
von Markus C. Kerber
Jacques Attali, der ehemalige Berater von Mitterrand und Pariser Vordenker, der sich nie gescheut hat, seinen Deutschlandhass öffentlich zu machen, riet allen französischen Regierungen, Deutschland dazu zu zwingen, gemeinsame Schulden der EU zu akzeptieren. Das Ziel dieses Unterfangens sei nicht nur, die Verschuldungskapazität der EU in eine neue Dimension zu bringen, sondern ein für alle Mal Deutschland an eine französisch dominierte EU zu fesseln. Klug – um nicht zu sagen hinterlistig – wie Attali ist, hatte er erkannt, dass sich Deutschland damit der wesentlichen Option, die gerade nach dem Lissabon-Vertrag allen Mitgliedsländern zusteht, faktisch begeben würde: Der Möglichkeit, aus der EU auszutreten (Vgl. Art. 50 EUV). Die Entscheidung des Vereinigten Königreichs, die Europäische Union zu verlassen, hat der Brüsseler Bürokratie vor Augen geführt, was passiert, wenn – zu Recht oder zu Unrecht – ein Volk der Meinung ist, dass es die Kontrolle über sein eigenes Schicksal verloren hat.
Wenn indessen durch einen ›Wiederaufbaufonds‹ von gigantomanischen Ausmaß, der erst ab 2027 – und nicht etwa von Griechenland und Zypern, sondern von den etwas bodenständigeren Mitgliedsländern der EU – zurückzuzahlen sein wird (jedenfalls bürgen dieselben für die Rückzahlung), dann wird der Austritt für ein Land von der Größenordnung Deutschlands umso schwieriger. Denn Deutschland würde die EU nie verlassen können, ohne zuvor die verbliebenen Altschulden zu regeln. Und die verbleibenden Mitglieder um den Club Med (Frankreich, Italien, Spanien) würden Deutschland nicht gehen lassen, ohne eine Regelung dieser Frage zu Lasten Deutschlands zu erzwingen.
von Markus C. Kerber
Dass die unbedingten Unterstützer der EZB aus Nah und Fern mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5.5.2020 ihre Schwierigkeiten haben würden, konnte man leichthin voraussehen. Zu sehr hatte sich der Chefvolkswirt des Bankhauses Berenberg, Dr. Schmieding, bereits im Vorfeld auf eine Einordnung des verfassungsgerichtlichen Urteilsspruchs festgelegt. In einer Notiz vom 28.4.2020 meinte Schmieding zu wissen, dass es der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts – trotz der kritikbetonten mündlichen Verhandlung vom 30.7./31.7.2019 – bei einer restringierenden Handhabung des PSPP Programms in seinem Urteil belassen würde.
Nach dem unerwarteten Urteilsspruch 5.5.2020 hatte Schmieding am Tag danach sofort eine Lösung parat. Es läge alles nur an der Kommunikation. Die EZB müsse ihre Analysen und Politikvorschläge besser kommunizieren. Dass in keinem der dem PSPP Programm zugrunde liegenden Beschlüsse auch nur ansatzweise eine ökonomische Analyse oder Bewertung zu finden ist, war Schmieding scheinbar nicht aufgefallen. Noch bemühter um eine wogenglättende Interpretation des Karlsruher Urteilsspruchs war die Reaktion von Stefan Bielmeier. Bielmeier, Chefökonom der DZ Bank und immerhin Vorsitzender des wichtigen Berufsverbandes DVFA, ließ sich von der FAZ damit zitieren, er meine, die EZB würde zur Verhältnismäßigkeit des PSPP Programms Begründungen nachliefern: »Ich glaube, dass die EZB konstruktiv mit dem Urteil umgehen wird.«
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Kollege Michael Kretschmer,
öffentliche Kritik bekommt man frei Haus, Zuspruch ist dagegen meist Fehlanzeige. Sie wissen das, ich weiß das. Deshalb schreibe ich ihnen und möchte, dass es bekannt wird.
Sie scheinen ein Grundverständnis von Politik zu besitzen, welches ohne die Kommunikation zwischen auf Zeit Regierenden und ihrem Souverän nicht auskommt. Selbst wenn der Souverän seine Beziehung zum Staat infrage oder gar einstellt, muss der Staat, das sind in dem Fall auch Sie als Ministerpräsident, die Kommunikation selbst unter erschwerten Bedingungen suchen. Geschieht das nicht, kann das Gemeinwesen einpacken. Es delegitimiert sich sozusagen selbst.
Ich freue mich, dass Sie Meinungsfreiheit, Demonstrationsrecht und Kommunikation zwischen auf Zeit Gewählten und Wahlvolk durch ihr Verhalten öffentlich bezeugen. Das machen längst nicht alle ihre Kolleginnen und Kollegen. Ob aus Angst, die Diskussion nicht bestehen zu können oder aus Überheblichkeit, wer weiß das so genau. Schlecht ist es in jedem Fall.
Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2024 Lucius Garganelli, Serie G