von Ulrich Schödlbauer
Die Deutschen … die Deutschen … sie haben sich verrannt, die guten Deutschen, wie nur je in ihrer Geschichte. Jetzt stehen sie an der Schwelle zum großen Krieg gegen Russland … nein nein, sie stehen nicht, sie stolpern weiter, hektisch und unaufmerksam… Wohin es sie ziehen mag? Die Pharma-Gewinne brechen ein, die Schwerindustrie räumt das Land, die E-Autos stapeln sich in der Niemandsgasse der verfehlten Erwartungen und die Floskelproduktion läuft auf hohen Touren, die Propaganda propagiert, was das Zeug hält, der Mainstream hält dicht, wie das Geschäftsmodell es befiehlt, das Land ist sich selbst nicht grün, die Waffenfabriken, wenigstens sie, verdienen sich, wie es heißt, eine goldene Nase. Einige aber stoßen sich gesund am großen ukrainischen Schlachten, das weitergeht, vorderhand jedenfalls, komme, was da wolle. Auf dem Kriegsschauplatz übertrumpfen sich die Signale. Das tödliche Spiel der Reichweiten hat begonnen und Taurus, bereit für den Einsatz, wartet auf das Kommando.
Russland entsichert sein Raketenarsenal und erteilt publikumswirksam den Auftrag zur Massenproduktion mobiler Atombunker. Währenddessen begeben sich die Kandidaten auf den kurzen Weg an die langen Schalthebel der Macht. Der Favorit von der Merkel-Partei bekundet die Absicht, den Schalter zum offenen Schlagabtausch umzulegen, er hantiert mit Ultimaten, als habe er ein zweites Europa im Gepäck, und niemand ist da, der ihn mit den Worten Das war’s! nach Hause schickte. Die Bruder- und Schwesternschaft vom heldenhaften Atomtod hat sich eingestimmt und schlägt inbrünstig ihre Leier: Wir sind im Recht und die anderen im Unrecht. So wird es sein. Selten erwähnt: Noch gilt die Feindstaatenklausel der UNO, bereit, hervorgeholt und aufpoliert zu werden, von welcher Seite auch immer, für welche Zwecke auch immer. Die Welt braucht Sündenböcke. Sie – wer immer sie sind – wollen also, nach langen schicksallosen Jahren, wieder Schicksal spielen, Schicksal sein, überrollt vom Schicksal, schicksalsüchtig, schicksalbesessen. Und als sei das alles nicht unwirklich genug, bestellt das politische Berlin sein ideologisches Kräutergärtlein, als läge es im Hochgebirge, weitab von aller Menschengemeinschaft.
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Ich spreche nicht von der ökonomischen Misere. Mag sein, dass das pereat mundus als Geschäftsidee überall mitläuft: ebenso Schnapsidee wie fixe Idee, tief eingegraben in die Gehirne der Crash-Propheten, die kaum Mitdenker, eher Ablenker genannt werden sollten, während die Boni weiter über den Tisch wandern und das Gros der Bürger den Schlaf der Gerechten schnarcht –: der Selbstgerechten wohlgemerkt, denn das gemeine Wesen … sie haben es sich abgeschminkt, die allzu Gerechten, allzeit bereit, ihre Kinder, sofern sie denn solche haben und es sich leisten können, auf alternative Schulen zu schicken, während sie sich in ihren schicken oder heimeligen Stadtvierteln einigeln und es tunlichst vermeiden, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen, weil es sie ängstigt oder anfasst, ihren Mitmenschen ins Auge zu sehen. Ich spreche nicht von der mentalen Misere, der Bezichtigungswoge, die seit Jahr und Tag durchs Land läuft, nicht von Portalen und Paragrafen, die gezielt die mediale Flut mäßigen sollen und darüber zum Ärgernis wurden, nicht vom Kampf der Meinungen, heruntergebrannt auf Phrasenstummel, nicht von der im Grundgesetz verankerten Meinungsfreiheit, von der es heißt, sie sei in Gefahr (wann wäre sie das nicht?) … nein, sie ist nicht in Gefahr, sie wird von einem stetig gewachsenen Teil der Bevölkerung als Gefahr gesehen und entschieden abgelehnt. Ein kleiner Schritt für den Einzelnen, ein großer Schritt für das Land. Es hat sich verändert, das Land, sagen die einen, es verändert sich rapide, sagen die anderen. Die dritten sagen gar nichts, es geht sie alles nichts an und gerade sie müssten es doch wissen, sollte sich etwas verändert haben. Vielleicht die Bahn mit ihrem notorischen Pünktlichkeitsdefizit. Doch: der Feind ist aggressiver geworden.
