von Peter Brandt
Der Zweite Weltkrieg endete nicht am 8./9. Mai 1945, sondern am 15. August bzw. am 2. September jenes Jahres, als Japan die Waffen streckte. Ob erst der – in jedem Fall mehr als problematische – Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki die Kapitulation des fernöstlichen Kaiserreichs bewirkt (und so auch die erwarteten hohen Verluste einer Invasion Japans sowie eine stärkere Einmischung der Sowjetunion vermieden) hat, oder ob der Tenno bereits vorher gewillt war aufzugeben und es nur noch um die Form ging, ist bis heute strittig.
Im zweiten Fall käme der Demonstration der neuen Waffe in der alleinigen Hand der USA als Motiv für den Einsatz ›am lebenden Objekt‹ ein weitaus größerer Stellenwert zu. So oder so leitete der doppelte atomare Schlag objektiv vom Weltkrieg gegen die Achsenmächte über zum Ost-West-Konflikt, der dann ab 1947/48 die Form eines Kalten Krieges annahm.
Dass die Asiaten wie auch die Afrikaner den Krieg unter einem anderen Gesichtspunkt betrachteten als die Europäer und Nordamerikaner, ist leicht zu begreifen: Sie befanden sich nach wie vor in kolonialer oder halbkolonialer Abhängigkeit und neigten in ihren politisierten Schichten dazu, die Gegensätze der Metropolen untereinander nach Ansatzpunkten abzusuchen, das eigene Anliegen, die nationale Unabhängigkeit, voranzubringen. Es ist nicht verwunderlich, dass in der südlichen Hemisphäre manche Protagonisten der nationalen Befreiung, die sich in späteren Jahren eher prosowjetisch oder prochinesisch orientieren sollten, während des Zweiten Weltkriegs zumindest vorübergehend auf Erfolge Deutschlands oder Japans setzen, um die alten Kolonialmächte zu schwächen, und zweifellos erschütterten die weltpolitischen und militärischen Ereignisse in der ersten Hälfte der 40er Jahre den traditionellen europäischen Imperialismus insgesamt. Die nach 1945 teilweise noch blutig umkämpfte staatliche Selbstständigkeit von Britisch-Indien, Niederländisch-Indonesien und Französisch-Indochina ist ohne die konvulsiven Weltkriegsereignisse nicht zu erklären. Das gilt sogar für die folgende Entkolonialisierungswelle der späten 50er und frühen 60er Jahre.
An demselben 8./9. Mai 1945, als mit der bedingungslosen Kapitulation Hitler-Deutschlands in Europa – in der Tat der Ausgangspunkt und zentrale Austragungsort des Zweiten Weltkriegs – die Waffen schwiegen, begann in Algerien in Reaktion auf Demonstrationen der Einheimischen, die das Kriegsende feierten, ein dreiwöchiges Gemetzel der französischen Truppen, dem mindestens 30.000 Menschen zum Opfer fielen. Sie hatten die Atlantik-Charta Roosevelts und Churchills vom 14. August 1941 ernst genommen und auf ihr Land bezogen.
Die global befreiende Wirkung des Sieges der Anti-Hitler-Koalition im Zweiten Weltkrieg beinhaltete nicht, dass die Kriegsgegner des faschistischen Staatenblocks neben dem militärischen Erfolg keine konkreten Interessen verfolgt und aufgehört hätten, als imperiale Mächte zu agieren. Das betraf namentlich Großbritannien mit seinem immer noch riesigen Empire und Commonwealth, nun definitiv zum Junior-Partner der USA degradiert – auch das eine der gravierenden Folgen des Zweiten Weltkriegs. Als solcher sollte Großbritannien seinem Kriegs-Premier Churchill und dessen politisch-sozialem Umfeld zufolge weiterhin eine global und europäisch wichtige Rolle spielen: mittels nachhaltiger Schwächung, aber nicht völliger Eliminierung des alten Rivalen Deutschland und durch Begrenzung der unvermeidlichen Expansion Sowjetrusslands. Frankreich knüpfte an die schon nach dem Ersten Weltkrieg praktizierten Methoden einer gegenüber Deutschland maximalistischen Sicherheitspolitik an, zu der auch die Loslösung des linken Rheinlands vom ›Reich‹ (wie man auch nach Mai 1945 noch sagte) gehörte.
Maximale Sicherheit vorwiegend zulasten Deutschlands wie – in anderer Weise – des östlichen Europa stand auch für die Sowjetunion mit ihren enormen Menschenverlusten und Zerstörungen im Zentrum. Diese Sicherheit erforderte in Moskauer Sicht die uneingeschränkte Kontrolle ihres westlichen Glacis und diese in den betreffenden Ländern die Besetzung der Schlüsselstellungen mit zuverlässigen Parteigängern. Ob die komplette Sowjetisierung von Anfang an beabsichtigt war, ist – insbesondere für die deutsche Ostzone – umstritten. Die Unterstützung revolutionärer Sozialbewegungen kam für Stalin allenfalls in Betracht als Funktion sowjetischer Außenpolitik. Das hatte der Spanische Bürgerkrieg hinreichend bewiesen. In der zynischen Weltsicht des Georgiers, der im Oktober 1944 mit Churchill jene berühmt-berüchtigte Prozentabsprache über den jeweiligen Einfluss in Südosteuropa getroffen hatte, tat er mit seinen die westeuropäischen Kommunisten mäßigenden Direktiven alles, was das alliierte Bündnis und die Kräfteverhältnisse verlangten.
