Afghanistan ist ein Testfall für die Fähigkeit der deutschen Politik insgesamt, zu Frieden und nachhaltiger Entwicklung gerade in Ländern und Regionen beizutragen, in denen sowohl die einheimischen politischen Kräfte als auch die internationale Gemeinschaft über lange Zeit an der Verwirklichung dieses Ziels gescheitert sind.

Eine besondere Herausforderung bildet die derzeitige politische und menschliche Situation Afghanistans  dabei für die SPD, die – als Friedenspartei verbunden mit dem Namen von Willy Brandt und von Heidemarie Wieczorek-Zeul – weltweit in herausragender Weise für die Idee der nachhaltigen Entwicklung gerade der benachteiligten Regionen der Erde und der Anteile der Menschheit mit besonderem Entwicklungsbedarf steht.

 Dabei geht es in diesen Tagen nicht um eine besondere Akzentsetzung bei der Abstimmung über die wohl letztmalige Fortsetzung des Mandats für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan. Zu einer Zustimmung zu der Vorlage der Bundesregierung für  Fortsetzung des ISAF-Mandats für weitere 13 Monate, das den von allen Truppenstellern  im Einvernehmen mit der als Hilfe Begehrende in dieses Mandat eingebundenen afghanischen Regierung beschlossenen „Rückzug der Kampftruppen“ einleitet – so soll die Stärke des Bundeswehrkontingents in Afghanistan 2013 von derzeit 4500 auf 3300 Personen reduziert werden – gibt es aus bündnis- und innenpolitischen Gründen keine Spielräume.

Die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung – wie auch in den meisten anderen Truppenstellerstaaten – lehnt den Militäreinsatz in Afghanistan ab und die Ablehnung würde sich noch steigern, wenn etwa die Frage, wofür deutsche Soldatinnen und  Soldaten in Afghanistan ihr Leben aufs Spiel setzen und wofür die deutschen Steuergelder in Afghanistan konkret ausgegeben werden, bei uns eingehender diskutiert würde, wenn also das ganze Ausmaß der Fehlschläge und Fehlleistungen beim Aufbau legitimer Staats- und Gesellschaftsstrukturen, bei der Bekämpfung der Korruption und  des Drogenhandels, bei der Herstellung eines sicheren Lebensumfelds für die Menschen, der Stärkung von Bildungschancen und Frauenrechten sowie bei der Sicherung einer gesundheitlichen und sozialen Grundversorgung bei uns im öffentlichen Bewusstsein präsent wäre.

Eine Bildzeitungskampagne gegen eine Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes hätte es leicht, allein mit den beiden Schlagworten: „Deutsche Soldaten sterben für eine korrupte Regierung, die von der Bevölkerung abgelehnt wird und für die Macht von Warlords, die für dutzende von Kriegsverbrechen verantwortlich sind“ und „Deutsches Steuergeld fließt nach Dubai, wo die Mitglieder der afghanischen Regierung und andere Angehörige der Elite ihre Auslandskonten und Luxusvillen haben“ sehr rasch zum Ziel zu kommen.

Wie wird das ISAF-Mandat gefüllt?

Eine Zustimmung zur Fortsetzung des ISAF-Mandats in dem von der Bundesregierung auf der Grundlage der Beschlüsse der Truppenstellerstaaten in Kabul und Tokio vorgegebenen Rahmen entspricht aber – wenigstens in der im Bundestag abzustimmenden Kernentscheidung für eine weitere Anwesenheit von Bundeswehrsoldaten in Afghanistan im Jahre 2013 – auch den Interessen der Afghaninnen und Afghanen selbst. Der Begriff des Testfalls bezieht sich also nicht auf das Abstimmungsverhalten der Bundestagsfraktion zum Antrag der Bundesregierung, sondern auf die inhaltliche Füllung und die Art der Umsetzung des ISAF-Mandats durch Deutschland.

Die Bewertung bemisst sich dabei für mich an zwei Kriterien:
1. Folgt der deutsche Beitrag zu dem „Stabilisierungseinsatz“ in Afghanistan einer Strategie, die geeignet ist, den Anspruch eines unter den gegebenen historischen, politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen bestmöglichen externen  Beitrags zur Sicherung einer friedlichen und nachhaltigen Entwicklung des Landes zu erfüllen?
2. Sind die dem Einsatz zugrunde liegenden Motive und Zielsetzungen überhaupt geeignet, ein solches von den Menschen in Afghanistan zu Recht erwartetes Ergebnis zu ermöglichen?

