von Herbert Ammon
Wie real ist die ›braune Gefahr‹, wie verbreitet sind rechtsextremistische Tendenzen unter Jugendlichen, was fasziniert an der Subkultur der Skinheads, an Nazi-Rock und martialischem ›Outfit‹? Wann immer von ›rechten‹ Gewalttaten zu berichten ist – da wird ein Obdachloser totgeprügelt, da wird ein Jugendlicher wegen seines ›linken‹ Aussehens zusammengeschlagen und in der Jauchegrube versenkt – sind die Medien mit Erklärungen schnell zur Hand: Schuld sei der nie überwundene Rechtsextremismus, der im Gefolge der Wiedervereinigung aufgelebt sei und vor allem im östlichen Deutschland seinen Nährboden gefunden habe. Werden ›Experten‹ zu Rate gezogen, so dient bezüglich der Ex-DDR als theoretisches Grundmodell vielfach noch der ›autoritäre Charakter‹ und die Faschismus-Skala, welche die westdeutschen 68er einst bei Th. W. Adorno u.a. erlernten und auf ihre Vätergeneration anwandten.
von Herbert Ammon
Der Pädagoge Micha Brumlik zielt mit seinem Essay auf um das von Erika Steinbach (CDU) und dem 2005 verstorbenen Peter Glotz (SPD) initiierte Zentrum gegen Vertreibungen. Anfangs gehörte er neben Persönlichkeiten wie György Konrad, Ralph Giordano und Alfred de Zayas zu den Befürwortern des Projekts. Er habe sich davon distanziert, als ihm »klar wurde, dass die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen nicht wirklich willens und in der Lage war, sich von ihrem nationalkonservativen und völkischen Umfeld zu lösen« (135). Ungeachtet des von den Initiatoren bekundeten Konzeptes vermutet Brumlik als »das heimliche Motiv vieler vielen (nicht aller) Betreiber der Zentrumsidee« eine »Konkurrenz mit dem Gedenken an die Opfer der Shoah« (117) und meint, jüdische Intellektuelle wie Ralph Giordano, Julius H. Schoeps und Michael Wolffsohn seien »von Steinbach letztlich düpiert worden« (125).
von Perry Anderson
Unter den heutigen US-amerikanischen Journalisten ist Christopher Caldwell, um einen russischen Ausdruck zu gebrauchen, eine weiße Krähe. Nicht nur seine kulturelle Reichweite ist wahrscheinlich ohne Gleichen – mehr als nur flüssig in den großen europäischen Sprachen ist er auch mit dem vertraut, was in ihnen geschrieben wird. Aber auch in Bezug auf seine Intelligenz unterscheidet er sich von den meisten Reportern und Kommentatoren. Auch wenn sein Hintergrund literarisch ist, ist es ein philosophischer Zug seines Geistes, der seine Arbeiten von denen seines Gleichen unterscheidet. Was sein Interesse normalerweise findet, sind Dilemmata – begriffliche, moralische, soziale –, die in Standarddiskursen dominierender oder marginaler Tagesfragen entweder verdunkelt oder übergangen werden. Seine diesbezüglichen Schlussfolgerungen sind fast immer, so oder so, beunruhigend und verstörend. Die Kolumnen dieses leitenden Redakteurs des Weekly Standard, dem Flaggschiff des US-amerikanischen Neokonservatismus, und seine Kolumnen in der Financial Times lassen einen Großteil der liberalen Meinungsmache als jenen eintönigen Einheitsbrei erkennen, der er auch zu häufig ist.
Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2024 Lucius Garganelli, Serie G