Die USA gingen – nicht nur wegen des Besitzes der Atomwaffe – als einzige wirkliche Weltmacht aus dem Krieg hervor, und, anders als Briten, Franzosen und Sowjets, war die Roosevelt-Administration weniger an der Zuteilung von Einflusssphären interessiert als an einer neuen Weltordnung unter informeller amerikanischer Dominanz (›One World‹): ein einheitlicher, liberal-kapitalistischer Weltmarkt, in den auch die Sowjetunion so weit wie möglich einbezogen werden sollte, internationale regulierende Organisationen (von der UNO bis zum Weltwährungsfonds) und liberal-demokratische Verfassungsordnungen im Innern der Staaten, jedenfalls in der nördlichen Hemisphäre. Deutschland war aus dieser Sicht ein Problem unter anderen. Allerdings gab es im Rahmen dieser Grundorientierung starke Kräfte in den USA, nicht nur bei den Republikanern, die schon frühzeitig die Konfrontation mit der UdSSR ins Auge fassten. Die Absprachen der Großen Drei auf der Jalta-Konferenz Anfang Februar 1945 und auch in Potsdam im Juli / August 1945 hätten nicht zwangsläufig in die Teilung Europas und Deutschlands in den dann tatsächlich zustande kommenden Formen münden müssen (es gab durchaus auch Tendenzen zu einem längerfristigen Arrangement der Alliierten), doch enthielten die Abkommen wichtige Hebel, die eine solche Teilung unter der Doppelhegemonie der UdSSR und der USA ermöglichten und nahe legten. Insofern ist es berechtigt, kritisch von einer ›Jalta-Ordnung‹ zu sprechen. Sie war ein Ergebnis nicht einfach des Zweiten Weltkriegs, sondern der Art und Weise, wie die Hauptsiegermächte ihre Interessen durchsetzten.
Für Deutschland, dessen Führung dem Land durch Aggression und monströse Verbrechen die halbe Welt zum Feind gemacht hatte, bedeutete die Kapitulation das faktische Ende der staatlichen Existenz sowie den ›provisorischen‹ Verlust von mehr als einem Viertel des Territoriums von 1937 an Polen und die Sowjetunion unter Zwangsaussiedlung der Bewohner. Mit den Zerstörungen (hauptsächlich von Wohnraum) durch die Flächenbombardements und die Endkämpfe und mit den 7,6 Millionen Kriegs- und Kriegsfolgetoten lagen die Verluste, gemessen an der Bevölkerungszahl, unter denen der Sowjetunion, Polens und Jugoslawiens, aber deutlich über denen der westlichen Siegermächte. Mit vermutlich Hunderttausenden von Vergewaltigungen und sexuellen Nötigungen, nicht allein, wenn auch vorrangig seitens der Sowjetsoldaten, der harten Behandlung von Kriegsgefangenen usw. kam der von Nazi-Deutschland entfesselte Kriegsfuror nun über die Deutschen. Der Preis auch ihrer Befreiung von der schrankenlosen Diktatur und von dem zum Ende hin immer blindwütiger rasenden Terror war somit hoch. Ferner: Vier separate Besatzungszonen und vier Sektoren in der Hauptstadt Berlin (wobei es anfangs eher die Franzosen als die Sowjets waren, die dafür sorgten, dass die, neben der Wirtschaftseinheit, im Potsdamer Abkommen vorgesehenen gemeindeutschen Verwaltungsbehörden nicht zustande kamen) unter einem nur in Übereinstimmung funktionierenden Alliierten Kontrollrat bzw. einer Alliierten Kommandantur. Und bezüglich der inneren Umgestaltung Deutschlands markierten die berühmten vier ›D‹s: Denazifizierung, Demokratisierung, Dezentralisierung und Dekartellisierung einen Minimalkonsens der Siegermächte, der von Anfang an unterschiedliche Deutungen erfahren musste.