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Ein Land ist durchpolitisiert bis auf den Punkt, an dem die private Substanz versackt –: auf Nimmerwiedersehen, wie ein ›progressiver‹ Flügel der Gesellschaft, sein Privatleben sorgfältig gegen die eigenen Ansprüche abschirmend, sich noch immer erhofft, kollektivistisch und giftig und interessenhörig wie selten zuvor. Die Gesellschaft hat den Staat aufgesogen und nun saugen die Interessen die Gesellschaft auf. Die Gesellschaft, das sind die anderen. Wo diese Auffassung sich durchgesetzt hat, gibt es keine Gesellschaft mehr, allenfalls die Gesellschaft der Einvernehmlichen, also keine. Es herrscht auch nicht einfach Kampf, es herrscht Krieg in den Köpfen, der sich seine eigenen Hybridformen der Privatheit erschafft, Zigarettenpausen im Angriffsgeschehen, familiäre Rituale, aus der Not geboren, um nicht wieder Weihnachten aus Haltungsgründen ausfallen zu lassen oder dem am Schlaganfall siechenden Onkel ans Leder zu gehen, irgendwie müssen die finanziellen Dinge geregelt werden und die Kinder müssen zur Schule, gleichgültig, welche Heizungsreform ansteht und welches Maßnahmenpaket zur Bewältigung der Covid-Folgen der Gesundheitsminister gerade umzusetzen gedenkt. Vieles wird umgesetzt, darunter auch Menschen, manche aufs Trockene, manche ins Feuchte. Wer ist Rainer Füllmich? Nie gehört. U-Haft, seit wann auch immer. Ein Name wie andere, schon verweht.
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Deutschland ist öffentlichkeitskrank: öffentlichkeitsverfallen und öffentlichkeitswund. Das allein wäre zu verkraften, fiele nicht die mediale Misere mit der Krise des Parteiensystems zusammen, die sich Schritt für Schritt zu einer Krise des Parteienstaats auswächst. Es sind nicht die Wachen im Lande, es sind die Trägen im Geiste, die notorisch Unpolitischen und Selbstfixierten, die vorderhand dafür sorgen, dass die Bude nicht auseinanderfällt. Wer nichts merkt, der macht sein Kreuzchen stets an derselben Stelle. Wer etwas merkt, der schwankt zwischen Kandidaten, zwischen denen er sich schon immer entscheiden wollte. Wer zu viel merkt, der nimmt sich die Kandidaten vor, welche die Systemfrage stellen: Wie verfassungsfeindlich ist das denn? So gerät der Verfassungsstaat ins Gezerre. Parteienkrisen sind lösbar, eine Verfassungskrise bedroht die Existenz des Staates. Die Mischung aus Inbrunst und Gleichgültigkeit, mit der die Parteieliten dabei sind, eine lösbare Krise in eine unlösbare zu verwandeln und die unlösbare in ein Problem mit dem Staat, lässt sich nur mit restloser Überforderung erklären. Was überfordert die Deutschen so, dass sie die Existenz ihres Gemeinwesens, von Petitessen wie Meinungsfreiheit und Wohlstand abgesehen, aufs Spiel zu setzen beginnen? Die Antwort auf diese Frage ist vielleicht überlebenswichtig, deshalb sollte sie nicht bloß gestellt werden.
