von Jobst Landgrebe
Die Athener Vollbürger des 5. Jahrhunderts waren Freiheitsfanatiker. Sie liebten ihren Stadtstaat, weil es ihnen auf dem Höhepunkt der Demokratieentwicklung gelungen war, ihn durch soziale und rechtliche Normen so zu gestalten, dass der Staat das notwendige Gewaltmonopol innehatte, ohne es wesentlich zu missbrauchen. So waren sie wahrhaft frei, konnten ihren individuellen und kollektiven Willen ausleben, solange sie sich an die sozialen und rechtlichen Normen hielten. Freiheit auszuleben geht mit individueller Risikobereitschaft und kollektiver Wehr- und Opferbereitschaft sowie Dankbarkeit für das Gemeinwesen einher, da Willensentfaltung die Möglichkeit zum Scheitern beinhaltet und nach außen gerichtet zu Konflikten mit anderen Staaten führt. Die Athener waren bereit, diese Risiken zu tragen und im bewaffneten Konfliktfall selbst in den Krieg zu ziehen und sich für ihr Gemeinwesen zu opfern. Sie waren ihren Mitbürgern dafür zutiefst dankbar und ehrten die Opfer ihrer Risikobereitschaft.
von Ulrich Schödlbauer
Wider das Vergessen: Wir wissen jetzt, wie das gemeint ist. Wir, die ›nach dem Kriege‹ Geborenen, haben im Schatten dieses Appells gelebt, wir haben zu verstehen geglaubt und die Aufgabe umstandslos auf das historische Geschehen bezogen, dessen Zeitzeugen wir, nach Lage der Dinge, nun einmal nicht mehr sein konnten. Wir haben uns, so gut es ging, an der ›Aufarbeitung‹ beteiligt – ein historisches Verdienst, dessen sich die Generation der späten Geburt von Anfang an brüstete und für das sie sich im Alter mit Ehren bedecken lässt, ohne, wie sich jetzt herausstellt, die psychische Dynamik kennengelernt zu haben, die dem Appell seine ganz eigene Bedeutung verleiht: anzugehen gegen die moralische Benommenheit, die den vom Albtraum des verbrecherischen Treibens Befreiten ins Licht taumeln lässt und den eigenen Anteil daran, das berühmte Mitmachen auf allen Ebenen, dadurch verwischt, dass sie die Überkomplexität des Geschehens in ein ›Das war alles ganz anders‹ umdeutet.
von Rainer Paris
An Deutungen und Analogien des Fußballs herrscht wahrlich kein Mangel. Er sei Mikrokosmos und Tugendregister, Spiegel oder auch Zerrspiegel der Gesellschaft und anderes mehr. Wie immer bei solchen Aussagen und Vergleichen – sie treffen in einiger Hinsicht zu und blenden anderes aus.
Hier nun soll eine weitere Variante ausprobiert werden: Fußball als Abbild des Lebens. Marco Bode und Dietrich Schulze-Marmeling haben in einem ausgezeichneten Buch Tradition schießt keine Tore (Verlag Die Werkstatt, Bielefeld 2022) am Beispiel Werder Bremen die vielfältigen Veränderungen und Herausforderungen nachgezeichnet, die der moderne, kommerzialisierte Profifußball in den letzten Jahrzehnten erlebt hat. Analytische Anleihen (bei Daniel Kahneman), sportliche und organisatorische Binnenperspektive werden hier aufs Trefflichste miteinander verzahnt, ein Muss für jeden Sportsoziologen und Sportwissenschaftler.
Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2024 Lucius Garganelli, Serie G