Aus einer ganzen Reihe von Gründen hatte sich der Ablösungsprozess der Bevölkerungsmehrheit vom Nationalsozialismus in Deutschland selbst nach der Kriegswende nur langsam und diskontinuierlich vollzogen. Für das unter den Deutschen im Zweiten Weltkrieg mehr und mehr verbreitete Gefühl der Ausweg- und Alternativlosigkeit waren neben der zunehmenden, wenn auch ganz unvollständigen und ungenauen, Kenntnis deutscher Kriegsverbrechen auch die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation und die alliierte Kriegsführung, namentlich die Bombardierung der städtischen Wohngebiete, mitverantwortlich. Es gab aber auch tiefer, im Charakter des Herrschaftssystems liegende Ursachen. Der Nationalsozialismus vermochte erhebliche Teile des deutschen Volkes aktiv zu mobilisieren und die Loyalität der Mehrheit zweifellos zu bewahren, wenn es auch unzutreffend ist, wie es heutzutage häufig geschieht, eine weitestgehende Übereinstimmung von Regime und Bevölkerung anzunehmen. Der Charakter des Herrschaftssystems wie dann in der Endphase die kriegsbedingte Zersplitterung des Reichsterritoriums machten eine innere Erhebung immer notwendiger (auch aus Selbsterhaltungsgründen) und zugleich immer weniger möglich. Der 20. Juli 1944, an dem direkt oder indirekt Repräsentanten aller antinazistischen Fraktionen des deutschen Volkes beteiligt waren, bot diesbezüglich letztmalig einen Ausweg. Das Scheitern der Selbstbefreiung machte die Eroberung und Besetzung ganz Deutschlands nun unvermeidlich.
Eine nicht so kleine Minderheit von ›Aktivisten der ersten Stunde‹, teilweise in direkter Kontinuität zum Widerstand und meist aus den Reihen der sozialistischen Arbeiterbewegung unterschiedlicher Ausrichtung, organisierte sich in mindestens fünfhundert Orten – bisweilen noch kurz vor der Besetzung und unabhängig voneinander – in Antifaschistischen Ausschüssen bzw. größeren Organisationen, dann auch in provisorischen Betriebsräten, Gewerkschafts- und Parteigründungszirkeln. Die Antifa-Ausschüsse und die provisorischen Betriebsräte wirkten in allen vier Besatzungszonen elementar gesellschaftsbildend, indem sie die solidarische Wiederingangsetzung der materiellen Lebens- und Produktionsbedingungen in die Hand nahmen und erste Maßnahmen gegen ›die Nazis‹ durchführten. Dieser Ansatz, gewissermaßen eine reduzierte Variante sowohl der Arbeiter-, Volks- und Soldatenräte von 1918/19 als auch der 1944/45 andernorts aus der Résistance hervorgegangenen Befreiungskomitees, erhielt keine Chance. Die ›Antifas‹, wie die Amerikaner sie nannten, wurden in aller Regel spätestens im Sommer 1945 von den Militärregierungen oder den Auftragsverwaltungen aufgelöst: als potentiell sozialrevolutionär und krypto-kommunistisch in den Westzonen, als ›sektiererisch‹ und dysfunktional in der Ostzone, als zu eigenständig, kaum lenkbar und illegitim-basisdemokratisch zonenübergreifend. Es kann nicht darum gehen, diesen autochthonen linken Antifaschismus zu mythologisieren, doch er passt in Quantität wie Qualität weder zu dem heutzutage gern gezeichneten Bild einer nahezu gänzlich nazifizierten deutschen ›Volksgemeinschaft‹ noch zu dem der vollständigen politischen Apathie der Deutschen bei Kriegsende. Ebenso wenig die rasante Organisationsentwicklung der linken Parteien und Gewerkschaften nach ihrer Legalisierung. Ca. 500 000 Mitglieder hatte etwa die SPD der Westzonen bereits Ende 1945, mehr als 700 000 Ende 1946, erheblich mehr als vor 1933 auf diesem Territorium; fast so viele brachte die SPD der Ostzone im Frühjahr 1946 in die zwangsvereinigte SED ein.
Als das hervorstechendste Merkmal der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft in den ersten drei Nachkriegsjahren sind die Atomisierung und ›Primitivisierung‹ des ökonomischen Lebens bezeichnet worden, die sich aus dem Funktionsverlust des Geldes und seiner Ersetzung durch verschiedene Formen des Tauschhandels ergab. Dieser verhinderte den Aufbau eines neuen, friedensgemäßen Systems wirtschaftlicher Spezialisierung und Arbeitsteilung. Die ›währungslose Wirtschaft‹ brachte es mit sich, dass eine größere Anzahl von Menschen mehr Zeit für die Jagd nach Gewinnen, Waren oder einfach Lebensmitteln investierte, ohne dass diese Anstrengungen zu einem entsprechenden Aufschwung von Industrie und Landwirtschaft führten. Der enorme Geldüberhang infolge der inflationistischen Kriegsfinanzierung musste angesichts chronischen Warenmangels und wenig wachsenden Warenvolumens die offiziellen Zahlungsmittel entwerten. Das Resultat war eine Flucht der Unternehmen und Individuen in die Sachwerte. Mindestens die Hälfte der ohnehin niedrigen Industrieproduktion gelangte auf illegale und halblegale Märkte oder wurde gehortet und damit der geregelten Verteilung entzogen. Der gänzlich illegale ›Schwarze Markt‹ trat in seiner gesamtwirtschaftlichen Bedeutung weit hinter den ›Grauen Markt‹ der Kompensationsgeschäfte zurück. Mehr als durch die von den Zeitgenossen stark überschätzte Reduzierung der industriellen Kapazitäten wurde die wirtschaftliche Erholung durch die Zerstörung der Infrastruktur, insbesondere der Verkehrsmittel und -wege, durch Rohstoff-, insbesondere Kohlenmangel und durch die leistungsmindernde Mangelernährung der Arbeitskräfte behindert.
