
Hatte sich zumal die westliche Welt nach dem Fall der Mauer 1989 und dem Ende des ›realsozialistischen Systems‹ darauf verständigt, dass zum herrschenden kapitalistisch-neoliberalen Gesellschaftsmodell keine Alternative bestehe und das Ende der Geschichte (F. Fukuyama) angebrochen sei, so hat die jüngste Vergangenheit bewiesen, dass diese Sichtweise außerordentlich fragwürdig ist. Weltweite Kriege, Massenmigration, Klimakatastrophen, Schwächung demokratisch regierter Länder und Anwachsen populistisch-autoritärer Staaten rings um den Globus prägen eine Welt, die zunehmend unsicher über ihre Zukunft ist. Geeignete Konzepte zur Lösung weltweiter Problem sind Mangelware; stattdessen breitet sich ein Klima aus, in dem Verschwörungstheorien und fake news Massen beeinflussen und verführen. Jahrzehntelang gültige Konzepte wie die von ›Volksparteien‹ als Stabilisationsfaktor der Demokratie in Deutschland und Europa sind nicht mehr gültig; radikale Ränder bedrohen die demokratische Mitte, wie die jüngsten Landtagswahlen in Ostdeutschland das nachdrücklich bewiesen haben. In Europa befindet sich die Sozialdemokratie in freiem Fall, die Konservativen verlieren ihre Wähler an die neue Rechte. Der Rückzug in den Nationalstaat samt Glorifizierung der ›Heimat‹ wird als rettender Ausweg gepriesen, doch zeigt gerade die jahrelange, zuletzt nur noch hasserfüllte, Debatte um den Brexit in Großbritannien, dass damit kein einziges Problem gelöst wird, sondern lediglich neue geschaffen werden.
Schreibverfahren in Medizin und Literatur– ein interdisziplinärer Blick
von Felicitas Söhner
Ärztliches Alltagshandeln ist geprägt von Schreibverfahren: medizinische Akteure protokollieren, beschreiben, empfehlen und halten in Akten fest. Technischer, diagnostischer und therapeutischer Fortschritt, administrative Anforderungen wie mechanische Aufzeichnungsformen nehmen und nahmen Einfluss auf medizinisch-epistemische Genres. Der vorliegende Sammelband geht zurück auf eine Ringvorlesung internationaler Wissenschaftler der Mercator-Forschergruppe Räume anthropologischen Wissens an der Ruhr-Universität Bochum in den Jahren 2011 und 2012. Darin konzentrieren sich die Herausgeber Yvonne Wübben, Medizinerin und Literaturwissenschaftlerin, und Carsten Zelle, Germanist, auf das Verhältnis von Literatur und Medizin.
von Gunter Weißgerber
Der Berliner De Gruyter Verlag überraschte Anfang des Jahres mit dem Reprint eines Buches von 1997. Das Ende der Kritik von Ulrich Schödlbauer, einem klugen Beobachter gesellschaftlicher Ermüdungsprozesse, die er aus seiner Sicht als ›Ende der Kritik‹ beschreibt.
Was bewegt einen Verlag, ein Buch nach über 20 Jahren erneut und zu keinem Massenwarenpreis zu veröffentlichen? Um dem Verfasser einen Gefallen zu tun? Sicher nicht. Zumal der Verfasser vom Reprint erst nach der Veröffentlichung erfuhr. Um Geld zu machen? Das sicherlich ebenfalls nicht. Ist der Titel auch eingängig und appetitanregend, der intellektuell anspruchsvolle wie wuchtige Text macht Arbeit. Der Markt dagegen bedient Schnellleser und füttert mit kurzen Parolen an.
Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2024 Lucius Garganelli, Serie G