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Ich schrieb gerade: sein Kräutergärtlein, aber ist das richtig? Wie heimisch ist das Gebräu, an dem die Nation, die ihr Nationsein abgelegt zu haben behauptet, sich berauscht? Die Frage ist nicht ganz vollständig beantwortet, wenn man anmerkt, dass die meisten Staaten des Westens sich an den gleichen Werten berauschen. Genau gesagt: Die mediale Situation lässt ununterscheidbar werden, woher die Öffentlichkeitsimpulse kommen – und vor allem: welche Realkonstellationen ihnen zugrunde liegen. Wenn der Leser nicht mehr erkennt, ob der Verfasser – falls es ihn wirklich gibt – des soeben gelesenen Artikels an einem Schreibtisch in Wiesbaden oder in Seattle (oder in Kasachstan oder in Guangdong) sitzt, wenn dem Verfasser selbst der Ursprung der Phrasen schleierhaft bleibt, die ihm ungefragt in die Tasten fließen, desgleichen die Antwort auf die Frage, welches Interesse sie ihm wohl gerade jetzt unterschiebt, wenn demnach beide auf derselben Welle schaukeln, nicht wissend woher und wohin, dann kann sich weder auf der einen noch auf der anderen Seite ein stabiles Bewusstsein für die Realitäten des eigenen Landes ausbilden – geschweige denn das dazugehörige Gefühl der Verantwortung für das Land und seine ›Verhältnisse‹. Man muss nicht erst den abgedroschenen Gegensatz von Gesinnungs- und Verantwortungsethik auf die Bühne zerren, um zu erkennen, dass hier keinerlei Ethik im Spiel ist – allenfalls die als Moral verkleidete Selbstgerechtigkeit des großen Haufens. ›Wir haben die besseren Werte!‹ spricht die Selbstgerechtigkeit und lässt das Wir gezielt zwischen den Interessen des eigenen Clubs und der weltumspannenden Gemeinschaft der Besseren verschwimmen. Da Realverhältnisse die unangenehme Eigenschaft besitzen, durch die virtuelle Medienwelt zwar für die Öffentlichkeit, nicht aber die Menschen im Lande zu verschwinden, mutiert Gesinnung unter solchen Umständen ganz selbstverständlich zum Terror – nicht etwa bloß gegen Andersdenkende, sondern gegen sich selbst, denn unter der Decke denken alle dasselbe. Sie arbeiten nur in verschiedenen Branchen.
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Äußerlich gesehen steckt eine Portion Aufklärung im Wissen, dass die Regierung Medien nährt, die ohne ihre hilfreiche Hand vom Wind des ökotechnologischen Wandels längst zerpflückt und in alle Richtungen zerstreut worden wären. Weit gefehlt! Nicht bloß weil noch andere Geldgeber die Hand im Spiel haben, im Ernstfall solche, deren Spendierfreude gern von Parteien benützt wird und auch vor staatlichen Institutionen nicht Halt macht. Die Tücke liegt darin, dass die Politik nicht gegen die Medien aufkommt und die Medien nicht gegen sich selbst. Man kann für diesen circulus vitiosus politmedialen Irreseins das Gesetz der Trägheit, vulgo: die obligatorische Anpassung der ›Medienschaffenden‹ an den Trend in Anspruch nehmen, aber erst, sobald man es um die Komponenten der Virtualität und Anonymität erweitert. In dieser Welt wissen bloß Insider, welche Redakteure und Redaktionen ›echt‹ und welche virtuell sind, das heißt Publikumsmasken, und aus welchen Quellen die Texte wirklich stammen, in denen die Wirklichkeit formbar erscheint (statt im Fluss, wie es der Erfahrung der Menschen entspräche). Spiegelverkehrt wiederholt sich das Spiel in den sozialen Medien auf Seiten des von Elon Musk so genannten ›Bürgerjournalismus‹. Auch hier glänzen die Sterne der großen Beeinflusser über dem breiten, trägen, halb-anonymen Strom sich unaufhörlich mischender, zitierender, bis zur Unkenntlichkeit ineinander verschwimmender Meinungsäußerungen ohne Mein und Dein, aus dem es kein Entrinnen gibt, es sei denn, jemand schließt den Kanal für sich (oder für andere).