In Südosteuropa und im östlichen Mitteleuropa war die Sowjetarmee schon im Frühjahr 1945 längst als äußerst repressive Besatzungsmacht präsent, die UdSSR der Hegemon. Namentlich in Polen setzte sie gegen die Anhänger der Exilregierung und ihrer Heimatarmee und auch gegen die Sozialisten der PPS ein Moskau-orientiertes Minderheitsregime durch. Unbewaffneter und sogar bewaffneter Widerstand zog sich jahrelang hin. Von Polen abgesehen, sowie von Jugoslawien und Albanien, wo die Befreiung hauptsächlich das Werk kommunistischer Partisaneneinheiten war, lässt sich zwischen den südosteuropäischen Ländern Rumänien und Bulgarien einerseits, wo die Ausschaltung der tatsächlichen und vermeintlichen Gegner der UdSSR und ihrer Gefolgsleute schnell und brutal vor sich ging, und den mitteleuropäischen Ländern Ungarn, Tschechoslowakei und Ostdeutschland andererseits unterscheiden, wo trotz Zugehörigkeit zu bzw. Annexion durch Deutschland oder durch Einbeziehung in den nationalsozialistischen Machtbereich während des Krieges Traditionen einer autochthonen politischen Kultur und weitgehend unbelastete, populäre Politiker bzw. neu gegründete Parteien existierten, auf die zunächst Rücksicht genommen werden musste. In der Tschechoslowakei, wo die einrückenden (und wieder abziehenden) Sowjettruppen als Befreier begrüßt wurden, nicht zuletzt im Hinblick auf den ›Verrat‹ Großbritanniens und Frankreichs beim Münchener Abkommen 1938, konnte sich bis 1947/48 sogar eine Art parlamentarischer Demokratie und eine Mehrparteienregierung etablieren, die bereits gravierende Eingriffe in die kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung im Sinne der damals von der Gesamtlinken geforderten Strukturveränderungen vornahm. Die Kommunistische Partei wurde 1946 mit annähernd zwei Fünfteln der Stimmen deutlich stärkste Partei. Auch in Ungarn im November 1945 mit enttäuschendem Wahlausgang für die Kommunisten und in der deutschen Sowjetzone (dort auf Landesebene) im Oktober 1946 mit durchschnittlich immerhin 47,5 % für die inzwischen gegründete SED fanden cum grano salis freie Wahlen statt.
Die Methoden der Machtkonzentration in den Händen der einheimischen Kommunisten östlich der Elbe wichen nicht wesentlich, aber im Tempo und im Grad der erkennbaren Offenheit, in der sie praktiziert wurden, voneinander ab. Lockung, Drohung und Unterdrückung gegenüber anderen Parteien und deren Protagonisten wechselten einander ab und wurden kombiniert. Absetzungen von Führungsfiguren und Verhaftungen Missliebiger setzten früh ein. Zu einem jeweils abweichenden Zeitpunkt wurden unter strafrechtlichen Vorwänden Prozesse gegen ›reaktionäre‹ und ›antisowjetische‹ Politiker inszeniert, nachdem schon von Anfang an in sämtlichen legalen Formationen gezielt ›loyale‹ und ›fortschrittliche‹ Personen gefördert wurden. Dabei arbeiteten Sowjets und einheimische Kommunisten nicht bei jedem Schritt Hand in Hand – hier wie dort handelte es sich nicht um monolithische Blöcke –, doch im Effekt letztlich in dieselbe Richtung. Anders als in Ostdeutschland, wo die Fusion der SPD mit der KPD seit Herbst 1945 vorangetrieben wurde, ließ man sich mit dem Zusammenschluss der sozialdemokratisch-sozialistischen und der kommunistischen Parteien ansonsten bis 1948 Zeit, als Erstere durch innere Fraktionskämpfe, Intrigen und Einschüchterungen bereits nachhaltig geschwächt waren. Trotzdem: Nach den Verheerungen des Faschismus und des Zweiten Weltkriegs schien es eine kurze Zeit so, als würde die Arbeiterbewegung zur bestimmenden politischen Kraft in ganz Europa werden. 1917 hatten der Sturz des russischen Zarismus und dann die Oktoberrevolution international eine mehrjährige revolutionäre Kriegs- und Nachkriegskrise ausgelöst, die vom Aufschwung der radikalen bzw. kommunistischen Richtung wie auch von aufsehenerregenden Wahl- und Gesetzgebungserfolgen der reformerischen bzw. sozialdemokratischen Richtung gekennzeichnet gewesen war. Jetzt, ab 1943/44, ging die Krise der bürgerlichen Ordnung von der militärischen Wende und vom Aufschwung der nationalen Widerstandsbewegungen in den deutsch besetzten Ländern aus. Der Großbesitz und die tragenden Schichten des alten Staates waren dort wegen der Zusammenarbeit mit dem Nazismus diskreditiert. Es gibt klare Indizien dafür, dass die Bevölkerung in ihrer Mehrheit den Antifaschismus nicht auf die politische Demokratisierung beschränken wollte: Die Macht des großen Kapitals sollte gebrochen und ein Entwicklungsweg ›jenseits des Kapitalismus‹ – so der Titel des damals verbreiteten Buches von Paul Sering = Richard Löwenthal – geöffnet werden. Als ein, verglichen mit 1917-20, günstiger Faktor erschien die anfängliche Unterstützung tiefgreifender gesellschaftlicher Strukturreformen durch Gruppierungen außerhalb der Arbeiterbewegung. Es gab vorübergehend so etwas wie eine bürgerliche Linke von Gewicht. Allerdings bremste den Vormarsch der Linken bereits die Unfähigkeit und Unwilligkeit der im Juli 1945 gegen den Siegerpremier Churchill gewählten britischen Labour-Regierung, eine von den USA unabhängige Führungsrolle in Europa zu übernehmen. Labour wurde vielmehr zum Vorreiter einer proamerikanischen, von den US-Gewerkschaften massiv unterstützen Orientierung der westeuropäischen Sozialdemokratie einschließlich der sozialdemokratisch geführten Gewerkschaften. Das funktionierte nicht zuletzt deshalb, weil die reale Umwälzung im östlichen Mitteleuropa und in Südosteuropa mehr und mehr, von Anbeginn spürbar, auf eine Angleichung an die Methoden und Strukturen der Stalinschen Diktatur in der Sowjetunion gerichtet war.
