
von Richard Schröder
In einem neueren Aufsatz (»Dreißig Jahre danach. Die zweite Chance«, Blätter für deutsche und internationale Politik 9/2020) ist Jürgen Habermas der Frage nachgegangen, worauf die hohen Wahlerfolge der AfD im Osten beruhen. Seine Erklärung: Die Ostdeutschen konnten sich nie gründlich mit der NS-Zeit auseinandersetzen, denn sie hatten »weder vor 1989 noch nachher Zugang zu einer eigenen politischen Öffentlichkeit, in der konfligierende Gruppen hätten eine Selbstverständigungsdebatte führen können.«
Es stimmt, dass in der DDR bis 1989 eine mit der bundesrepublikanischen vergleichbare Auseinandersetzung mit der NS-Zeit nicht stattgefunden hat, »weil sich 1945 an die eine Diktatur eine andere angeschlossen hat.« Wahrscheinlich sind die Kontinuitäten und Analogien zwischen den beiden Diktaturen heute vielen nicht mehr präsent, weil sich die SED-Diktatur im Unterschied zur Nazi-Diktatur im Laufe der Zeit mäßigte, zugleich aber der Terror der Frühzeit wirksam tabuisiert war. In der DDR wurde bis 1989 permanent erklärt, die DDR gehöre an der Seite der Sowjetunion zu den Siegern der Geschichte und habe ›den Faschismus‹ (das Wort Nationalsozialismus wurde vermieden) mit Stumpf und Stiel ausgerottet durch die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln. Das Schlimmste an dieser Faschismus-Theorie: Der Antikommunismus der Nazis wurde so stark betont, dass ihr Antisemitismus dahinter fast verschwand. Die Ermordung Ernst Thälmanns (die Stalin bis 1941 hätte verhindern können) spielte im öffentlichen Gedenken der DDR eine überragend größere Rolle als die Ermordung von 6 Millionen europäischer Juden. Auch das wirkt nach. Dies ist wohl unstrittig.
»Viele Maßnahmen der Orbán-Regierung entsprechen klassisch linker Politik«
Der DDR-Bürgerrechtler, SDP-Gründer und langjährige SPD-Bundestagsabgeordnete (1990-2009) Gunter Weißgerber ist ein großer Freund Ungarns – siehe dazu u.a. seinen Gastbetrag im BZ Magazin 45/2020. Die Budapester Zeitung unterhielt sich mit ihm über die Gründe für die Verschlechterung des deutsch-ungarischen Verhältnisse und mögliche Wege für seine Verbesserung.
Mainka: Was sind die wesentlichen Gründe für die Verschlechterung des deutsch-ungarischen Verhältnisses?
von Lutz Götze
Die Nebel lichten sich. Die ubiquitär ob ihrer chaotischen Impfstoff-Ankaufstrategie gescholtene EU-Kommission samt deutschem Gesundheitsminister Spahn scheint, vorerst, nicht mehr das Ziel der Kritik zu sein. Investigative Journalisten von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung haben herausgefunden, wie es sich wirklich zugetragen hat: Brüssel, Berlin und andere EU-Länder haben im Sommer 2020 nicht sofort Dosen in großem Stil eingekauft, weil die Herstellerfirmen BionTech/Pfizer astronomische Preise verlangt hatten: 54,08 Euro pro Dosis. Offenbar dachten die Erzeuger, sie könnten sich eine goldene Nase verdienen: Basierend auf ihrer Monopolstellung, waren sie überzeugt, wenn sie erst einmal den weltweit größten Abnehmer, die Europäische Union, mit diesem Preis erpresst hätten, würden US-Amerika und weitere ›wohlhabende‹ Länder klaglos nachziehen. An Drittwelt-und Schwellenländer war ohnehin nicht gedacht.
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