von Ulrich Siebgeber
Die fiktiven Tagebücher des Leutnants Forstner (Katharina Kellmann) erinnern an jenen Typus des nassforschen Leutnants, der das zweite Kaiserreich erst zur Karikatur und dann zum warnenden Schreckgespenst avancieren ließ: Sinnbild eines Militarismus, der alle gesellschaftlichen Bereiche unterwandert, sofern ihm nicht rechtzeitig Einhalt geboten wird – einfach deshalb, weil sein schneidiges Organ überlaut aus der Kakophonie der gesellschaftlichen Stimmen heraussticht, gestützt durch Kumpane in einer gewissen Presse, die sich damals wie heute vor allem als Verstärker betrachtet. Was da verstärkt werden soll, wechselt im Lauf der Zeiten, eins aber bleibt: das unerschütterliche Bewusstsein, zu den Stützen des Systems zu gehören. Sie könnten es dabei bewenden lassen, aber sie sehen es als ihre ureigene Aufgabe an und verstricken sich damit in ein Dilemma. Denn das System – wenn man es so bezeichnen möchte – fährt am liebsten geräuschlos und sie machen am liebsten Radau.
Man hätte gedacht, die Forstners spielten im System der Bundesrepublik keine Rolle mehr, jedenfalls keine, gegen die es sich auf die Barrikaden zu gehen lohnte. Der dominante Typus des ’68ers schien ihnen – im Westen – die Energien entzogen zu haben und der typische ideologische Bannerträger der DDR bevorzugte einen anderen, gewiss nicht sympathischeren Auftritt. Mag sein, man hat sich getäuscht. Die heutigen ›Leutnants‹ werden wie damals vom Staat alimentiert. Allerdings stecken sie nicht in Bundeswehr-Uniformen, sondern im Rede-Gewand von Angehörigen der Sozial- und Medienindustrie und ihrer Widerlager in der Zivilgesellschaft. Sie denken auch nicht im Traum daran, auf dem Feld der Ehre zu verrecken. Eher sind sie damit beschäftigt, die anderer Leute abzuschneiden. Gelegentlich werden sie von Gerichten gestoppt, in der Regel eher nicht. Denn die Freiheit der Meinungsäußerung geht ihnen über alles in der Welt, vor allem über die ihrer (h)ausgemachten Feinde. Gewiss, sie sind feind-selig, sie stehen im Dienst der guten Sache, die keinen Aufschub duldet und immer und überall befördert werden muss, vor allem, wenn für einen selbst eine kleine Beförderung abfällt.
Damals verlor Deutschland eine jüngst eroberte Provinz – nicht durch den Weltkrieg, der später hinzukam, sondern durch mutwillige Spaltung im Inneren. Die Zabern-Sache bleibt deshalb lehrreich, weil sie den Leser mit der Frage zurücklässt, welchen Preis die Heutigen für den billigen Wagemut ihrer gesellschaftlichen Scharfmacher zahlen werden. Man kann sich seine Feinde nicht aussuchen. Feindschaft ist stets symmetrisch. Das Kopf-an-Kopf-Rennen, das sie auslöst, bekommt den Köpfen nicht und findet am Ende kein Ziel, in der Regel überhaupt nichts, wofür die Verausgabung sich gelohnt hätte. Es muss ja nicht gleich der Kollaps winken. Was dann? Die parlamentarische Demokratie verfügt über viele Bühnen, es mutet erbärmlich an, auf allen dasselbe abgekartete Spiel verfolgen zu müssen. Apropos Verfolgung: Was wäre asymmetrische Beschimpfung anderes als Verfolgung? Wenn es damals einem Herrn von Forstner mittels eines einzigen Wortes – »Wackes« – gelang, die Elsässer zur Weißglut zu treiben, dann mutet das armselig an angesichts der drei bis fünf Wörter, die ein heutiger Sprechautomat benötigt, um Unruhe im Publikum zu erzeugen und Abfallprozesse in Gang zu setzen, die sich nur schwer aufhalten, geschweige denn umdrehen lassen werden.
Katharina Kellmann: »Immer feste druff«. Die Tagebücher des Leutnants Forstner
Abb.: Militärpatrouille Zabern. Quelle: Wikimedia Commons