von Gunter Weißgerber
Sie haben mich um eine Rede zur jüngeren Geschichte gebeten. Gern komme ich dem nach. Manches wird sie überraschen, vielleicht auch erfreuen, einigen Aussagen mögen Sie vielleicht nicht folgen.
Das geht vielleicht schon mit dem Weg in die Friedliche Revolution los.
Helmut Kohl führte nach 1982 den deutschlandpolitischen Weg von Brandt/Scheel und Schmidt/Genscher fort. Brandts »Wandel durch Annäherung«, der Grundlagenvertrag, Schmidts KSZE-Engagement und dessen Idee der Doppelten Nulllösung – all das nahm Kohl auf. Auf den Punkt gebracht: Ich bin Schmidt für die Doppelte Nulllösung genauso dankbar wie ich Kohl für die Durchsetzung des NATO-Doppelbeschlusses zu danken habe.
Anders ausgedrückt, der Widerstand der Unionsparteien gegen die Neue Ostpolitik hatte mich genauso geärgert, wie mich das »Gemeinsame Papier von SPD und SED« von 1987 noch heute auf die Palme zu bringen vermag.
Wie war das mit dem real existierenden Sozialismus in der DDR als Vorstufe zum Kommunismus?
von Felicitas Söhner, Anne Oommen-Halbach, Heiner Fangerau
Der britische Historiker Timothy Garton Ash bemerkte einmal: »1989 war das bedeutendste Jahr der Weltgeschichte seit 1945« (Ash 2009). Zumindest für die deutsche Geschichte mag das zutreffen. Das Jahr der Wiedervereinigung, das auch über Deutschlands und Europas Grenzen hinaus zu tiefgreifenden gesellschaftlichen Transformationsprozessen führte, jährt sich 2019 zum 30. Mal. Die Generation der heute lebenden Jugendlichen und jungen Erwachsenen kennt das Leben und den Alltag in einem geteilten Deutschland nur noch aus Schulbüchern oder aus Erzählungen. Grundlegende zeithistorische Kenntnisse scheinen ihnen nur unzureichend vermittelt zu werden: Bereits zum 20. Jahrestag des Mauerfalls wurden bei deutschen Schülern im Hinblick auf die Geschichte der DDR erhebliche Wissenslücken konstatiert (BKM 2012: 65). Auch an den Universitäten sind bis auf wenige herausragende Ausnahmen die Forschungszweige zur Geschichte der DDR und dem damit verbundenen SED-Unrecht bislang nur wenig ausgebildet. In Ost und West stehen sich zudem getrennte Erinnerungskulturen gegenüber. (BMBF 2017, Söhner 2014)
von Rolf Schwanitz
Nun haben Blessing und Siegert also in einem wuchtigen Artikel gegen Richard Schröder zurückgeschlagen und festgestellt, die Überschuldung der DDR sei eine Lüge. Dabei wiederholen sie im Kern lediglich Zahlen, die von der Bundesbank bereits vor 20 Jahren veröffentlicht worden sind. Die Frage, ob die Devisenbunker des KoKo-Imperiums in der damals geheimen SED-Politbürovorlage von 1989 (Schürer-Papier) hätten mitgezählt werden müssen, ist jedoch ziemlich unerheblich. Von zentraler ökonomischer Bedeutung ist vielmehr, dass die DDR-Betriebe bis auf wenige Ausnahmen hochgradig verschlissen, die Produkte auf den westlichen Märkten kaum konkurrenzfähig waren und die Volkswirtschaft nur abgeschottet durch Mauer und Stacheldraht existieren konnte. Dazu findet sich bei Blessing und Siegert kein Wort, aber ihnen geht es wohl mehr um Selbstrechtfertigung als um eine realistische Analyse. Bezeichnend ist auch der Satz, dass die DDR seit ihrer Gründung vom Westen unter anderem durch »Abwerbung und Abwanderung von Millionen arbeitsfähiger Menschen … ausgeplündert wurde.« Hier macht man sich noch nicht einmal die Mühe, den alten und offensichtlich gut gelernen SED-Jargon zu verstecken. Die frustrierten Ostdeutschen, um die solche Artikel offensichtlich buhlen, sollten genau registrieren, dass ihr berechtigtes Streben nach Freiheit und Freizügigkeit hier komplett ignoriert und sie nur als Marionetten begriffen werden.
Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2024 Lucius Garganelli, Serie G