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Hat die Politik die Medien gekapert, wie von interessierter Seite (das heißt jenen, die von den üblichen Geldgebern geschnitten und von der Regierung bekämpft werden) behauptet? Haben die Medien den Staat übernommen, wie die gegenteilige Propaganda zu wissen vorgibt? Die Antinomie ist ebenso unauflöslich wie lächerlich. Die politische Konstellation reflektiert den ökotechnologischen Stand. Die deutsche Zuspitzung resultiert daraus, dass die Partei, die – im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus und als logisches Ergebnis der historischen Niederlage der Deutschen – sich selbst und dem Land (oder seinen Wächtern) das unverbrüchliche Versprechen gegeben hat, rechts neben sich keine nennenswerte Kraft zuzulassen, das nationale Interesse als Richtschnur des eigenen Pragmatismus aufgegeben und eine Art Welträson an seine Stelle gesetzt hat –: zögernd in der Finanz-, stärker akzentuiert in der Fukushima-, unüberhörbar schließlich in der Flüchtlingskrise, die erst durch deutsches Handeln zur gemein-europäischen wurde und dadurch vermutlich den letzten Anstoß zum britischen Abschied von der EU gab. Nicht dass sich prompt neben der CDU und ihrer ›Schwesterpartei‹ eine ›rechtspopulistische‹ Alternative etablierte, ist das deutsche Problem – Vergleichbares passierte in praktisch allen Staaten des Westens –, sondern die verquere Links-Rechts-Geometrie im westdeutsch dominierten Gemüt, in dem seit Merkels historischem Federstrich – siehe die gerade erschienene Biographie von Klaus-Rüdiger Mai – die ›Brandmauer‹ für das historische Nie wieder! einsteht, weil … nun ja, weil die vereinte Nation in den Köpfen derer, die schon länger in ihr das organisierte Sagen haben, bis heute nicht angekommen ist.
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Gebannt starrt das Ausland auf dieses Spektakel. Entledigt sich Deutschland seiner Demokratie, so wie es sich, wie es scheint, aus übergeordneten Gründen seiner Wirtschaft zu entledigen gedenkt? Endet das Musterland der Demokratie dort, wo jene alten Kameraden lauern und kichern, die tödlich beleidigt reagieren, sobald sie öffentlich auf westliche Selbstverständlichkeiten wie Rechtsstaat, Freiheit der Meinungsäußerung und Anspruch auf körperliche Unversehrtheit angesprochen werden? Das sind Fragen, die gestellt werden, nicht, weil es den Deutschen passt oder nicht passt, sondern weil die Welt so denkt, wie sie denkt, und ein sichernder Blick auf diese Deutschen, schon aus Sorge um Europa, nicht fehlgehen kann. Deutschland ist das ideologische Schlachtfeld der Welt, zumindest der westlichen, das hat es in der Vergangenheit mehrfach bewiesen. Zwar sind, wenn es jetzt im Kessel schäumt und brodelt, die Ingredienzien nicht unbedingt hausgemacht. Im Gegenteil: Sie zirkulieren überall im Westen, soweit er des Englischen mächtig ist, und es fällt nicht schwer zu konstatieren, dass der größte Teil des Phrasenhaushalts der Deutschen schlicht abgeschrieben ist. Sie machen sich ja kaum noch die Mühe der Übersetzung. Im Ernstfall müssen die Kämpen erst die Aussprache üben, bevor sie sich in den Endkampf stürzen. Doch was in Deutschland geschieht, das betrifft nicht nur das Machtgefüge der Welt, es wird automatisch, früher oder später, zu einer Frage – so denken viele – … auf Leben und Tod.