Die schließliche Ausschaltung oder Zähmung der Linken, die anfangs in etlichen Ländern die Bevölkerungsmehrheit repräsentierte, gelang parallel zum offenen Bruch zwischen den Kriegsalliierten in den Jahren 1947/48; gleichzeitig unterdrückten die Sowjets in ihrem Einflussbereich definitiv die bis dahin noch gewichtigen widerstrebenden Kräfte unterschiedlicher Ausrichtung und errichteten hinter der Fassade der Volksdemokratie eine kommunistische Parteidiktatur. Nur im Zuge der stalinistischen Überformung der keineswegs durchweg unpopulären und nicht ausschließlich von oben dirigierten sozialen Umwälzung im östlichen Europa konnte die Ablenkung der sozialdemokratisch-sozialistischen Parteien und der von ihnen geführten Gewerkschaften Westeuropas vom Ziel des gesellschaftlichen Neubaus und ihre Einordnung in den Kampf der ›Weltdemokratie‹ gegen die östliche Despotie erfolgreich sein.
Zurück zum unmittelbaren Kriegsende: Das Spektrum war breit. Zuerst die Neutralen: Portugal als von England abhängige Rechtsdiktatur; das franquistische Spanien als zwar mit den faschistischen Achsenmächten sympathisierendes, aber vom Bürgerkrieg erschöpftes Land; Irland, parlamentarisch regiert, aber aus historischen Gründen eher antibritisch; die Schweiz und Schweden inmitten des deutschen Machtbereichs gelegen und zu manchen Anpassungsleistungen (vermeintlich) gezwungen – alle diese Staaten wurden vom welthistorischen Umbruch 1944/45 relativ wenig berührt, wobei die in Schweden wie in Norwegen und Dänemark während der 30er Jahre unter sozialdemokratischer Führung eingeleitete Krisenbekämpfungs- und Wohlfahrtsstaatspolitik in Wahlen bestätigt, zugleich einer stärkeren kommunistischen pressure group ausgesetzt wurde.
Dänemarks Regierung hatte im April 1940 die deutsche Besetzung – anders als Norwegen – angesichts völliger militärischer Aussichtslosigkeit hingenommen, genoss deshalb einen Sonderstatus im deutschen Einflussgebiet. 1943 durften sogar (fast) freie Wahlen stattfinden, und der politische Neuanfang 1945 erfolgte in einem Kompromiss der alten Parteipolitiker mit den Widerstandsorganisationen. Finnland, ebenfalls ohne Abschaffung des parlamentarischen Systems und getragen von allen Parteien außer den verbotenen Kommunisten, kämpfte 1941 bis 1944 sogar Seite an Seite mit Deutschland, gegen die Sowjetunion, die ihr im Winterkrieg 1939/40 Gebiete entrissen hatte. Nach dem Waffenstillstand kam es seit Herbst 1944 durch die Relegalisierung der Kommunistischen Partei und durch eine Umgruppierung in der Sozialdemokratie zu einer deutlichen Linkswendung einschließlich einer in Addition annähernden parlamentarischen Mehrheit für die etwa gleichstarken Arbeiterparteien. Ansonsten ist hier die Kontinuität zu den Verhältnissen vor 1944/45 bemerkenswert. Dabei spielte eine erhebliche Rolle, dass Stalin die freundliche Neutralität Finnlands, sei es garantiert von den dortigen Konservativen, wichtiger war als innere Veränderungen dort.
