von Philipp Bender
Falls es etwas in diesem Land gibt, das tatsächlich bunt und vielfältig ist, ohne dass es hierfür der gebetsmühlenartigen Beschwörung eines Buntheits-Vielfalts-Kitsches bedarf, dann ist es unsere Sprache. Immer wieder stößt man selbst als belesener Zeitgenosse auf Begriffe, Wendungen und Slogans, deren Bedeutung sich nicht ohne Weiteres erfassen lässt. Gehört man zu denjenigen Sprachkonsumenten, die nicht zum Heer der unkritischen Allesfresser zählen, dann hält man bei einer solchen neuen Begegnung inne, wird vielleicht neugierig und sodann motiviert, sich semantisches Neuland zu erschließen. Oder sollte ich besser sagen: zu erobern?
So erging es mir mit dem häufig anzutreffenden Ausdruck ›Whataboutism‹ bzw. seinem übleren, weil typisch teutonisch eingedeutschten Bruder ›Whataboutismus‹. Diese hatten – zumal offensichtlich von fremdsprachlicher Zunge stammend – bis vor Kurzem in meinem Wortschatz noch nicht Fuß gefasst. Vor allem im Internet kommen die Meinungsstarken offenbar nicht mehr ohne ihn aus, sei es in der Rolle des staatsalimentierten Qualitätsschreibers oder des bewegten Kommentators in den sogenannten ›Sozialen Medien‹. Wie beinahe alles, was sich als unverständlicher Anglizismus präsentiert, hat sich ›Whataboutism‹ besonders rasch in den Herzen und Köpfen der postmodernen Globalismus-Jünger breit gemacht. Gemeint sind diejenigen aufgeklärten Gewinnertypen, die die Enge national-sprachlicher Container hinter sich gelassen haben und für die die Forderung nach begrifflicher Klarheit so spießig wirkt, wie Opas Jägerzaun.
von Ulrich Schödlbauer
Vergessen wir nie: Jede Art von Notstand, gleichgültig, ob kriegs- oder seuchenbedingt, allgemein oder speziell, entmündigt den Souverän, soll heißen, verlagert die Souveränität ins Feld der Exekutive, die nach Ausnahmerecht, das heißt nach gehegter Willkür verfährt. Wer das – womöglich wütend – bestreitet, der betreibt ganz einfach Falschmünzerei. Der Gründe dafür gibt es viele – von der nicht besonders ausgeprägten Bereitschaft der Regierenden, auch verbal die volle Verantwortung für das zu übernehmen, was sie nun einmal veranlassen, über die propagandistische Beflissenheit einer maßnahmenhörigen Medienlandschaft bis zur hochgradigen, durch Ängstlichkeit gesteigerten Verwirrung der Regierten.
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Nichts leichter als die Beendigung eines Notstandes, nichts schwerer – wer einmal gefällte Entscheidungen wie eine bequemerweise ›Lockdown‹ genannte Ausgangs-, Konsum- und Produktionssperre zurückdreht, der wirft viele Fragen auf: Fragen nach Anlass und Verlauf des Geschehens, Fragen nach Berechtigung und Effizienz der ergriffenen Maßnahmen, Fragen, die den angerichteten Schaden neben den propagierten Nutzen stellen und, neben dem Schadenersatz, auch die menschlichen und ideellen, nicht wieder gutzumachenden Schäden ins Blickfeld rücken. Kommt die Aussicht auf eine explosionsartig sich bemerkbar machende Wirtschaftskrise hinzu, deren Scheitelpunkt sich noch hinter den dichten Wolken akademischen Rätselratens verbirgt, dann wächst die Zögerlichkeit, zur staatlichen Normalität zurückzukehren und den Bürgern die Rückkehr in ihre Alltagsnormalität zu ermöglichen, im umgekehrten Quadrat zur noch immer grassierenden, aber rapide abnehmenden Angst der Vielen, die den Ausnahmezustand rechtfertigte und, Hand aufs Herz, erst ermöglichte.
von Boris Blaha
Lebenserfahren nennt man jemanden, der viel herumgekommen ist, viel erlebt hat, zahlreiche unterschiedliche Länder, Menschen, Sitten und Gewohnheiten kennengelernt, ja sie buchstäblich erfahren hat. Dagegen wird man Menschen, die nie aus ihrem kleinen Dorf herausgekommen sind und solchen, die das geistige Milieu ihres Konfirmationsstuhlkreises ihr Lebtag nicht verlassen haben, einen eher beschränkten Horizont attestieren. Erfahren kann nur werden, wer sich Gefahren aussetzen kann, wobei hier als Gefahr nicht nur eine existenzielle Lebensgefahr gemeint ist, sondern jegliche Konstellation, in der man nicht sicher vorhersehen kann, was sich als Nächstes ereignen wird. Für dieses Fehlen von Gewissheit gibt es im Deutschen den schönen Begriff ›unheimlich‹. Unheimlich kann schon der dichte Wald sein, in dem das flaue Gefühl der Orientierungslosigkeit auftaucht, was in aller Regel das berüchtigte ›Pfeifen im Walde‹ hervorruft. Wer noch genügend Fantasie hat, mag sich vorstellen, wie es wohl gewesen sein muss, als sich Gefährten auf unsicheren Schiffen das erste Mal aufs offene Meer hinauswagten und außer Wasser rings herum nichts anderes mehr zu sehen war. Im Unterschied zu heute galt früheren Zeiten die Fähigkeit, ungewisse, gar gefährliche Begegnungen, zumal mit Fremdem, in friedliche und angstreduzierte Bahnen zu lenken, ungleich mehr.
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