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Die Brandmauer hat die ›alten‹ Parteien der Bundesrepublik zu einem Konglomerat zusammengeschoben, das ›Parteienlandschaft‹ zu nennen eng an Hochstapelei grenzt. Schuld daran trägt nicht allein der Kanzlerwahlverein CDU, sondern auch die Sozialdemokratie, die sich mit verdächtigem Eifer den ›Kampf gegen Rechts‹ als Kampf gegen die aufkommende Hohlheit der eigenen Ansprüche anzog, ganz zu schweigen von den sogenannten Liberalen, die vermutlich die Entstehung der AfD hätten verhindern können, hätte … hätte das System Merkel nicht auch sie rücksichtslos entkernt. Faktisch existiert also bereits ein Zweiparteiensystem im Lande – mit dem BSW, falls es sich in der Rolle einrichten kann, als Mehrheitsbeschaffer –, das darauf wartet, von den politisch Handelnden realisiert und von der Bevölkerung als solches angenommen zu werden. Doch sobald die konkrete Machtausübung ›im Raum steht‹, wird es vom ›demokratischen‹ Parteienkartell kurzerhand torpediert – mit abklingendem, aber im Endeffekt absehbar stabilem Erfolg, wie die Landtage zeigen. Das hätte nicht so kommen müssen. Es ist dem beharrlichen Machttrieb einer in der Diktatur aufgewachsenen Kanzlerin sowie der taktisch-ideologischen Verbohrtheit ihrer politischen Erben zu verdanken, dass die Verhältnisse sich so entwickelt haben und offenbar blind in die einmal eingeschlagene Richtung weiterlaufen.
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Ein struktureller Grund, aus dem sich die Dinge so entwickeln konnten, liegt in der medienpolitischen Situation. Das kulturelle Deutschland ist zum Appendix der englischsprachigen, US-dominierten Öffentlichkeit verdampft, es sei denn … es sei denn, man beklatscht die ausschweifende Banalisierung und Vereinseitigung der amerikanischen Verhältnisse als deutsche Zugabe. Vieles von dem, was über Donald Trump in den letzten Jahren in deutschen Zeitungen zu lesen stand, fiele nach EU-Eigenstandard unter Hassrede. Faktisch vermengt es sich, bis an die Grenze zur Ununterscheidbarkeit, mit dem heimischen ›Kampf gegen Rechts‹ –: mit dem Effekt, dass das amerikanische Repräsentationssystem – hie ›Demokraten‹, hie ›Republikaner‹ – bei Journalisten wie Publikum das eigene fortlaufend überschreibt. Die politischen Auseinandersetzungen im eigenen Land erlebt die Mehrzahl der mediengläubigen Deutschen, als handle es sich um die der USA, von denen die meisten eher rudimentäre Vorstellungen besitzen. Die falsche, selbst-irreführende Identifikation des Nichtidentischen verhindert zuverlässig die Verständigung über reale Differenzen und Gemeinsamkeiten und befeuert an ihrer statt das trügerische Spiel der Stereotypen, bei dem von vornherein der Feind den Gedankengang dominiert, als sei er es, der das Sagen habe, und einem selbst bleibe nur die Aufgabe sich abzugrenzen. Den vorläufigen Endpunkt markiert die aktuelle Groteske, dass alle Welt sich auf die zweite Amtszeit des republikanischen Kandidaten einstellt, während hierzulande die ›Rechte‹ trickreich und auf Kosten parlamentarischer Bräuche von der Ausübung legitimer Rechte abgeschnitten wird, um Trump zu verhindern. Die Folgen auf der weltpolitischen Bühne, das zu prophezeien fällt nicht schwer, werden über die Kräfte dieses Landes gehen.