In den Benelux-Ländern, ähnlich wie in Norwegen, setzte sich – trotz weitergehender Impulse des Widerstands – mit der Rückkehr der Mehrparteien-Exilregierungen die Anknüpfung an die Vorkriegskonstellation, jedenfalls im Hinblick auf die politische und gesellschaftliche Ordnung, recht schnell durch, modifiziert durch den vermehrten Wählerzuspruch für die Linke, namentlich die Kommunisten, die indessen gegenüber den Sozialdemokraten eindeutig in der Minderheitsposition blieben im Verhältnis eins zu vier oder eins zu drei.
Das andere Extrem gegenüber den neutralen Ländern bildete Griechenland, das weder geographisch, noch im Hinblick auf seine Wirtschafts- und Sozialstruktur, noch bezüglich seiner kulturellen Prägung bzw. seiner politischen Kultur zu Westeuropa zu rechnen war, aber eben nicht zum sowjetischen Machtbereich gehörte. Winston Churchill hatte mit seinem Gegenspieler Stalin im Oktober 1944 jenes berühmt-berüchtigte Prozent-Abkommen getroffen, mit dem sie ihren Einfluss in den befreiten Ländern einvernehmlich absteckten. Griechenland, das ebenso wie Rumänien schon früher zugeteilt worden war, sollte fast ganz britisch kontrolliert sein. Dort bildete die linksgerichtete, überwiegend kommunistische Nationale Befreiungsfront EAM mit ihrer Streitmacht ELAS während des Krieges einen ernsthaften militärischen Faktor. Sie errichtete in den schwer zugänglichen Bergregionen eigenständige Herrschaftszonen, in denen von Infrastrukturmaßnahmen und einer Bodenreform über Alphabetisierung bis zur Gleichstellung der Geschlechter eine Reihe modernisierender und emanzipatorischer Ansätze zum Tragen kamen. Die reguläre Verwaltung und die etablierten Kräfte der Gesellschaft kollaborierten mehr oder weniger offen mit der deutschen Besatzungsmacht und / oder waren auf die bürgerliche Exilregierung in Kairo ausgerichtet. Vermutlich hatte die EAM, beim Abzug der Wehrmacht im Herbst 1944 nicht nur den größten Teil des Landes unter Kontrolle, sondern auch die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich.
Bereits im Herbst 1943 war es auch zu Kämpfen zwischen der ELAS und der monarchistischen und probritischen EDES gekommen. Die Sowjets wirkten auf die widerstrebende Befreiungsfront ein, sich nicht mit den Briten anzulegen, die unter dem Codenamen ›Manna‹ eine Intervention vorbereiteten. Trotz zwischenzeitlicher Verständigung der griechischen Faktoren kam es um den Jahreswechsel 1944/45 nach dem Abzug der Wehrmacht in Athen zu vierwöchigen blutigen Kämpfen zwischen der ELAS einerseits, der britischen Streitmacht und einheimischen Antikommunisten andererseits. Mehr noch als die militärische Niederlage schadete der Nationalen Befreiungsfront, dass sie beim Rückzug unter vermeintlichen Reaktionären in letzter Stunde ein Massaker veranstaltete und Tausende Geiseln mitnahm. Damit war, ungeachtet eines fair erscheinenden Waffenstillstandsabkommens vom Februar 1945, der Sieg der Konterrevolution in Griechenland besiegelt; der 1947 voll ausbrechende, bis 1949 andauernde Bürgerkrieg fand die Linke tendenziell in der Defensive. Die 1944 angekündigte Personalsäuberung der Verwaltung von Kollaborateuren und Anhängern der vorangegangenen Metaxa-Diktatur brach schon mit den Dezemberkämpfen ab; selbst bescheidene Maßnahmen gegen die einheimischen Oligarchen, wie eine Sondersteuer, kamen zu Fall. Ehemalige Kollaborateure und probritische Monarchisten formierten neue bewaffnete Verbände, und es setzte eine scharfe Repression gegen die EAM-Anhänger ein. Aufgrund des Wahlboykotts seitens der Linken wurde die Parlamentswahl vom 31. März 1946 zum Triumph der gemäßigten und extremen Rechten. Von Demokratie konnte für lange Zeit selbst im formalen Sinn kaum die Rede sein.
