von Michael Klein
Unsere kulturelle und soziale Gegenwart wird von Begriffen wie woke*, trans*, gender*, divers* usw. beherrscht. Sie stammen aus radikalen sozialen Bewegungen, haben ihren Weg in soziologische Seminare von US-Universitäten geschafft und werden inzwischen in der ganzen westlichen Welt als quasireligiöse Heilslehren verbreitet. Dass diese Lehren die Menschheit tatsächlich in bessere Zeiten führen, darf nachhaltig bezweifelt werden. Wie die Gegenwart, in der wir leben, zu bewerten ist, zeigt sich erst mit größerem Zeitabstand. Dann erst liegt Geschichte vor. Es ist deshalb besonders wichtig, gegenwärtige Entwicklungen in Gesellschaften nach definierbaren Maßstäben zu beurteilen. Im Folgen geschieht dies vor dem Hintergrund der Aufklärung und des Kritischen Rationalismus, das zu dem Besten gehört, was das Abendland je hervorgebracht hat.
von Lutz Götze
Vom ›Jargon der Eigentlichkeit‹ zur Phrasendrescherei der ›Gendersensibilität‹
Dagmar Lorenz hat, vollkommen zurecht, auf die enge Verbindung des Jargon der Eigentlichkeit, verfasst von Theodor W. Adorno in den Jahren 1962-64, mit der gegenwärtigen Debatte um »geschlechterneutralen« oder »gendersensiblen« Sprachgebrauch hingewiesen (FAZ 13.10.22). Zentrale Passagen der Argumentation Adornos – gerichtet gegen Martin Heideggers und seiner Schüler Jargon – sind:
»In Deutschland wird ein Jargon der Eigentlichkeit gesprochen, mehr noch geschrieben, Kennmarke vergesellschafteten Erwähltseins, edel und anheimelnd in eins; Untersprache als Obersprache. Er erstreckt sich von der Philosophie und Theologie nicht bloß Evangelischer Akademien über die Pädagogik, über Volkshochschulen und Jugendbünde bis zur gehobenen Redeweise von Deputierten aus Wirtschaft und Verwaltung… Er verfügt über eine bescheidene Anzahl signalhaft einschnappender Wörter. Eigentlichkeit ist dabei nicht das vordringlichste; eher beleuchtet es den Äther, in dem der Jargon gedeiht, und die Gesinnung, die latent ihn speist… Der des Jargons Kundige braucht nicht zu sagen, was er denkt, nicht einmal recht es zu denken: das nimmt der Jargon ihm ab und entwertet den Gedanken. Eigentlich: kernig sei, daß der ganze Mensch rede… Diese (die Aura) paart sich mit einer Unverbindlichkeit, die sie inmitten der entzauberten Welt disponibel oder, wie es wohl in paramilitärischem Neudeutsch hieße, einsatzbereit macht… Die Stereotypen des Jargons versichern subjektive Bewegtheit. Sie scheinen zu garantieren, daß man nicht tue, was man doch tut, indem man sie in den Mund nimmt: mitblökt; man habe es sich selber, als unverwechselbar Freier, errungen. Das formale Gehabe von Autonomie ersetzt deren Inhalt.«
von Lutz Götze
Am Anfang des Abendlandes stand der Rausch, das Dionysisch-Maßlose, das Bacchanale, die mordenden Bakchen, der Massenterror gegen Andersrassige und Andersgläubige. Doch die Antike lebte in Mittelalter und Neuzeit fort: Denunziationen beim Heiligen Offizium, Hexenverbrennungen, Scheiterhaufen, Pogrome. Die Hoffnung, dass dem Apollinisch-Klaren und Maßvollen in der europäischen Aufklärung ein jüngerer Bruder erwachse, erwies sich alsbald als trügerisch. In der Dialektik der Aufklärung hatten Theodor W. Adorno und Max Horkheimer bereits 1944 – mitten im bis dato furchtbarsten Krieg der Weltgeschichte – die These aufgestellt, bereits in den griechischen Mythen – Prometheus, Ikarus, Kronos, Atriden, Kassandra und Medea – hätten Hass und Gewalt die Zivilisation zerstört. Hybris und wahnhafte Gottesebenbürtigkeit des Menschen hätten nachdenkliches und verantwortungsvoll-solidarisches Handeln verdrängt oder gar von Anfang an verhindert. Die Vernunftbegabtheit der Gesellschaft sei sehr frühzeitig an ihre Grenzen gestoßen und habe das Janusköpfige der Aufklärung – hier Vernunft und Verantwortung, dort zerstörerische Gewalt unter dem Diktat eines Fortschrittswahns – offenbart: -›Seit je hat Aufklärung…das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen. Aber die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils.‹
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