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Anders als Frankreich, anders als England, die ›Weltpolitik‹ im alten Stil, wenngleich mit vermindertem Eintrag, treiben und zusehen können, wie sich die Dinge draußen, das heißt zur Zeit, im Osten Europas entwickeln, ist Deutschland sofort Objekt einer solchen Politik und darf relativ ohnmächtig zusehen, wie sich die Dinge auf seinem Boden gestalten. Die Sprengung von Nord Stream 2 hat Deutschland, abgesehen vom ökonomischen Schaden, in die Rolle eines willenlosen außenpolitischen Helfershelfers der USA getrieben, vielleicht auch nur bloßgelegt, was bereits länger in der Stellung des wiedervereinigten Landes angelegt war. Dass die Bloßstellung letztlich so teuer kam, hat gewiss auch mit dem Anti-Trump-Kurs der letzten Regierung zu tun, die, aus Gründen persönlichen oder ideologischen Gutdünkens, nicht einsehen wollte, dass dessen Kurskorrekturen im Großen und Ganzen unter dem Nachfolger bestehen bleiben und das Verhältnis zu den Verbündeten in Europa auf Dauer beeinflussen würden. Die Stärkung des US-Energiemarktes auf Kosten des billigen russischen Gases mit allen Mitteln gehört ebenso dazu wie die veränderte Lastenverteilung innerhalb der Nato mit dem Ziel einer Neuausrichtung des Bündnisses. Und schon steht Deutschland an der Schwelle, die alten Fehler aufzuwärmen –: mit dem Unterschied, dass die Vorteile der Vergangenheit aufgezehrt sind und die kommenden Unkosten die bereits aufgelaufenen um ein Vielfaches zu übersteigen drohen. Schon raunen die Auguren, Trump werde versucht sein, den Ukraine-Krieg zu europäisieren. Das könnte sich, das stramm-deutsche Hardcore-Getöse im Ohr, rasch als worst case entpuppen.
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Ist die deutsche Politik wirklich so hoch ideologisiert wie ihre Kritiker dies behaupten? Man kann die Frage an die grünen Impulsgeber, man kann sie an den Machtapparat als solchen weiterreichen. Rückwärtsgewandte Beobachter pflegen die Überzeugung, ein Machtverlust der Grünen würde automatisch eine ›bessere‹ Politik zur Folge haben. Das dürfte sich, falls er denn eintreten sollte, als Irrtum erweisen. Bei Standardthemen wie Meinungsfreiheit, green economy und Einwanderung folgt die deutsche Politik EU-Vorgaben, und zwar keineswegs augenzwinkernd, sondern – parteienübergreifend – im Modus pünktlicher Erfüllung, allenfalls Übererfüllung. Der Politikmotor EU, das ist – in mancher Hinsicht – das Ensemble der nationalen Regierungen noch einmal, ausgestattet mit der übersinnlichen Fähigkeit, die Entscheidungen der nationalen Souveräne, also der Wähler, mit leichter Mühe zu überschreiben. Diese Selbstermächtigung der Exekutive mit Hilfe des über jedweden ›Nationalismus‹, der sich in den Mitgliedsstaaten regt, verhängten Banns versetzt nicht unbedingt eine Partei in die privilegierte Lage, Herrschaftsabsichten quer durch die Union zu verwirklichen, schon gar nicht die relativ kleinen, allerdings überproportional regen Grünen, sondern das etablierte Parteienspektrum als solches, soll heißen, die beschließenden Kräfte dessen, was man heute, mit unterschiedlichem Zungenschlag, als ›Brüssel‹ bezeichnet. Wenn Länder wie Italien oder die Niederlande sich ›ihre Souveränität von Brüssel zurückholen‹ wollen, dann deshalb, weil dort der Außenseiter Populismus in der Regierung sitzt und das ausgesperrte Volk an die Türen der Macht klopft. Werden sie sich abstrafen lassen, wie Ungarn das schon länger gewohnt ist, oder werden sie sich als hinreichend geschmeidig erweisen, ihren Einspruch im Behördenalltag zu überspielen? Das ist die Frage.
