von Ulrich Siebgeber
Überlasse den Staat den Narren und hoffe auf pünktliche Pensionsauszahlungen: so scheint die Devise zu lauten, nach der Professoren, einem sinnentleerten ›Rassismus‹-Geschrei vorauseilenden Gehorsam zollend, sich ins Schneckenhaus der politischen Sprachlosigkeit zurückziehen – oder, noch bequemer, entgegen ihren innersten Überzeugungen mit den … nun, nicht mit den Wölfen heulen, sondern mit den Schafen dahintrotten, während in der Ferne der eine oder andere Stein im Fenster landet oder eine verrenkte Schulter in der Notaufnahme eines Krankenhauses auf Wiederherstellung wartet. Anders als im Nachbarland Frankreich, wo gesinnungsstarke Professoren sich gelegentlich beim Fällen von Hochspannungsmasten erwischen lassen, weiß die Mehrheit ihrer deutschen Kollegen, was sich gehört. Nur wo und wann sich was gehört, das zu beurteilen überlassen sie ihren studentischen Ausreißern, am besten gleich einem Pöbel, der seine Plakate aus dem Internethandel bezieht, weil er nicht weiß, wie man die passenden Vokabeln schreibt. In diesem Punkt fühlen sich Journalisten, die auf demselben Zug sitzen, in der Regel sicherer, weil sie ihren Wortergänzungsprogrammen vertrauen, die auch gleich die anzubringenden Gedanken mitliefern. Der eine geht bei ihnen so sicher aus dem anderen hervor wie das Amen, nein, das Ey Mann aus dem Repertoire an Predigtfloskeln, mit denen eine anpolitisierte Priesterschaft ihre ungläubige, aber sicherheitshalber Kirchensteuer entrichtende Adressatenschaft überzieht. Dennoch sollte man auch die Professoren nicht zur Gänze aus der Verantwortung entlassen. Denn Verantwortung tragen sie, kraft ihres Amtes und ihres Wortes, für das, was in einem Lande geschieht, in dem sie dereinst ihre Pensionen zu verzehren gedenken.
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Auf der Achse des Guten ist in diesen Tagen eine lehrreiche Diskussion zwischen einem Konstanzer Jura-Professor und Thilo Sarrazin entbrannt, die zwar bislang einer soliden Bilanz ermangelt, aber einen Blick hinter die Kulissen der Begriffsschieberei gestattet, die seit fast drei Jahren um die Frage im Gang ist, ob Merkels ›Grenzöffnung‹ von 2015 rechtskonform war oder gegen geltendes Recht verstößt. Bekanntlich hat das Bundesverfassungsgericht alle vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken im Vorfeld eines förmlichen Verfahrens zurückgewiesen. Auch der EuGH hat sich nicht lumpen lassen und die Auslegung der Dublin III-Regeln vertrauensvoll in die Hände der europaweit Regierenden gelegt. Hochrangige Juristen wie der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier, der ehemalige Verfassungsrichter Udo Di Fabio, Verfassungsrechtler und andere, darunter ein Oberlandesgericht und der Wissenschaftliche Dienstes des Deutschen Bundestages, haben anders argumentiert und sowohl die Rede vom Verfassungsbruch als auch die vom Bruch des Dubliner Abkommens mit gelehrten Argumenten unterfüttert. Das alles ist hinreichend dokumentiert und lässt sich vielerorts nachlesen. Die Politik scheint es nicht beeindruckt zu haben. Jedenfalls ließ sie sich in ihrem Kurs dadurch nicht weiter beirren. Auch die ›Gemeinsame Erklärung 2018‹, in der erneut von einem zu heilenden fortgesetzten ›Rechtsbruch‹ an den deutschen Grenzen die Rede ist, hat daran nichts geändert – außer vielleicht, dass der öffentliche Ton seit der Publikation der zugehörigen Namensliste wieder ein wenig rauer geworden ist und jetzt auch die Angehörigen ›gehobener‹ Berufe und, man höre und staune besser nicht, eine stattliche Zahl von Professoren seitens berufener und berufsmäßiger Journalisten zu den Abgehängten gezählt werden. Man sollte es niemandem verdenken, der in einem solchen Land darauf brennt Journalist zu werden. Nur besser schreiben sollten sie können – siehe oben –, am besten gedankenvoll, es müssen ja nicht unbedingt die eigenen sein.