Ähnlich wie in Griechenland Ende 1944 hätten sich die Verhältnisse in Italien und Frankreich entwickeln können. Italien war engster Verbündeter Hitler-Deutschlands gewesen, löste sich nach der alliierten Invasion Siziliens im Sommer 1943 aber durch einen zunächst innerfaschistischen Putsch aus dem Pakt und wechselte als Verbündeter minderen Ranges dann die Seiten. Über mehrere Stufen bildete sich im Süden des Landes eine königliche Regierung unter Beteiligung der Sozialisten und Kommunisten, während in Norditalien ein Partisanenkampf gegen die Wehrmacht und Mussolinis neue Satelliten-Republik entbrannte, wo sich schon vor dem Einmarsch der Anglo-Amerikaner eine konkurrierende Machtstruktur ausbildete. Der nationale Befreiungskampf war wie mehr oder weniger anderswo auch mit Elementen eines Bürgerkriegs verbunden. Wir haben es also wie auf der Ebene des regulären Krieges auf der Ebene der Résistance mit einem Doppelcharakter zu tun, der sich später auch in der Ambivalenz der politischen Entwicklung widerspiegelte: eine auf nationale Konzentration, Wachstumspakt und Modernisierung gerichtete, von breitesten Teilen der Parteienlandschaft unterstützte Orientierung koexistierte (und kollidierte u. U.) mit Konfliktorientierten, aus spontanem Handeln avantgardistischer Gruppen oder sozialem Protest der Arbeiterschaft erwachsenden Aktionen. Die Verbindung zwischen beiden bildeten die weit verbreiteten gesellschaftlichen Neuordnungsforderungen. Ein restriktives Eingreifen der Westalliierten erfolgte in Italien, und das kann als generelles Muster gelten, erstens in den Monaten des Übergangs vom Mussolini-Faschismus zur parlamentarischen Republik, namentlich durch die Entwaffnung der Partisanen. Allerdings konnten wichtige, während der Befreiung errungene Positionen des linken Widerstands namentlich auf lokaler Ebene bewahrt werden. Zweitens machte sich US-amerikanischer Einfluss 1947/48 erneut massiv geltend, als ein Wahlsieg der vereinigten Kommunisten und Nenni-Sozialisten befürchtet wurde. Die Wahlniederlage der Linksfront war der vorläufige Endpunkt einer Verschiebung der Kräfteverhältnisse und einer Rekonsolidierung der bürgerlichen Ordnung.
Erst nach der militärischen Wende des Krieges wurde in Frankreich (und nicht nur dort) der Widerstand gegen die deutschen Besatzer zu einem quantitativ und qualitativ gewichtigen Phänomen. Politisch motivierte illegale Gruppenbildungen und Aktivitäten gingen außer von der Linken, namentlich den Kommunisten, vom gaullistischen Flügel des bürgerlichen Spektrums aus. Außerdem gab es eine elementare Gegenwehr unmittelbar bedrohter oder sich bedroht fühlender Menschen: neben den Juden z.B. Arbeiter, die sich der Fabrikarbeit nach Deutschland durch Flucht in den kämpfenden Untergrund entzogen. Die große Mehrheit der Franzosen und namentlich die Angehörigen der sozial herrschenden Klasse und der übrigen Eliten in der besetzten wie der unbesetzten Zone hatte sich nach der militärischen Niederlage im Sommer 1940 für die Kollaboration, zumindest ein Arrangement mit der Siegermacht entschieden; viele sympathisierten mit dem Vichy-Regime unter Marschall Pétain. Zudem gab es ideologische Berührungspunkte mit dem deutschen NS-Faschismus bei einem Teil der französischen Rechten, wo seit Jahrzehnten antidemokratische, antisozialistische und antisemitische Haltungen verbreitet waren.
Nach der Invasion im Juni 1944 und dann vor allem nach dem entscheidenden Frontdurchbruch der Alliierten im August unterstützten die Kämpfer der Résistance deren Truppen bei der Befreiung des Landes. Nicht wenige ›gute Franzosen‹, die bislang Distanz zum Widerstand gehalten bzw. Vichy-loyal geblieben waren, gingen jetzt auf die Seite der Anti-Hitler-Koalition über. Bei der Rivalität zwischen der linken Résistance und de Gaulle mit seinen Anhängern setzte sich der General bereits mit dem triumphalen Einzug in Paris am 25. August 1944 durch. Schon auf dem Weg der alliierten Streitkräfte von Norden dorthin hatte sich das mit der enthusiastischen Aufnahme de Gaulles abgezeichnet und mit der Akzeptanz, die seine Eingriffe in die Stadtverwaltungen fanden. Nachdem das alliierte Oberkommando gleichzeitig mit dem Einmarsch in Paris der von de Gaulle geführten, in Algerien gebildeten Provisorischen Regierung die Zivilverwaltung übertragen hatte, wurden die Regierung und die Beratende Versammlung, das Ersatzparlament, durch Repräsentanten des einheimischen Widerstands erweitert, der dadurch zugleich stärker eingebunden wurde.
In Frankreich (wie in Italien) forderten dann die gestärkt aus dem Untergrund hervorgehenden Kommunisten die Widerstandskämpfer auf, ihre Waffen abzugeben und leisteten dabei aktive Hilfe. Das entsprach den Vorgaben Stalins. Sie taten später aber noch mehr: Bei 1946 und 1947 spontan ausbrechenden Streiks – die materielle Situation war miserabel – forderte die KPF die Beschäftigten zur Wiederaufnahme der Produktion auf und denunzierte die Aktivitäten als Provokateure und Agenten der Reaktion. Erst im Lauf des Jahres 1947, als sie aus der Regierung verbannt wurde, änderte sie diese Linie.
In den ersten Jahren agierten die Kommunisten als Teil einer Wiederaufbau-Koalition, die Investitionen und Produktionssteigerungen eindeutig Vorrang gab vor Reallohnerhöhungen. Dabei spielte auch das Motiv eine Rolle, unter der drohenden Welthegemonie der USA die nationale Unabhängigkeit Frankreichs zu verteidigen. Der Ausbau des Sozialversicherungssystems und weitere wohlfahrtsstaatliche Neuerungen federten die Konsequenzen des erzwungenen Konsumverzichts der breiten Massen ein wenig ab.