Was die in dem nun seit 12 Jahren andauernden Stabilisierungseinsatz angewandte Strategie betrifft, die ja nun als maßgeblicher Faktor der derzeitigen Zustands in Afghanistan angesehen werden muss, der gerade von den besten Kennern in der SPD-Bundestagsfraktion  als weitgehender Fehlschlag mit der Perspektive einer völligen Vergeblichkeit angesehen wird, so kann sich die SPD zugute halten, dass sie seit 2007 wesentliche Anstöße gegeben hat, um erkennbare Fehlentwicklungen zu korrigieren. Dies bezieht sich vor allem auf die Herstellung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Anstrengungen und Ausgaben für die militärische Stabilisierung und den zivilen Wiederaufbau sowie die Verstärkung und Professionalisierung der Polizeiausbildung.

Ein weiterer wichtiger Beitrag der SPD war die Einführung eines kontinuierlichen Monitorings und einer zeitnahen Evaluierung der bisherigen Ergebnisse des Einsatzes, insbesondere der Sicherheitslage und der Lebenssituation der Menschen. Die aufgrund dieser Vorgaben erstellten „Fortschrittsberichte“ der Bundesregierung mit ihren relativ realistischen Zustandsbeschreibungen boten vielfältige Ansätze zu Korrekturen der Einsatzgestaltung im Detail. Aber all diese Korrektive konnten massive Fehlentwicklungen nicht verhindern, die sich aus der maßgeblich von den USA bestimmten Gesamtstrategie des ISAF-Einsatzes ergaben.

Fehlerhafte Ansätze der Zusammenarbeit

Gerade den fehlerhaften Ansatz für die zivil-militärische Zusammenarbeit, dass es bei dieser mit CIMIC abgekürzten Strategie vor allem darum gehe, durch Gewinnung der Köpfe und Herzen der Bevölkerung ein förderliches Umfeld für die überwiegend militärisch durchgeführte Terrorismusbekämpfung  hat die deutsche Regierung und Militärführung voll mitgetragen und mit dem katastrophalen Angriff auf die Tanklastwagen bei Kunduz einen negativen Wendepunkt im Agieren des deutschen Kontingents geschaffen, der das Bild  von den deutschen Soldaten  als  zwar bewaffneten, aber im Grunde friedlichen und menschenfreundlichen Aufbauhelfern sowohl bei der afghanischen als auch bei der deutschen Bevölkerung nachhaltig beschädigt hat.

Hier ist der Ort nachzufragen, von welcher Vorstellung von Sicherheit für das eigene Land und für das Land des einzelnen Auslandseinsatzes die in Afghanistan engagierten westlichen Demokratien und die Sozialdemokratie als eine maßgebliche politische Kraft, die diesen Einsatz bisher legitimiert hat und weiter legitimiert, ausgehen.
Nicht zuletzt auf dem Hintergrund der Fehlschläge in dem Afghanistan-Einsatz setzt sich auch bei den Konservativen die für sozialdemokratische Außen- und Sicherheitspolitik schon lange maßgebliche Einsicht durch, dass Frieden und Sicherheit in den internationalen Beziehungen nicht vorrangig mit militärischen und polizeilichen Mitteln erreicht werden können, sondern ein produktiven Zusammenwirken von politisch-diplomatischen, wirtschaftlichen entwicklungspolitischen und humanitären Anstrengungen erfordern.

Die entscheidende Frage dabei ist aber: Welche Motive und Zielsetzungen liegen der gesamten Initiative zur Reaktion auf ein konkretes Sicherheitsproblem zugrunde und sind diese Motive und Zielsetzungen überhaupt mit der Schaffung von Rahmenbedingungen für eine friedliche und nachhaltige Entwicklung in der betroffenen Region vereinbar?

Prävention war gewollt

Das auslösende Ereignis der Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September 2001 und die Entscheidungsgrundlagen für die beiden Komponenten des Afghanistan-Einsatzes OEF und ISAF, die entsprechenden UNO-Resolutionen und die Feststellung des Bündnisfalls in Form eines bewaffneten Angriffs auf die USA nach Art. 5 des NATO-Vertrags enthalten eine eindeutige Kennzeichnung von Motiv und Zielsetzung der gesamten Initiative. Es soll erreicht werden, dass Al Kaida von Afghanistan aus keine terroristischen Angriffe mehr auf Mitglieder des NATO-Bündnisses und anderer als Feinde des Netzwerks angesehene Staaten und deren Staatsangehörige  unternehmen kann (dies ist das Ziel der Operation Enduring Freedom) und es sollen in Afghanistan staatliche Strukturen aufgebaut werden, die sicher stellen, dass der internationale Terrorismus in Afghanistan keinen Rückzugsraum und keine Operationsbasis mehr findet.