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Der deutsche Michel, sich wälzend im Bett der anstehenden Entscheidungen, hat den Löffel, wie empfangen, wieder abgegeben. Genauer: Er hat ihn weitergereicht. Man darf darüber grübeln, inwiefern bereits die letzten Kabinette Kohl und Schröder Abschied vom klassischen Politikmodell genommen hatten, das am eintretenden Ereignis Maß nimmt und Erfolg daran misst, wie gut es gelingt, Schaden vom Volk abzuwenden. Unter Merkel, das hat der Augenöffner Ahrtal auch den trägen Teil des Publikums merken lassen, wurde dieses Modell für Deutschland ad acta gelegt. An seiner Stelle konnte sich das von den Satellitenregimen des Sowjetimperiums frank und unfrei bis zum Untergang praktizierte bürokratische Modell der Umsetzung von Plänen mit Gesetzescharakter und planvoll-artig in rechtlich unverbindlicher Form festgehaltenen Vorgaben aller Art verfestigen: eine integriert-diffuse Form der Machtausübung, bei der der Beschluss dem Ereignis vorangeht, das Ereignis mag folgen oder auch nicht, in welcher Ausprägung auch immer. Beispiel Covid: Das Ereignis der Pandemie war der Lockdown. Die behördliche Vokabel ›Pandemie‹ ist ein Beschlusswort, dessen Inanspruchnahme die Prozedur der Inkraftsetzung von Regeln auslöst, so wie EU-Beschlüsse das Vorspiel zum Ereignis nationaler Umsetzung bilden. Unterbleibt die Umsetzung, dann treten Sanktionen in Kraft oder auch nicht. Gleichgültig, welche Impulse Merkels eigenartiger Regierungsstil aus dem Raum der wirklich wichtigen Mächte empfangen und welche er ausgesandt haben mag – unter ihrer Ägide hat sich die deutsche Politik fest mit einem Kranz transnationaler Ideenwerkstätten wie dem WEF und Institutionen wie UNHCR, UN Global Compact, WHO u.ä. verwoben, deren stetige Fabrikation von ›Initiativen‹ und Abkommen sowie, nicht zu vergessen, von einschlägig alternativlos geschultem Personal es den nationalen Exekutiven erlaubt, den Souverän geräuschlos aus ihrem Kalkül zu eliminieren. So kann auch Mittelmaß zum Treiber werden. Hätte Merkel damit Kohls Vision vom ›guten Europäer‹ Deutschland für alle Zeit in Wirklichkeit umgesetzt?
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Der Ausdruck EUdSSR reicht ins letzte Jahrhundert zurück. Das Bürokratiemonster wurde zum weltpolitischen Akteur, der innen wie außen Gegenwind erntet. Je stärker die Union als ideologisches Zwangssystem zur Durchsetzung globaler Interessen in die Kritik gerät, desto stärker gerät Deutschland ins Zentrum dieser Kritik. Noch gilt es nicht als Erzbösewicht Europas. Doch die Rolle, in der es schon einmal erfolgreich Geschichte schrieb, liegt aufgeschlagen bereit. Mag sein, der ausstehende Entschluss, ›deutsche‹ Taurus-Raketen an die taumelnde Ukraine zu liefern, wird einmal in diesem Sinne in die Geschichtsbücher eingehen. Mag sein! Die Verbündeten liefern bereits und waschen ihre Hände in Unschuld. Zum Teufel mit den Geschichtsbüchern! Mag sein, alles kommt anders und die zweite Regierung Trump erledigt, wie im Wahlkampf angekündigt, im Handumdrehen, wozu die europäische Politik sich mehrmals um die eigene Achse drehen müsste. Noch ist die Biden-Administration für Überraschungen gut und guter Rat teuer. Sehen kann auch ein Blinder: Die militärische Eskalationsspirale und der deprimierende Kriegsverlauf wecken den Bedarf an neuen Sündenböcken. Es hat keinen Sinn, von aufkommenden Wolken zu reden, wenn man bereits im Regen steht. Das Verrückte daran ist, dass die politische Selbstblockade des Landes alle Aussicht auf Besserung verschließt.