Wie auch sonst in Europa fand der Gedanke einer Verstaatlichung von Teilbereichen der Wirtschaft in Frankreich gegen Ende des Krieges und in den ersten zwei bis drei Nachkriegsjahren viele Unterstützer: nicht nur im Lager der Linken, sondern auch bei den Technokraten. Neben einer vermuteten gesamtwirtschaftlichen Produktions- und Effizienzsteigerung sollten der gesellschaftlich-politische Einfluss des Großkapitals zumindest zurückgedrängt werden. Wenig umstritten war die Nationalisierung der Energieversorgung, die Luftfahrt und die Handelsschifffahrt. Dazu kamen die Banque de France und die größten Depotbanken; Geschäftsbanken unterlagen von nun an einer Staatsaufsicht. Da die Regierungsparteien über das Ausmaß der Enteignungen uneins blieben, blieb die Nationalisierung Stückwerk und wurde zum Teil erst auf die Initiative der Beschäftigten hin vollzogen, die namentlich solche Fabriken besetzten, deren Unternehmer sich in den Vorjahren diskreditiert hatten. Darauf geht etwa die Übernahme der Renault-Werke und vieler Kohlenzechen durch den französischen Staat zurück. In den ersten Parlamentswahlen nach dem Krieg am 21. Oktober 1945 erzielten die drei linken Parteien – neben Kommunisten, denen der Löwenanteil zufiel, und Sozialisten die christlich-soziale MRP – Dreiviertel der Stimmen. 1946 wuchs der Wähleranteil der KPF weiter, doch erlitt sie zusammen mit den Sozialisten der SF10 eine Niederlage bei der Volksabstimmung über den von diesen getragenen Verfassungsentwurf, der einen Einkammerparlamentarismus ohne retardierende Elemente vorsah. In der Tendenz waren es eher die Sozialisten, die gegenüber den Kommunisten die radikaleren Sozialisierungs-, Mitbestimmungs- und Umverteilungsforderungen stellten und durchzusetzen suchten.
Mehr oder weniger spontane, blutige Rachefeldzüge gegen Kollaborateure und angebliche Kollaborateure sind für etliche Länder nachgewiesen mit Opferzahlen teilweise im fünfstelligen Bereich. Selbst die von Staats wegen durch Internierungen und besondere oder reguläre Gerichtsbarkeit überall in großer Zahl durchgeführten Bestrafungen einheimischer Faschisten und ›Deutschenfreunde‹ entbehrten oft rechtsstaatlicher und humanitärer Mindeststandards. Das mochte nach den vorangegangenen Schrecken bis zu einem gewissen Grad verständlich gewesen sein, änderte aber, nicht viel anders als die unumgängliche, doch in der Regel unsystematische Personalsäuberung, strukturell nichts. Und ähnlich wie bei der westalliierten Entnazifizierung in Deutschland wurden die ›kleinen Fische‹, die man sich zunächst vornahm, relativ härter bestraft als die Höherrangigen (mit Ausnahme einiger scharfer Verurteilungen von Personen der obersten Ebene wie Quisling in Norwegen und Laval in Frankreich, die hingerichtet wurden). Vergleichsweise wenig behelligt wurden die Unterstützer und Profiteure der profaschistischen Regimes bzw. der deutschen Besatzungsherrschaft aus den Funktionseliten und den sozialökonomischen Oberklassen.
Abschließend noch einmal einige Anmerkungen zu Westdeutschland: Nicht nur die breite Mitgliedschaft der 1945/46 wieder entstehenden Sozialdemokratie, auch deren Führung mit Kurt Schumacher verstanden den Sozialismus, wie man sagte, als ›Tagesaufgabe‹, wobei der marxistische Wirtschaftsfachmann Viktor Agartz ein sehr konkretes und weitgehendes Konzept der Sozialisierung der Grund- und Schlüsselindustrien, von Mitbestimmung und demokratischer Wirtschaftsplanung ausarbeitete, das die Partei bis in die späten 40er / frühen 50er Jahre vertrat. Dabei ging es maßgeblich um die Ausschaltung des für den Hitler-Faschismus verantwortlich gemachten Großbesitzes und somit um die Sicherung der Demokratie. Man hielt die Überwindung des Kapitalismus aber auch aus ökonomischen und sozialen Gründen für geboten. Der langanhaltende Boom seit den 50er Jahren mit seinen bekannten Folgen lag damals außerhalb der Vorstellungskraft.
Die Besatzungsmächte untersagten die auf parlamentarischem Weg angestrebte Neuordnung nicht direkt, verwiesen aber auf die Länderebene, wo etliche diesbezügliche Gesetze dann mit Hinweis auf den kommenden Gesamtstaat suspendiert wurden. Die erste Bundestagswahl im August 1949 sah schließlich die diversen bürgerlichen Parteien deutlich vor der SPD und der damals noch nicht bedeutungslosen KPD.