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Gerade schrieb ich noch ›Diskussion‹ – ebensogut hätte ich das Wort ›Schlagabtausch‹ hinschreiben können. Man schlägt sich oft und gern in diesen Tagen, häufig mit Worten, die besser als Zahnstocher Verwendung fänden, aber auch mit anderen Waffen. Eröffnet wurde die Partie von Sarrazin mit einem Paukenschlag: Professor Unfug legitimiert den Rechtsbruch. Man muss kein Heinrich Mann-Kenner sein, um zu ahnen, dass ein Konstanzer Professor, die bedrohte Karriere fest im Blick, darauf mit gleicher Münze zu entgegnen gehalten ist: Selber Unfug. Der unvermeidliche gelehrte Aufwand, der zum Beleg dieser These getrieben wird, ginge, jedenfalls für einen Blogbeitrag, völlig in Ordnung, existierte nicht auch eine Rhetorik der öffentlichen Replik, die einer beherrscht oder nicht, deren Kenntnis jedenfalls hilfreich sein kann, will man die komischen Abgründe vermeiden, die sich auf diesem Felde ebenso erwartbar wie stets aufs neue unvermutet aufzutun pflegen. Wer vorgibt, die Stimme des Gegners aus den »diskursiven Echokammern des politischen Darknet« aufsteigen zu hören, die man am besten sich selbst überlässt – und dann die eigene Antwort dem gleichen angeschwärzten Organ anvertraut, um sicherzustellen, dass sie auch gelesen wird, verrät zumindest – schwarzen? – Humor. Vor allem angesichts des Motivs, das er auf der anderen Seite am Werk sieht: »Die Unterzeichner der ›Erklärung 2018‹ präsentieren sich als intellektuelle Opposition. In knappen 33 Worten versuchen sie, das politische System zu delegitimieren...« Man tritt nicht in einen Delegitimierungswettlauf ein, indem man den Austragungsort vorab für illegitim erklärt.
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Als juristischer Laie wüsste auch ich gern, welche der beiden Seiten im Streit um die Rechtmäßigkeit der ›Grenzöffnungspolitik‹ der vergangenen und gegenwärtigen Bundesregierung der Sache nach Recht hat. Allein der Eifer ermüdet rasch, sobald man sich erst in die von den Kontrahenten aufgefahrenen argumentativen Details vertieft. Etwas von dieser Müdigkeit muss auch Sarrazin heimgesucht haben. Jedenfalls schlägt er in seiner Antwort das Buch der Argumente nach einigen Erwägungen zur Logik einander kreuzender Rechtslagen kurzerhand zu und wirft stattdessen die Frage auf, warum Verfassungsgerichte so ungemein geschmeidig den faktisch getroffenen oder erwartbaren Entscheidungen der Legislative zu folgen pflegen – in diesem Fall eher der in den öffentlichen ›Echokammern‹ ohnehin dem Verdacht ausgesetzten Exekutive, die entscheidende Anordnung zur Grenzsicherung bloß mündlich und damit irgendwie ungreifbar erteilt zu haben. Sein Resümee: »Ich verstand: Das war angewandter Carl Schmitt. Die letzte Rechtfertigung des Rechts liegt nicht in einer abstrakten Wahrheit, sondern sie liegt im Politischen und damit in den Machtverhältnissen.« Wer die Macht hat, heißt das wohl, beschließt – und das Recht folgt nach. Dient damit das Recht der Verschleierung von Machtverhältnissen, wie die radikale Linke immer behauptet hat? Sarrazin drückt es vornehmer aus: »Recht ist angewandte Politik, es hat a priori weder mit Wahrheit noch mit Vernunft zu tun.« Natürlich lässt der Satz sich leicht umdrehen. Er lautet dann: Politik ist angewandtes Recht und hat nur insofern, als sie dessen eingedenk bleibt, mit Wahrheit und Vernunft zu tun. Was wäre die Modernisierung des Rechts durch die Politik anderes als seine systemische Fortentwicklung angesichts gewandelter Verhältnisse und Bedürfnisse? Leicht möglich, dass beide Sätze in der Realität ihr ›Recht‹ behaupten. Möglich aber auch, dass dann und wann Machtverhältnisse sich ungebührlich verfestigen und einer der beiden, üblicherweise der zweite, auf der Strecke bleibt. Wahrheit, besser: Wahrhaftigkeit jedenfalls sorgt in der Regel für Transparenz.
