von Herbert Ammon
Kaum noch Hoffnung – ein Brite betrauert die Selbstaufgabe Europas
Die Zukunft Europas scheint – ungeachtet der sich der EU-Einwanderungspolitik widersetzenden östlichen Mitteleuropäer – vorgezeichnet: In Brüssel bereitet die EU-Kommission derzeit eine Revision der Dublin-Verordnung von 2003 vor, die den Zustrom von Asyl beanspruchenden Immigranten eindämmen sollte. Der Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ›fordert‹ – er darf das – weitere Einwanderung nach Europa. Wenn sodann Deutschland, ungeliebte ökonomische Führungsmacht der EU, nach der verantwortungslosen Grenzöffnung für weit über eine Million von realen und vermeintlichen Flüchtlingen anno 2015 gemäß Koalitionsvereinbarungen fortan jährlich über 200 000 Asylbewerber aufnehmen will, so dürfte dies – in Korrelation mit der bereits stattfindenden Bevölkerungsentwicklung – in wenigen Jahrzehnten auf eine kulturelle und soziale Revolution hinauslaufen, wie sie der Alte Kontinent seit dem Ende des Römischen Reiches nicht erlebt hat.
von Ulrich Schödlbauer
Zweifellos zählt Merkels Grenzöffnung vom 4. September 2015 zu den Wendemarken der deutschen, der europäischen und wohl auch der Geschichte des Westens insgesamt – mit Fernwirkungen weit ins Gefüge nichtwestlicher Gesellschaften hinein. Wie bei symbolischen Daten üblich, wirkt sie wie ein Brennglas für Ereignisse und Ereignisfolgen, die bereits unterwegs waren, so wie sie selbst Grund und Folge solcher Ereignisse war: am 23. Juni 2016 stimmten 51,89 Prozent der britischen Wähler angesichts der als chaotisch wahrgenommenen ›Flüchtlingswoge‹ für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union, der dann am am 29. März 2017 durch eine schriftliche Mitteilung seitens der Regierung May an den Europäischen Rat rechtlich wirksam in die Wege geleitet wurde. Im Oktober 2015 begann mit der Entsendung polnischer Grenzbeamter nach Ungarn die gemeinsame Grenzpolitik der Visegrád-Gruppe, die zu weitergehenden Zerwürfnissen innerhalb der EU führte, am 8. November 2016 wurde Donald Trump zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt.
von Holger Czitrich-Stahl
Dieses Buch von Yanis Varoufakis stellt den Zeithistorikern von heute und morgen präzise und spannende Aufgaben. Seine Auseinandersetzung mit der EU-›Rettungspolitik‹ in der Griechenlandkrise seit 2009/10, insbesondere während des Jahres 2015, als Varoufakis Finanzminister Griechenlands und oberster Verhandler mit der EU und dem IWF über die Lösung der Krise war, bedient sich für Historiker zum Teil neuartiger und von daher erst einmal zu verdauender Quellen: Mitschnitte auf seinem Smartphone. Einerseits sind natürlich Sprachmitschnitte authentisch, aber der Dokumentator hat einen entscheidenden Vorteil, wenn sein Gegenüber nichts davon weiß. Transparenz sieht im Blick des Historikers im Normalfall etwas anders aus. Aber waren die Krise und die dramatischen Auseinandersetzungen gerade zwischen Varoufakis und Wolfgang Schäuble oder Jeroen Dijsselbloem, zwischen den Regierungen Griechenlands und der ›Troika‹ tatsächlich Normalfälle oder nicht doch ein Ausnahmezustand, der im Interesse der Zeitzeugen und der Nachwelt außergewöhnliche Methoden legitimiert? Es kommt zukünftig darauf an, die entsprechenden Belege zu finden, die seine Ausführungen erhärten oder entkräften.
Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2024 Lucius Garganelli, Serie G