Ferda Ataman ist Publizistin und Sprecherin der ›Neuen Deutschen Organisationen‹, einem bundesweiten Netzwerk von Vereinen und Initiativen mit Migrationshintergrund. Im Sommer ist ihr Buch Ich bin von hier! Hört auf zu fragen. erschienen. Das Buch ist eine ›Streitschrift‹ für die Neuen Deutschen, wie sie sich selbst nennen. Hierin expliziert die Autorin den Anspruch der Neuen Deutschen auf Anerkennung als vollwertige Deutsche, auf gleichberechtigte Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen, darauf, dass Deutschland »auch unser Land« ist und deswegen ein neues Leitbild von Deutschland und von Integration vonnöten sei. Das leicht lesbar geschriebene Buch führt »Fünf Missverständnisse im Einwanderungsland« aus und »Fünf Vorschläge, wie es weitergehen kann«.
Die folgende Kritik konzentriert sich auf die zentralen Aspekte des Buches: »Was ist Deutschsein?«, ein neues ›Narrativ‹ von Migration und Integration und den durchgängigen Rassismusvorwurf gegenüber denen, die Deutschsein auch mit Abstammung und Volk bzw. Nation in Verbindung bringen.
Hatte sich zumal die westliche Welt nach dem Fall der Mauer 1989 und dem Ende des ›realsozialistischen Systems‹ darauf verständigt, dass zum herrschenden kapitalistisch-neoliberalen Gesellschaftsmodell keine Alternative bestehe und das Ende der Geschichte (F. Fukuyama) angebrochen sei, so hat die jüngste Vergangenheit bewiesen, dass diese Sichtweise außerordentlich fragwürdig ist. Weltweite Kriege, Massenmigration, Klimakatastrophen, Schwächung demokratisch regierter Länder und Anwachsen populistisch-autoritärer Staaten rings um den Globus prägen eine Welt, die zunehmend unsicher über ihre Zukunft ist. Geeignete Konzepte zur Lösung weltweiter Problem sind Mangelware; stattdessen breitet sich ein Klima aus, in dem Verschwörungstheorien und fake news Massen beeinflussen und verführen. Jahrzehntelang gültige Konzepte wie die von ›Volksparteien‹ als Stabilisationsfaktor der Demokratie in Deutschland und Europa sind nicht mehr gültig; radikale Ränder bedrohen die demokratische Mitte, wie die jüngsten Landtagswahlen in Ostdeutschland das nachdrücklich bewiesen haben. In Europa befindet sich die Sozialdemokratie in freiem Fall, die Konservativen verlieren ihre Wähler an die neue Rechte. Der Rückzug in den Nationalstaat samt Glorifizierung der ›Heimat‹ wird als rettender Ausweg gepriesen, doch zeigt gerade die jahrelange, zuletzt nur noch hasserfüllte, Debatte um den Brexit in Großbritannien, dass damit kein einziges Problem gelöst wird, sondern lediglich neue geschaffen werden.
von Ulrich Schödlbauer
Empathielose Scham: So lautet der Terminus technicus für das routinierte Absondern von Sprechblasen nach einem terroristischen Vorfall, unverzüglich von Erschütterungsarbeitern unter die Lupe genommen und auf die Frage hin untersucht, inwieweit es sich um das Absondern von Sprechblasen handelt und was dabei als verbaler Fehltritt aufs Strengste geahndet gehört. Und siehe: Untersuchung und Ahndung fließen ineinander, als seien sie seit unvordenklichen Zeiten ein und dasselbe. Ja, es gibt Betroffene diesseits der Betroffenheitsrede: die Mordopfer, die sich nicht mehr äußern können, die ›Gemeinten‹, durch Zufall entronnen, die Angehörigen der Ermordeten, schließlich alle, die noch nachträglich in einer Wiederholungsschleife aus Erschrecken und Erleichterung um ihre Liebsten bangen oder nüchtern den gestiegenen Gefahrenpegel für die eigene soziale Gruppe ins Auge fassen. Mehr oder weniger passiv, mehr oder weniger hilflos sind alle der rituellen Bekundungsmaschine ausgesetzt – es sei denn, einem von ihnen platzt unversehens der Kragen und er erfährt, wie schnell er selbst Teil dieser Maschine wird. Die Angst eines Landes ist unvergleichbar der Angst eines Einzelnen: ›Schiss‹, auf dem falschen Fuß erwischt zu werden, mischt sich darin mit der bangen Erwartung, als Gesellschaft am Beginn einer ›neuen‹ Gewaltserie zu stehen, die alle noch teuer zu stehen kommen wird.
Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2024 Lucius Garganelli, Serie G