von Peter Brandt

Meine Damen und Herren, liebe Friedensfreunde und Friedensengagierte!

Es ist eine gute Sitte, überall auf der Welt zum Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima dieses schrecklichen Ereignisses zu gedenken, das zweifellos einen Zivilisationsbruch und ein schweres Kriegsverbrechen darstellt. Letzteres trifft selbst unter der Voraussetzung zu, dass sich mit dem nazistischen Deutschland, dem faschistischen Italien und dem militaristischen Japan im Zweiten Weltkrieg gegnerische Mächte der modernen Barbarei zur Unterjochung, teilweise Ausrottung großer Teile der Menschheit zusammengefunden hatten. Weder das Kriegsvölkerrecht noch das elementare humane Empfinden erlaubt eine systematische Kriegführung gegen eine Zivilbevölkerung, allemal mit der Konsequenz der Vernichtung in großem Maßstab.

Das gilt im gegebenen Fall umso mehr, als die Aktion militärisch nicht begründet werden konnte, denn Japan war faktisch geschlagen und zur Kapitulation bereit. Strittig war nur noch, ob der Gott-Kaiser, der Tenno, weiterhin – sei es nur repräsentativ – an der Staatsspitze verbleiben dürfte. Just dieses wurde den Japanern aber später zugestanden.

Während einige hohe US-Militärs vom Einsatz der Bombe abgeraten hatten, löste die Nachricht von ihrem erfolgreichen Abwurf bei den an ihrer Entwicklung in Los Alamos beteiligten Wissenschaftlern große Freude aus. Unter dem Jubel der versammelten Wissenschaftler sagte der Leiter des sogenannten Manhattan-Projekts, Robert Oppenheimer, er sei stolz auf das, was erreicht worden sei. Zu bedauern sei lediglich, dass die Arbeit nicht rechtzeitig genug hätte beendet werden können, um sie gegen Deutschland einzusetzen. Der Physiker Sam Cohen berichtet: ›Hier brach ein wahrer Sturm der Begeisterung aus.‹ Welcher Abgrund an Verblendung, Hass und Menschenverachtung.

Die letzte der Kriegskonferenzen der Großen Drei, also des US-Präsidenten Harry Truman in der Nachfolge des verstorbenen Roosevelt, des britischen Premierministers Winston Churchill, nach dessen Abwahl abgelöst durch den Labour-Mann Clement Attlee, und des sowjetischen Parteichefs und Diktators Josef Stalin, in Potsdam, beginnend am 17. Juli 1945, war mit Vereinbarungen über Polen und Deutschland schon beendet, als Hiroshima zerstört wurde. In der perversen Logik der Entscheider war es offenbar nötig, drei Tage später eine weitere Atombombe über Nagasaki abzuwerfen, denn es galt zu zeigen, dass die USA nicht nur ein einziges Exemplar besaßen. Zusammengenommen starben binnen eines Jahres weit über 200 000 Japaner aufgrund der beiden Einsätze.

In Potsdam hatte Truman Stalin beiläufig und recht allgemein von einer neuen Waffe erzählt, die kürzlich getestet worden sei, wobei Stalin, der über einen Spion bereits informiert war, desinteressiert tat. Dabei war der Einsatz der beiden Atombomben nicht zuletzt eine an die Adresse der Sowjetunion gerichtete Demonstration. Der von den USA bis dahin dringend gewünschte Kriegseintritt der UdSSR gegen Japan war für die amerikanische Führung nun eher zu einer Belastung geworden. Zur vollen demonstrativen Wirkung des zweifachen Atombombenabwurfs gehörte im Übrigen auch der Einsatz ›am lebenden Objekt‹, statt – wie von manchen Experten empfohlen – auf einer unbewohnten Insel.

Seit dem August 1945 lebt die Menschheit im Schatten der Atombombe, deren diverse Kategorien teils immer gewaltigere, teils immer (vermeintlich) gebrauchsfähigere Typen hervorgebracht haben. Seit die Sowjetunion im Verlauf der 1950er Jahre mit der nachholenden Entwicklung der Wasserstoffbombe und der Raketentechnik gleichgezogen hatte, verhinderte das Gleichgewicht des Schreckens – wer als Erster zündet, stirbt als Zweiter – die Eskalation einer der zahlreichen regionalen Konflikte und Krisen im Ost-West-Verhältnis zum ganz großen Krieg. Auch im gegenwärtigen Krieg in der und um die Ukraine scheint sich zu bestätigen, dass die Atomkriegsgefahr beiden Seiten (wenn wir die USA und die NATO als Beteiligte zweiter Ordnung benennen) ein Mindestmaß an Zurückhaltung auferlegt. Diese Bemerkung mag für Ihre Ohren makaber klingen angesichts der Schrecken auch dieses, ›konventionell‹ genannten Krieges. Es ist denn auch allenfalls die halbe Wahrheit: Wir sind am Anfang der 1960er Jahre und erneut in den frühen 1980er Jahren mehrfach dicht an der absoluten Katastrophe vorbeigeschrammt und können von großem Glück sagen, dass wir hier stehen und für den Weltfrieden eintreten dürfen.

Von Anfang an äußerte sich massenhafter Protest gegen die Atomrüstung und die Stationierung von Atomwaffen in nicht atomar bewaffneten Staaten, so 1957 bis 1959 in der Bundesrepublik Deutschland. Seit 1958 formierte sich, ausgehend von Großbritannien, im westlichen Europa eine politisch unabhängige Friedensbewegung, die vor allem in den 80er Jahren zur Veränderung des Denkens beitrug und deren Anliegen, gewissermaßen realpolitisch modifiziert durch die Erfahrungen der Entspannungspolitik der 60er und 70er Jahre, von manchen Vertretern der etablierten Politik aufgegriffen wurde. Unter dem Vorsitz des schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme machte eine international hochkarätige UNO-Kommission 1982 in ihrem Report klar, dass äußere Sicherheit der Staaten im Atomzeitalter nicht gegeneinander, sondern nur als gemeinsame Sicherheit hergestellt werden könne. Wie Egon Bahr, einer der Beteiligten, damals formulierte: Die Androhung der Vernichtung dessen, was eigentlich zu verteidigen ist, ist keine überzeugende Perspektive. Also muss die Abschreckungsdoktrin aufgegeben und durch etwas anderes ersetzt werden.

Inzwischen befinden sich weltweit fast 13 000 Atomwaffen im Arsenal. Offiziell haben wir es mit fünf Atommächten zu tun; faktisch sind es neun. Der UNO-Generalsekretär António Guterres sagte kürzlich: Die Bedrohung durch einen Atomkrieg ist heute so real wie auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges… Und weiter unten im Text: Die einzige Garantie dafür, dass Atomwaffen niemals eingesetzt werden, ist ihre Beseitigung.

Auch wenn der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine den Glauben an die nukleare Abschreckung bei vielen kurz Denkenden erkennbar wiederbelebt, gilt es umso mehr, die Bewegung zur Unterstützung des endlich zustande gekommenen Atomwaffenverbotsvertrags – gegen die Stimmen der Atommächte und ihrer Verbündeten in der UNO-Generalversammlung – zu befördern. Seit Januar 2021 ist der Vertrag für 60 Vertragsstaaten, die bereits ratifiziert haben, und weitere zwanzig, die unterzeichnet haben, gültiges Völkerrecht. Ein erster Schritt seitens der großen Atommächte darauf zu könnte die Selbstverpflichtung sein, nicht – das heißt unter keinen Umständen – als Erste Nuklearwaffen einzusetzen.

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