von Herbert Ammon
Ehedem ließ ich mich von Radio 3 Kultur auf RBB (Radio Berlin-Brandenburg) zum Frühstück samt Zeitung mit klassischer Musik berieseln. Schon ehe der RBB durch Postenschacher, Bereicherung und Misswirtschaft für Aufregung sorgte, hatte ich mich, genervt von ständigen Unterbrechungen durch »Kulturnachrichten«, auf das morgendliche Programm von BR Klassik umorientiert, wo mehr Musik und weniger Politkommentare zu erwarten sind. Meine Erwartung wurde heute morgen widerlegt: Als erste (!) Information der stündlichen Nachrichtensendung mussten wir Hörer (m/w/d) vernehmen, dass eine Jury in Marburg die Bezeichnung »Biodeutsche« zum »Unwort des Jahres« erklärt habe.
Laut Wikipedia handelt es sich bei der »Unwort-Aktion« um eine Gruppe, die sich von der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) abgespalten hat. Der »Cicero«-Redakteur Mathias Brodkorb, ehedem SPD-Kultusminister von Mecklenburg-Vorpommern, zweifelt an der demokratischen Legitimität der aus fünf Personen bestehenden Gruppe, da sie nicht von Fachgesellschaften bestellt worden sei.
Selbstverständlich geht es den fünf »Unwort«-Detektiven (drei Frauen, zwei Männer) um den Schutz demokratischer Werte vor diskriminierendem Sprachgebrauch. Diese Zielvorgabe könnte zu dem Irrtum verleiten, die von Journalisten im Umfeld der taz erfundene spöttische Bezeichnung »Biodeutsche« ziele allgemein auf – als »rechts« verdächtige und AfD-anfällige – Personen deutscher Herkunft, die es vor derlei diskriminatorischer Kennzeichnung zu schützen gelte. Schließlich sei nicht jede/r ethnisch deutsche Bürger (sc. -in) oder eben »Biodeutsche/r« per definitionem »rechts« gleich Nazi.
Falsch. Es geht den Sprachschützern um die demokratisch-moralisch unzulässige Unterscheidung von Ethno-Deutschen und deutschen Mitbürger/n/***Innen mit Migrationshintergrund. Auf die Frage, wieviele der Deutschen mit partiellem oder vollständigen Migrationshintergrund sich selbst als Angehörige des »deutschen Volkes«, mithin als »Biodeutsche« betrachten, ohne sich diskriminiert zu fühlen, geht die »Unwort«-Jury leider nicht ein.
Da sich die Marburger Fünfer-Gruppe im Besitz der demokratisch reinen, id est besseren Moral weiß, ist nicht zu erwarten, dass sie sich Gedanken über den historisch-politischen Aspekt des derzeitigen und künftigen deutschen Staatsvolkes macht. Es sind bis auf weiteres die »Biodeutschen«, die – an jedem Gedenktag aufs neue zu Bewusstsein gebracht – die bedrückende, grauenvolle Last der deutschen Geschichte zu tragen haben. Von den meisten anderen, die noch »nicht so lange hier leben«, zu erwarten, dass sie sich mit dieser »deutschen« Geschichte belasten, ist nicht anzunehmen.
Derlei Fragen stellen sich die biodeutschen Sprachpuristen lieber nicht. Aus ideologischer Bornierung übersieht die Marburger Gruppe auch, dass es sich in der deutschen Einwanderungsgesellschaft bezüglich der singulär »biodeutschen Geschichte« um eine Generationsfrage handelt. Aber mit dieser Problematik will sich weder unsere Politik noch unsere Intelligentsia noch die Marburger Sprachpolizei befassen.