Neben der Beseitigung einer aktuellen Gefährdung von Leben und Bewegungsfreiheit von Angehörigen der westlichen demokratischen Gesellschaften spielt also die Prävention, die Verhütung künftiger Gefährdungen eine entscheidende Rolle. Beiden Operationen liegt ein Begriff von „vernetzter Sicherheit“ zugrunde, der Schutz- und Abwehrmaßnahmen nicht erst dann ins Auge fasst, wenn ein konkreter Angriff auf vitale Interessen der westlichen Staaten und Gesellschaften vorliegt, sondern schon dann, wenn irgendwo in der Welt sich Spannungen und Konflikte aufbauen, die zum Nährboden terroristischer Aktivitäten und anderer Bedrohungen der eigenen Sicherheit führen könnten.

Eine vergleichbare Problemwahrnehmung – hier die an die Wand gemalte Gefahr, dass Massenvernichtungswaffen, deren Existenz noch nicht einmal bewiesen war, in die Hände von Terroristen geraten könnten, dort die Gefahr, dass ein Regime, das sich weigert, terroristische Attentäter auszuliefern, auch in Zukunft gestatten würde, von seinem Territorium aus terroristische Aktivitäten wenn nicht direkt zu unterstützen, so doch zu ermöglichen – führte zu den von den USA mit einer jeweils anders zusammengesetzten „Koalition der Willigen“ durchgeführten  präventiven militärischen Intervention im Irak und in Afghanistan.

Es ging eben nicht primär darum, die Menschen im Irak und in Afghanistan von der blutrünstigen Diktatur Saddam Husseins bzw. von dem fundamentalistischen, kultur- und frauenfeindlichen Regime der Taliban zu befreien. Beide Regime wurden ja von den USA und ihren Verbündeten  auch mit Waffenlieferungen unterstützt, solange sie gegen die damaligen Feinde des Westens, den  Iran und die Sowjetunion kämpften. Der Terror gegen das eigene Volk, die Unterdrückung von religiösen und ethnischen Minderheiten, Demokratie- und Frauenfeindlichkeit wurden erst dann bedeutsam, als diese Regime zu einer Gefahr für die „Sicherheit“ der westlichen Demokratien und ihre globalen wirtschaftlichen und politischen Interessen geworden waren.

Nun erwecken die Erklärungen der politisch Verantwortlichen in den vielen Konferenzen um Afghanistan und die öffentliche Berichterstattung sehr wohl den Eindruck, dass am Hindukusch nach dem berühmten Diktum von Peter Struck nicht nur „die Sicherheit Deutschlands“, sondern auch die Sicherheit und Lebensperspektiven der Menschen in Afghanistan verteidigt werden. Den ursprünglichen mit dem Ausspruch Strucks exemplarisch benannten Zielen des Einsatzes wurden – vor allem zu seiner Rechtfertigung zu Hause immer neue Ziele und Motive nachgeschoben: Der Aufbau demokratisch legitimierter Staats- und Gesellschaftsstrukturen, die Bekämpfung der Korruption, des Drogenhandels und der Schutz von Frauenrechten. Diese Ziele  spielen aber für die Entscheidung, die Kampftruppen bis 2014 abzuziehen und die Verantwortung für die Sicherheit der Menschen im Land der afghanischen Armee und Polizei zu überlassen, praktisch keine Rolle mehr.

Keine Selbstheilungskräfte

Mit dem weitgehenden Rückzug der ISAF-Truppensteller-Staaten aus der Verantwortung für den Verlauf der „Transformation“ Afghanistans nach 2014 unter Festschreibung bestimmter Machtverhältnisse (Stützung des Karsai-Regimes mit seinen grundlegenden Defiziten aus fehlender Legitimität, Wahlbetrug, Korruption und Drogenökonomie, Verbleiben der Warlords in ihren Machtstellungen und Fortsetzung der Kultur der Straflosigkeit, faktische Machtteilung zwischen einem prowestlichen Regime und den Taliban, Finanzierung von übermäßigen Sicherheitskräften als faktische Bürgerkriegsarmee auf Kosten möglicher Mittel für den zivilen Aufbau) wird die Perspektive aufgegeben, dass die Afghaninnen und Afghanen selbst – mit Formen von externer Unterstützung, welche ihre Selbstbestimmung, Würde und Selbstachtung respektiert – Selbstheilungskräfte entwickeln, um die Wunden der Bürgerkriege zu schließen und einen nachhaltigen Entwicklungspfad zu beschreiten.

