von Ulrich Siebgeber
Die Gefahr
Nach dem ersten Attentat besteht die Aufgabe darin, keine voreiligen Schlüsse
zu ziehen.
Nach dem zweiten Attentat geht es darum, die voreiligen Schlüsse
zu revidieren.
Nach dem zehnten Attentat geht es darum, die Zahl der möglichen Täter
einzuschränken.
Nach dem hundertsten Attentat geht es darum, keine weiteren Attentate
zu dulden.
Nach dem hundertersten Attentat geht es darum, keine voreiligen Schlüsse
zu ziehen.
Woher kamen die Täter?
Wer hat sie hergebracht?
Vor wem sind sie weggerannt?
Wer hat sie losgeschickt?
Wer bezahlt ihre Waffen?
Wer gibt ihnen Anweisungen?
Wer betreut die Hinterbliebenen?
Wer ist dieser Niemand und
wo schlägt sein Herz?
Für wen arbeitet sein Verstand?
Vor dem ersten Attentat bestand die Aufgabe darin, Kämpfer auszubilden.
Vor dem zweiten Attentat bestand die Aufgabe darin, Länder zu erobern.
Vor dem zehnten Attentat bestand die Aufgabe darin, den Kampf auszuweiten.
Vor dem hundertsten Attentat bestand die Aufgabe darin, den Bevölkerungen
die Flucht zu ermöglichen.
Vor dem hundertersten Attentat bestand die Aufgabe darin, die Geflohenen
in ihre zerbombten Länder zurückzuschicken.
Vor dem hundertzehnten Attentat erweist sich die Gefahr, die Aufgabe
zu verfehlen, als groß.
Das Mandat
Die Abgeordnete findet kein Wort für die Schlachtopfer.
Die Abgeordnete will keine Schlüsse ziehen.
Die Abgeordnete findet Schlüsse gefährlich.
Die Abgeordnete findet, die Tätergruppe sei in Gefahr.
Die Abgeordnete ist für das Leben zuständig, nicht für den Tod.
Die Abgeordnete ist grün, weil sie will, dass das Meer blau ist.
Das Meer färbt sich rot.
von Ulrich Siebgeber
Als die hohe Frau
von ihrem Stuhl herabstieg,
begegnete sie
dem Zeichen des Halbmonds.
Auf ihre erstaunte Frage,
worum es sich dabei handle,
ergriff ein kleiner Dicker das Wort
und belehrte sie feixend,
es bedeute ›Der Weg‹.
von Ralf Willms
1993 erschienen im Suhrkamp-Verlag Briefe von Peter Szondi. Einige könnten auch Bestandteil der Ausstellung „Engführungen. Peter Szondi und die Literatur" sein, in der unter anderem Notizzettel, Fotografien und Manuskriptseiten gezeigt werden und die noch bis zum 27. März 2005 im Schiller-Nationalmuseum in Marbach a. N. aufgesucht werden kann. Peter Szondi wurde 1929 als Jude in Ungarn geboren und mit fünfzehn Jahren in ein Konzentrationslager deportiert; seine Studienzeit verbrachte er in Zürich, 1956 entstand als Dissertation die Theorie des modernen Dramas, die ihm eine exponierte Stellung in der Literaturwissenschaft einbrachte.
Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2024 Lucius Garganelli, Serie G