Editorial
Liebe Leserinnen und Leser von GlobKult!
Das Gedicht von Günter Grass Was gesagt werden muss (SZ vom 4.4.2012), und die öffentliche Erregung, die darauf folgte, haben wieder einmal deutlich gemacht, wie schwierig eine sachliche Diskussion bestimmter Themen ist, besonders in Deutschland. Der Grund liegt auf der Hand: die Massenverbrechen Hitler-Deutschlands mit der Judenvernichtung als dem grauenvollen Höhepunkt.
Damit verbunden sind nicht nur das Verhältnis des deutschen Staates und Volkes zur weltweiten, insbesondere zur deutschen bzw. in Deutschland lebenden Judenheit, sondern auch die zwischenstaatlichen Beziehungen der Bundesrepublik zu Israel, ferner die Art der Auseinandersetzung der deutschen Gesellschaft mit ihrer nazistischen Vergangenheit sowie mit gegenwärtigen antisemitischen, rassistischen und rechtsextremistischen Tendenzen. Nicht zuletzt, und das ist das Anliegen von Grass, geht es um die aktuellen Konflikte im Nahen und Mittleren Osten, in deren Zentrum weiterhin der iraelisch-palästinensische Konflikt steht. Es handelt sich also um ein ganzes Konglomerat von Problemen, die nicht über einen Kamm geschoren werden können, aber aus deutscher Perspektive dennoch zusammenhängen.
Die Sprachlosigkeit zwischen den unterschiedlichen Auffassungen (wozu auch das polemische Aneinandervorbeireden gehört), die im politischen Spektrum der Bundesrepublik - selbst innerhalb ein und derselben Grundrichtung - zu der angedeuteten Thematik existiert, ist auffällig und bedrückend; sie belastet die politische Kultur und vergrößert die Kluft der politisch-publizistischen Führungsschicht und der Mehrheit der Bevölkerung.
Wir sind nicht so unrealistisch zu glauben, diesen Zustand in unserem Magazin aufheben zu können, aber wir wollen ein Zeichen setzen für einen anderen, argumentativen Stil einer Diskussion, die nicht im buchstäblichen Sinn tabuisiert, aber stark belastet ist, die trotzdem geführt werden muss - unserer selbst willen.
Während der nächsten Monate werden in GlobKult in unregelmäßiger Folge Artikel zu dem hier umrissenen Problemkomplex erscheinen, die unterschiedliche und teilweise entgegengesetzte Standpunkte ausdrücken; die Beiträge sind besonders markiert, so dass der Zusammenhang des Ensembles auf dem ersten Blick sichtbar wird.
Allen Autorinnen und Autoren ist das Bemühen um sachliche Aufklärung und gedankliche Klärung gemeinsam.
Herausgeber und Redaktion
Abbildungsnachweis: Wikimedia Commons
Artikel zum Themenkomplex:
Als der alte Clown von Ulrich Siebgeber
Die Gnade der späten Geburt? - Der Nationalsozialismus und die deutsche Gegenwart von Patrick Pritscha
Was gesagt werden kann von Laura Solbach
Stellungnahme des Willy-Brandt-Kreises zur Causa Grass
Debatten der deutschen Linken um den Nahostkonflikt - diskursive Grauzonen und die Fallstricke der Solidarität ein Gespräch mit Peter Ullrich
Hat es in der DDR Antisemitismus gegeben? - Über Sinn und Unsinn des Streits um eine historische Tatsache von Horst Helas
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