Es ist auch wenig glaubwürdig, dass es bei dem jetzt verfolgen Konzept  für die „Transformation“ Afghanistans wirklich um die Lebenssicherheit und die Lebensperspektiven der Menschen in Afghanistan geht, wenn die USA mit Unterstützung ihrer Verbündeten, die ja offenbar die vertraglichen Grundlagen der weiteren „militärischen Zusammenarbeit“ zwischen USA und afghanischer Regierung akzeptieren, daran festhalten, dass die verbleibenden US-Truppen weiterhin strafrechtliche Immunität genießen und der „Versöhnungsprozess“ mit den „regierungsfeindlichen Kräften“ so abläuft, dass mögliche Verhandlungsführer der Taliban weiterhin in Guantanamo interniert, nach ersten Kontakten aufgespürt und umgebracht oder gleich präventiv Opfer von gezielten Tötungen durch Drohnenangriffe werden.

Für den deutschen Beitrag zu einer erfolgreichen und nachhaltigen „Transformation“ Afghanistans nach Beendigung der ISAF-Mission 2014 geht es erst einmal um ein Neudenken von „vernetzter Sicherheit“. Nicht Sicherheit vor diffusen Bedrohungen aus nicht durchschaubaren Gefahrenherden in aller Welt gilt es zu schaffen, sondern im Falle Afghanistans gemeinsame Sicherheit für die Menschen in Afghanistan und Deutschland durch Aktivierung der „strukturellen Friedensfähigkeit“ des afghanischen Volkes im Ganzen, die es ja trotz der ethnischen und religiösen Spaltungen und der in 30 Jahren Bürgerkrieg erstarrten Feindverhältnisse immer noch gibt.

Versöhnungsprozess organisieren

Um den Fähigkeiten der Menschen in Afghanistan zur Selbstheilung Raum und Entwicklungsperspektiven zu geben ist ein erneuter und weit einschneidenderer Strategiewechsel nötig als der von 2007: Der Schwerpunkt der weiteren Beistandsmaßnahmen muss verlagert werden vom Aufbau und Training der Sicherheitskräfte, aber auch von der Struktur- und Aufbauhilfe als globales Konzept der Entwicklungszusammenarbeit zur Organisation und Unterstützung des Friedens- und Versöhnungsprozesses zwischen den bisher verfeindeten Gruppen.

Sicher, Afghanistan hat einen riesigen Entwicklungsbedarf in der ländlichen Entwicklung, im Bereich der Infrastruktur, dem Aufbau einer  effektiven, verlässlichen, ehrlichen, von  Gerechtigkeit gegen jedermann bestimmten und vom Vertrauen der Bevölkerung getragenen Verwaltung und Justiz und vor allem an Grundbildung und weiterführender Bildung. Das Land muss weiter bzw. wieder – wie es dies Jahrzehnte lang zum Wohle der deutsch-afghanischen Freundschaft bis zum Beginn der Serie von Bürgerkriegen Ende der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts war – Schwerpunktland der deutschen Entwicklungszusammenarbeit bleiben bzw. werden und zwar einer Entwicklungszusammenarbeit, die sich nicht als Wegbereitung und Zuarbeit für die militärische und polizeiliche Stabilisierung versteht, sondern als externe Unterstützung einer sich selbst tragenden nachhaltigen Entwicklung.

Aussteigerprogramme reichen nicht

Aber alle Maßnahmen der Struktur- und Aufbauhilfe bleiben von ständigen Rückschlägen bedrohtes Stückwert, wenn es keinen ernsthaften Friedens- und Versöhnungsprozess gibt. Ein solcher Prozess hat wenig zu tun mit dem bisherigen Aussteigerprogramm für Taliban mit der Bereitschaft zum Frontwechsel. Versöhnung muss die lokale Ebene einschließen und auch traditionelle Vertretungsstrukturen nutzen, zu denen die Menschen noch Vertrauen haben, also lokale Shuras und Jirgas. In einer Bevölkerung, die sich mehrheitlich zum Islam bekennt, müssen die Geistlichen in besonderer Weise in die Aufarbeitung der Gewaltgeschichte in den einzelnen Gemeinden und Provinzen und den Aufbau vertrauenswürdiger lokaler Vertretungsorgane einbezogen werden. Es müssen Formen und Foren gefunden werden, nach und in denen Menschen mit formaler Bildung, Vermögen und Einfluss und die große Zahl der armen und analphabetischen Bevölkerungsgruppen gemeinsam ihr Potential in den Aufbau eines neuen und friedlichen Afghanistan einbringen können.
Dies erfordert auch eine teilweise Umlenkung der begrenzten Mittel der Entwicklungszusammenarbeit. Es muss stärker als bisher auch finanziell den zivilgesellschaftlichen Gruppen unter die Arme gegriffen werden, die den Friedens- und Versöhnungsprozess aktiv mitgestalten können und wollen. Dies ist auf jeden Fall Ziel führender als die weitere prioritäre Förderung von ausländischen Entwicklungsorganisationen, die sehr oft überwiegend nichtafghanische Fachkräfte mit Gehältern beschäftigen, die weit über den für die Einheimischen möglichen Arbeitseinkommen liegen.