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Ist’s Ironie? Ist’s Fluch der bösen Tat? / Man weiß es nicht und wird es nie erfahren. / Fest steht, dass, wem das eine widerfuhr, / sich leicht ans Bein das andre holt, als Brandmal. Die gleiche Bundesregierung, die in der Flüchtlingsfrage im Verdacht steht, den unerklärten Ausnahmezustand à la Schmitt zu praktizieren und sich nachträglich den juristischen Segen spenden zu lassen, weiß der dynamischen Außenpolitik Donald Trumps in Sachen Atomrüstungsvertrag mit dem Iran nicht besser zu begegnen als mit dem legalistischen Satz: pacta sunt servanda. Vergisst man, dass der amerikanische Kongress den Vertrag offenbar nie ratifiziert hat und seine Auslegungsgeschichte sich so aufregend liest wie ein detaillierter Bericht über die Bundesliga-Eckbälle einer Saison, sieht man überdies davon ab, dass hier neben den Bewertungen auch unterschiedliche Interessen diesseits und jenseits des Atlantik ins Spiel kommen, von denen der Region ganz zu schweigen, erscheint das Argument allein deshalb bemerkenswert, weil es die Vorwürfe in der Flüchtlingsangelegenheit an die eigene Adresse spiegelt: Butz, butz, wider butz. Ist das sinnvoll? Ist das zweckmäßig? Ist das klug? Wahrheit und Vernunft lassen sich auch dadurch verfehlen, dass man an beiden Enden über sie hinausgeht. Allerdings sollte man hier wie dort überlegen, ob in der geradewegs angesteuerten Richtung auch genügend fester Grund zur Verfügung steht. Wer nach der innenpolitischen Basis, dem Vertrauen der Regierten, auch die außenpolitische, das in Jahrzehnten austarierte und niemals ernsthaft in Frage gestellte Klientenverhältnis gegenüber den Vereinigten Staaten mit der eigenartigen Begründung zum Schwanken bringt, schuld daran sei der andere, sollte keinesfalls zögern, sich auch zu seiner Schuld dort zu bekennen, wo sie aus dem eigenen Handeln erwächst. Wohler allerdings wäre dem Betrachter, vertagte die Regierung die Erörterung der Schuldfrage auf die Zeit nach dem Zusammenbruch und verfolgte angesichts der realen Machtverhältnisse einen an den langfristigen Interessen des eigenen Landes orientierten Kurs.
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Ist der Ordnungs-Wauwau, der Hofhund der internationalen Politik, von der Kette gegangen? Liegt darin der Kern des Konflikts, der Europäer und Amerikaner gegenwärtig auseinandertreibt? Wahr ist, Amerikas Außenpolitik gibt sich heute dynamischer als in der Endphase der Obama-Herrschaft. Woher das plötzliche Unrecht? Kein Zweifel, sie übt sich nicht länger im Hinnehmen der ungewollten Effekte eines ebenso starren wie verdeckten Interventionismus, der sich nach außen hin als Attentismus und Ausgleichspolitik tarnte, währenddessen die ›Unausgewogenheiten‹ im Nahen Osten sich zu neuen Höhen und neuem Elend aufschaukelten. Kein Zweifel auch, sie probt etwas Neues, eine strategische Allianz unter den einander spinnefeindlichen Staaten jener Region, in der zum ersten Mal auch Israel seinen Platz finden könnte: nichts verbindet mehr als ein stabiles System sorgfältig arrangierter Feindschaft. Das allein sollte die ›besorgten‹ – und reichlich abgehängten – Europäer mit Stoff zum Nachdenken darüber versorgen, wer wohl am Ende als Hasardeur dastehen wird – derjenige, der sich bewegt, oder derjenige, der es versäumt hat sich zu bewegen, solange noch Zeit dazu blieb. Kommt Zeit kommt Rat – wie teuer darf’s denn werden? Sie stehen im Regen, die guten Europäer … leicht auszurechnen, leicht auszutricksen wie sie nun einmal sind, bibbernd unterm amerikanischen Atomschirm, geplagt von Nah- und Fernwirkungen des radikalen Islam, vorgeführt von Möchtegern-Imperatoren, ohne nennenswerte militärische Option, eine kippelige Währung in Händen, für den Selbsterhalt angewiesen auf unkompensierte Exporte in jenes übermächtige, UN-Resolutionen, wann immer es ihm in den Kram passt, wie Luft beiseite wedelnde Land, das endlich entschlossen scheint, seine chronisch defizitäre Handelsbilanz zu attackieren, und das auf die eine oder andere Weise dabei Erfolge erzielen wird, auch wenn die angewandten Mittel ein paar Theoretikern krude vorkommen mögen. Muckten sie auf, die rechtlich besorgten Europäer, als die damals noch moralisch auftrumpfende Vormacht mit gefälschten Beweisen zur Operation Iraqi Freedom blies? Ergriffen sie rechtliche Maßnahmen gegen ihre engsten Freunde, das heißt gegen sich selbst, als in der libyschen Wüste die Treibjagd einsetzte? Syrien? Jemen? Sie wären gut beraten, diese indignierten Europäer, in den am Horizont sich abzeichnenden Großen Wüsten-Deal ihren vorhandenen Sachverstand einzubringen, statt ihn daran zu verschwenden, das, was sie nun einmal nicht ändern können, mit juristisch unterfütterten Schmähreden zu überziehen, zu denen sie selbst angesichts ihrer desolaten Lage genügend Anlass bieten. Vielleicht geschieht es ja längst und man will den Fans in den Redaktionen nur nicht die lustigen Bilder entziehen, an denen so großer Bedarf herrscht, denn an der Klickfront, da wird es ernst.
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Schön wäre auch, sie könnten endlich aufhören, ›Trump‹ zu sagen. Wie sie das sagen, es klingt so unfassbar … geschwätzig.