von Herbert Ammon
Es gibt sie noch, die Bündische Jugend, doch die blaue Blume der deutschen Romantik, die zu suchen die Nachfahren der ›Wandervögel‹ noch immer unterwegs sind, blüht heute sehr im Verborgenen. Der Name Eberhard Koebel, selbst dessen Selbstbezeichnung tusk (von schwedisch tysk = deutsch, Deutscher), ist anno 2020 den Jüngeren kein Begriff mehr. Das war vor mehr als einem halben Jahrhundert, in der Ära der ›68er-Bewegung›, noch anders. In der ›Bündischen Jugend‹ pflegte man das Andenken an die Geschwister Scholl und betonte deren frühe Prägung durch den in einigen Teilen der Hitlerjugend fortlebenden Geist der von tusk gegründeten dj.1.11. Inspiriert von Tusks Reisen nach Lappland und Nowaja Semlja unternahmen Jugendbewegte der frühen Bundesrepublik noch große Nordlandfahrten. Eine ganze Anzahl der Protagonisten von ›1968‹ kam aus der sich weithin als ›links‹ und antibürgerlich verstehenden Deutschen Jungenschaft oder aus den Reihen der Pfadfinderbünde. In diesen Gruppen fungierte der von den Nazis ins Exil getriebene Eberhard Koebel (1907-1955) als Identifikationsfigur, die von ihm erfundene Kohte diente als gleichsam mythischer Ort für Natur- und Gemeinschaftserlebnisse.
Offener Brief an Jana Hensel
von Werner Schulz
Werte Frau Hensel,
was haben Ihnen die Bürgerrechtler nur angetan, dass Sie sich so arglistig an ihnen abarbeiten? Da Sie im tiefsten Jammerton der Enttäuschung in der ZEIT im Osten Nr. 29/2020 einen sehr persönlichen Text geschrieben haben, in dem auch ich erwähnt wurde, will ich Ihnen auch ganz persönlich darauf antworten. Von Wolfgang Leonhard kennen wir die Geschichte, wie die Revolution ihre Kinder entlässt. Sie hingegen versuchen als verlassenes Kind die Revolutionäre zu entwerten. Ich kann ja verstehen, dass Sie seit Jahren darum bemüht sind sich die Deutungshoheit über den Osten zu erschreiben. Aber dass Sie nun wie ein Oberzensor versuchen, die Bürgerrechtler in die »Guten« und die »medialen« zu zerlegen, übersteigt Ihre Kompetenz und analytischen Fähigkeiten. Völlig unerwähnt bleiben in Ihrem Artikel diejenigen, die nach rechts abgedriftet sind. Kein Wort über deren Entwicklung und Beweggründe ihrer heutigen Positionen. Ihnen geht es vielmehr darum die wenigen Prominenten, die Ihr Ostbild stören und noch Gehör finden zu delegitimieren. Wobei Ihre »Guten«, wie Friedrich Schorlemmer, wahrlich kein mediales Präsenzdefizit beklagen können. Die medialen »Damen und Herren Bürgerrechtler« sind hingegen laut Klaus Wolfram: »Moralisten, Karrieristen und Opportunisten«! Ein Urteil, das Ihnen als Nachgeborene nicht zusteht, wie Sie schreiben, das Sie aber gern aufgreifen und verwenden, um Ihren Begründungstext darum zu ranken. Nun weiß kaum jemand wer ihr Souffleur ist, der unlängst durch eine umstrittene Rede in der Akademie der Künste auf sich aufmerksam gemacht hat. Eine Rede voller Geschichtsklitterung, die der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk im Wesentlichen widerlegt hat.
von Holger Czitrich-Stahl
Die Geschichte der Arbeiterbewegung und der ›kleinen Leute‹ schlechthin erschließt sich nicht allein aus Sachbüchern oder Quellen, sondern auch aus der Literatur. Stets spitzten auch Schriftstellerinnen und Schriftsteller die Feder, um die Geschichten derjenigen zu erzählen, die im Dunklen der Gesellschaft oft nicht gesehen werden. Natürlich Bertolt Brecht, aber auch Heinrich Heine, Harriet Beecher Stowe, Egon Erwin Kisch, Gerhart Hauptmann, Victor Hugo oder Bettina von Arnim stehen für literarische Werke, die sich der Schicksale des gemeinen Mannes oder der gemeinen Frau annehmen und die sozialen Umstände und individuellen Nöte ihrer Protagonistinnen und Protagonisten zur Sprache bringen, verallgemeinern und politisieren. In der DDR gab es u.a. die ›Zirkel schreibender Arbeiter‹, aus denen Autoren wie Volker Braun, Roland M. Schernikau oder Bernd Schirmer hervorgingen. Der ›Werkkreis Literatur der Arbeitswelt‹ in der Bundesrepublik Deutschland wiederum besaß in Erika Runge Max von der Grün und Erasmus Schöfer bekannte Schriftsteller. Meistens aber schrieben nicht die Arbeiterinnen und Arbeiter selbst – was in der DDR zumindest im Ansatz umgesetzt wurde –, sondern es wurde über sie geschrieben.
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