Sinnhaftigkeit der Projekte hinterfragen Maßnahmen der Struktur- und Aufbauhilfe und der längerfristig angelegten Entwicklungshilfe müssen in der Transitions- und Transformationsperiode danach bewertet und priorisiert werden, welchen Beitrag sie zum Friedens- und Versöhnungsprozess in der jeweiligen Region leisten können. (Ein entscheidendes Kriterium für die Sinnhaftigkeit von Projekten der Entwicklungszusammenarbeit ist dabei auch, wie viele und gute Arbeitsplätze für die einheimische Bevölkerung geschaffen werden.)

Es nützt nichts, Schulgebäude für Mädchenschulen zu errichten, die von den vorgesehenen Schülerinnen nicht besucht werden können, weil sie von aufständischen Taliban eingeschüchtert und bedroht werden und wegen der weiter notwendigen übermäßigen Ausgaben für die Sicherheitskräfte oder auch wegen der fortbestehenden Korruption nicht den nötigen Schulmöbeln und Lernmitteln ausgestattet werden können. Ein  Gleiches gilt für den Bau von Straßen,  Brücken, Krankenhäusern und Gesundheitsstationen, die ihre Funktion nur erfüllen können, wenn Frieden und Lebenssicherheit für die Menschen hergestellt werden.

Aus der Notwendigkeit der Schaffung verlässlicher Rahmenbedingungen für ein friedliches Leben, in dem jede Afghanin und jeder Afghane ihre oder seine Fähigkeiten für sich selbst seine Familie und sein Land entfalten und einsetzen kann, ergibt sich der zweite Schwerpunkt für das weitere deutsche Engagement: Die Gewährleistung freier und fairer Wahlen zur Bestimmung der zentralen Staatsorgane also des Präsidenten und des Parlaments. Die internationale Gemeinschaft sollte sich nicht nur mit einer stärkeren Wahlbeobachtungsmission, die schon Monate vor den Wahlterminen auch den Vorbereitungsprozess der Erstellung der Register der Wahlberechtigten, der Aufstellung der Kandidatinnen und Kandidaten, der Sicherung der Chancengleichheit bei der Nutzung öffentlicher Ressourcen und der Präsentation in den Medien begleitet. Sie muss auch in der Gestalt von UN-Beobachtern in der Unabhängigen Wahlkommission mit für eine glaubwürdige Ergebnissicherung sorgen.
Die politischen Stiftungen der führenden deutschen Parteien könnten mit der Veranstaltung von öffentlichen  Politikdialogen zwischen den einzelnen Präsidentschaftskandidat/Innen für mehr Transparenz im Wahlkampf sorgen.

Nicht zuletzt hängt es von der Bereitschaft zur Verweigerung der Zusammenarbeit mit gewählten Repräsentant/Innen ab, die ihre Funktion durch schwerwiegende Regelverletzungen wie Stimmenkauf, Wahlfälschungen, Einschüchterung von Wählerinnen und Wählern und sonstige Manipulationen erlangt haben, ob der Weg zu mehr politischer Selbstbestimmung und Selbstverantwortung in Afghanistan erfolgreich ist.  Dabei müssen erkennbare Fehlentwicklungen schon im Vorfeld angemahnt werden, denn nach vollzogener Wahl kann wieder die Situation entstehen, dass eine formal mit Mehrheit gewählte, aber offenbar vom Volk nicht legitimierte Regierung als das kleinere Übel gegenüber einer durch Wiederaufnahme des Bürgerkriegs zur Macht kommenden Taliban-Regierung erscheint.

Das Versprechen: Diesmal lassen wir Afghanistan nicht im Stich darf jedenfalls nicht heißen, die Fehler des bisherigen Einsatzes zu wiederholen bzw. eine offenkundig verfehlte Strategie fortzusetzen. Sonst droht wirklich ein Ende des zwölfjährigen Engagements mit dem Fazit, dass zehntausende von afghanischen Menschen und tausende von ISAF-Soldaten umsonst gestorben und hunderte Milliarden Dollar umsonst ausgegeben worden sind.

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