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An grüner Politik lässt sich ablesen, wie rasch Weltethik in organisierte Verantwortungslosigkeit umschlägt – anfangs im Nahbereich der Nation und ihrer Alltagswehwehchen, für die man kraft Amt Verantwortung übernimmt, doch schneller als erwartet dann auch im Weltmaßstab, für den man sich bestens gerüstet sah. Denn es ist Verantwortungslosigkeit pur im Weltmaßstab, sehenden Auges das Risiko atomarer Vernichtung einzugehen, weil man sich im Recht sieht und die ›höhere Moral‹ für das eigene Handeln in Anspruch nimmt. Dazu braucht es nicht zwingend die atomare Perspektive. Es genügt, den großen Krieg nicht mit allen Mitteln verhindern zu wollen, keineswegs aus bewusster Verantwortungslosigkeit, sondern aus einem hybriden Verantwortungsbewusstsein heraus, das sich der gemeinsamen Sache mehr als den Menschen verbunden weiß. Wer Verantwortung für die Welt übernimmt, der übernimmt, wie der Weltlauf enthüllt, keine Verantwortung, es sei denn vor den eigenen Zirkeln, die stramme Gesinnung und Unterordnung unter gefasste Beschlüsse fordern. Das gilt auch dann, wenn diese Zirkel sich auf internationalen Foren und im Bauch transnationaler Institutionen im Bewusstsein kurzschließen, die Weltelite zu repräsentieren – ein hypertropher Glaube auch das und ein Schlag ins Gesicht der Menschen, der immer andere Sorgen haben.
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Die politischen Ideen, schreibt Karl Mannheim, sind längst bekannt: nichts Neues unter der Sonne. Man könnte daraus ableiten, dass jede politische Entwicklung, gleichgültig, wie neu oder fremdartig sie dem großen Publikum erscheint, binnen kürzester Zeit von den Profis des Gewerbes entziffert und zuverlässig subsumiert wird. Nicht, dass sich auf diesem Weg Einigkeit herstellen ließe – politische Begriffe sind bekanntlich Kampfbegriffe und werden den jeweiligen Interessen entsprechend eingesetzt. Das aber … lässt nur die Folgerung zu, dass auch die deutsche Selbstblockade von starken politischen Kräften gewollt wird. Eine institutionelle Blockade, die geeignet ist, das Land in eine konstitutionelle Krise und mehr zu reißen, in Krisen, die nicht auf den politischen Bereich beschränkt bleiben, sondern das Zeug dazu haben, weite Teile der Bevölkerung massiv zu schädigen – Schlimmeres anzudeuten verbietet die Scheu vor dem verhüllten Antlitz der Geschichte –, lässt auf drei mögliche Typen von Akteuren schließen: ideologisch Verblendete, zynische Geschäftemacher, die ihren Gewinn oder den ihrer ›Firma‹ über das Gemeinwohl stellen, und äußere Feinde, bereit, die Gunst der Stunde zu nutzen, um einen Konkurrenten auf der weltpolitischen (und ökonomischen) Bühne zu neutralisieren. Wer die EU schwächen oder neutralisieren will, der muss Deutschland schwächen (oder neutralisieren). Wer glaubt, die EU habe sich mit ihrer Ukraine-Politik nur Freunde auf dem Planeten geschaffen, der muss wohl auf dem Mars leben. Wer glaubt, Europas Reichtum sei sein naturgegebenes Erbteil, der sollte rechtzeitig in die Geschichtsbücher schauen. Wer schließlich glaubt, Europa könne, anders als das halb-asiatische Russland, souverän über Krieg und Frieden – und seinen Anteil daran – verfügen, der allerdings sollte den nächstgelegenen Psychiater aufsuchen und um formlose Einweisung bitten.