat: Derartige Geschehnisse seien für ein Land wie Kanada eigentlich ungewöhnlich. Das ist nicht falsch, es hat – vor dem Hintergrund der von weniger Gewaltsamkeit geprägten kanadischen Geschichte – mit den im Vergleich zu den USA strengeren Waffengesetzen des Landes zu tun. Über die Motive des Mordschützen zu spekulieren, ist hier nicht der Ort. Immerhin ist denkbar, dass er sich von einem im Februar dieses Jahres in Halifax, der Hauptstadt der Provinz Neuschottland, gerade noch verhinderten Anschlag inspirieren ließ, als drei Männer am Valentinstag Rache an Frauen und/oder dem Feminismus nehmen wollten.
Falls dies zutreffen sollte, läge es nahe, auch in Kanada die Tat als politisches Verbrechen zu klassifizieren, das ›von rechts‹, genauer: von der – gemäß dem etablierten Begriffsraster – am rechten Rand des politischen Spektrums grassierenden Hassideologie, angetrieben worden sei. In Deutschland wird derzeit ›rechte‹ Ideologie als Tatmotiv für drei innerhalb eines halben Jahres verübte Mordtaten genannt: für den an Zufällen gescheiterten, gleichwohl in zwei Morden gipfelnden Anschlag auf die Synagoge in Halle, den Mord an dem hessischen CDU-Politiker Walter Lübcke sowie das Massaker an neun Menschen in Hanau.
Selbstverständlich geht es nicht darum, einen Zusammenhang zwischen ideologischen Motiven und den letztgenannten Mordaktionen grundsätzlich in Frage zu stellen. Unzweifelhaft ist dieser Zusammenhang bei dem Mord an dem CDU-Politiker Lübcke. Der Täter bewegte sich unmittelbar – und nicht nur im Internet – in neonazistischen, rechtsextremistischen Kreisen. Jeweils anders liegen die beiden anderen Fälle. Stephan B., der demnächst in Halle vor Gericht stehen wird, bekannte sich zu seiner antisemitischen Weltsicht und äußerte sein ›Bedauern‹ darüber, dass er aus Versehen auch einen ›echten‹ Deutschen erschossen habe. Ohne Frage ist auch dieser Mann von rechtsextremen Denk- und Gefühlsmustern beseelt. Eine lebenslängliche Strafe für seine verbrecherische Tat (und die angestrebte Mordtat) ist ihm sicher. Nichtsdestoweniger gilt festzuhalten, dass er als – offenbar menschlich völlig isolierter – Einzeltäter handelte, dessen einziger Kontakt zur Außenwelt über das Internet stattfand, wo er mit Gesinnungsgenossen im globalen Idiom eines ›broken English‹ seine Hassvorstellungen befestigte. Dass der Mann bei seinem Mordunternehmen mit selbstgebastelten Waffen und einem Videoset auf dem Kopf agierte und aller Welt – und insbesondere seiner Internet community – seine Heldenrolle vorführen wollte, kennzeichnet ihn als Psychopathen (was vor Gericht gleichwohl nicht als hinreichender Grund für eine Schuldunfähigkeit anerkannt werden dürfte). Eindeutig ist der Fall bei dem Killer von Hanau: der Mann litt unter Wahnvorstellungen, die er bereits Monate vor seiner – nunmehr an Migranten verübten – Mordaktion öffentlich zum Vorschein brachte (zum Vergleich: siehe)
Gilt es bei bei der Einordnung der drei genannten Verbrechen zu differenzieren, so handelt es sich bei deren Einordnung in die Kategorie ›anwachsender Rechtsextremismus‹ um ein reduktionistisches Verfahren. Der Zusammenhang zwischen individueller Motivstruktur und ›politischen‹ Impulsen von außen, von subjektivem Wahn und gesellschaftlich grassierenden Ideologien ist keineswegs so einfach zu ergründen wie es in der publizistischen Aufbereitung – und schlimmer noch: in der politischen Zwecknutzung – der entsetzlichen Geschehnisse kontinuierlich geschieht. Schon gar nicht wird in derlei tagespolitisch aufgeladenen Simplifikationen die Frage nach der condition humaine und dem im Wahn verwurzelten ›Bösen‹ gestellt.