von Ulrich Schödlbauer
1.
Man wird den Fortschritt nicht so leicht los, wie man denkt. Die Geschichte schreitet fort, unaufhaltsam, was sollte sie auch sonst. Sie schreitet voran, das scheint bereits eine ernstere Sache. Denn es enthält den Hintergedanken, dass nicht alle in gleicher Front marschieren, dass es Zurückgebliebene gibt – im Denken, in der Kunst, in den Manieren, in den ›Verhältnissen‹. Ganze Länder und Regionen lösen sich aus dem Verbund, sie bleiben zurück. Offenbar sind sie weniger an der Geschichte interessiert als andere. Oder sie glauben bereits zu wissen, wie es ausgeht. Aber das ist nur so dahingedacht. Wer näher hinsieht, findet keine Zurückgebliebenen, dafür Einpeitscher und Hochmütige, Nachgiebige und Gemütsmenschen, die all das empfinden, was ihnen erzählt wird, Leute, die die Richtung zu kennen glauben und ihre Mitmenschen drangsalieren, schließlich diese Mitmenschen selbst, Mitmenschen, die ihr Menschentum aus dem Katalog oder dem Gruppenzauber beziehen. Dazu kommen Verlierer, die den Anschluss suchen, soll heißen, die Mittel erkunden, die ihnen erlauben, erlittene Niederlagen in Siege zu verwandeln. Die einfachste Sicht der Geschichte besitzt ein Mitteleuropäer zwischen seinem zwanzigsten und dreißigsten Lebensjahr: was war, ist Vorgeschichte, was sein wird, Zukunft, von seinesgleichen gestaltet, also dem Stand der Dinge gemäß. So einfach ist das Leben. Oder auch nicht. Kinder wachsen nach, das begrenzt den Ermessensspielraum. Jede Generation wird von der folgenden um die Früchte des Fortschritts betrogen – sie verzehrt, ohne hinzusehen. Gewöhnlich gelten die Früchte als faul und der Verzehr als schmerzhaft. Aber auch Schmerzempfindlichkeit und Schmerzrichtung wechseln. So erstarren beide Seiten rasch in Mißachtung oder Protest und es bedarf vieler Gespräche an imaginären oder realen Kaminen, um das Verhältnis ›im Fluss‹ zu halten, das heißt das definitive Urteil über den jeweils anderen in der Schwebe zu lassen. Die Aktionäre, alte und neue, können nicht erwarten, daß der Gewinn des laufenden Geschäftsjahrs auf ihre Konten überwiesen wird. Währenddessen investiert die Unternehmensleitung. Der Markt, so hört man, wird von Tag zu Tag schwieriger.
Gedanken zu Eric Voegelins Ordnung und Geschichte*
von Ulrich Schödlbauer
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Am Ende einer langen Reformperiode, wenn der Begriff der Reform selbst brüchig geworden ist und sich zum xten Mal gegen seine ›ursprüngliche Intention‹ zu kehren beginnt – eine Volte, die nur rhetorisch zu verstehen ist und doch die Konstanz offenlegt, mit der die Verschiebung der gesellschaftlichen Dinge ins Neue betrieben wird –, an einem solchen Ende, das vielleicht weniger durch den unübersehbaren Wechsel
Zu Doro Bregers Projekt Mein ist die Erde. Profanationen 1 – 5
von Ulrich Schödlbauer
1.
Die Trennung des Heiligen vom Profanen schafft Übergänge – Schwellen, Öffnungen, Durchblicke. Durch sie entsteht ein Zwischenbereich der verstohlenen Blicke, der Viertel- und Halbwahrnehmung, der flüchtig und beiläufig konnotierten Referenzen. Das Auge ruht bedeutungsvoll auf entrückten, halb verborgenen und künstlich abgedunkelten Gegenständen, die der Betrachter als ›geheimnisvoll‹ notiert, aber nicht in ihrer eigenen Bedeutungsdimension erschließt. Der ästhetische Symbolismus der Kunst bewegt sich, wie bekannt, in diesem Zwischenbereich. Die Surrealisten haben ihn auszuloten versucht, die Werbung und das Kino haben ihn geplündert und kommerzialisiert. So betrachtet, besteht das, was man die Ikonographie der Warenwelt nennt, zu großen Teilen aus ästhetischen Anleihen. Zweckmäßigerweise gedeihen sie dort am besten, wo den Rezipienten die Bezugnahme nicht deutlich wird. Das kann viele Gründe haben. Zwei davon sind eher struktureller Natur: die Trivialität der Bezüge und die aufgeklärte Modifikation des religiösen Bewusstseins, durch die beim durchschnittlichen Europäer das Heilige mitsamt seinen Bildern, seinen symbolischen Formen und Gesten in den Hintergrund tritt. So wird es erneut zu dem, was es schon in den Anfängen war: verbotener Bezirk.
Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2024 Lucius Garganelli, Serie G