Ulrich Siebgeber - ©LG
Ulrich Siebgeber
Vergessen hilft. Aber nicht wirklich.
 

 

Siebgebers Kolumne entstand in den späten Jahren der Merkel-Herrschaft, die geprägt wurden durch ein Klima des politischen Konformismus und der Zuspitzung gesellschaftlicher Differenzen nach dem Motto Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich und muss aus der öffentlichen Debatte entfernt, zumindest unsanft an den Rand gedrängt werden. Gleichzeitig wurden politische Entscheidungen getroffen, deren Brisanz für jeden Einsichtigen offenlag und deren verheerende Auswirkungen das Land gegenwärtig nach und nach zu spüren beginnt.
Siebgebers Aufzeichnungen enden am 8. Mai 2020. Zusammengefasst und nach Themen geordnet lassen sie sich nachlesen in dem Buch Macht ohne Souverän. Die Demontage des Bürgers im Gesinnungsstaat, das 2019 erschien und nebenher das Pseudonym, besser, die literarische Maske des Autors aufdeckte. Im Land der Masken wirkt dergleichen Mummenschanz ohnehin wie aus der Zeit gefallen. Was nicht gegen ihn sprechen sollte.
Ulrich Schödlbauer

Ein Troll im Deutschen ist einer, der sich schleunigst zu trollen hat: »Troll dich!« Ein Reflexivtroll, sozusagen, das macht ihm draußen so schnell keiner nach. Überhaupt ist im Deutschen vieles reflexiv, was in anderen Sprachen geradeaus geht. Ob das nur auf die Sprache zutrifft, weiß keiner genau. Das bedeutet nicht, dass die Deutschen ein besonders geschmeidiges Volk wären, behüte: auch hier ist das Gegenteil der Fall. Warum das Gegenteil? Weil kein Teil ohne sein Gegenteil zum Aushalten wäre. Politiker z.B. wären unerträglich, würde ihnen nicht, etwa von Politikern aus der eigenen Partei, Paroli geboten – es geht aber auch, zumindest im Notfall, mit anderen oder, nun ja, mit den üblichen Aufgeregten.

Man könnte das Parolibieten zur politischen Eigenschaft ›par excellence‹ erklären, scheiterte der Erklärungsversuch nicht schon am Fremdwort. ›Exzellenz‹ wird in Deutschland gewährt, man muss Anträge stellen und warten, ob etwas daraus wird. So wird das nichts mit der excellence. Die Deutschen dürften auch dann kein geschmeidiges Volk sein, wenn sie es wären. Allenfalls scheiterten sie am Volk. Sind sie denn eines? Wehe dem, der es wagte, diese Behauptung ungeschützt in den politischen Raum zu stellen: Ein deutsches Volk, sofern es existieren sollte, verlangt, glaubt man seinen ideologischen Handlangern, nach existenzieller Härte – Härte gegen sich, Härte gegen andere und Härte gegen die Grammatik. Weil soviel Härte zum Davonlaufen ist, läuft es eben davon, und sei es vor sich selbst.

Daher ähneln die nationalistischen Schreier, die es hier und da gibt, gescheiterten Schulmeistern: Kaum ertönt die verhasste Stimme, leert sich das Auditorium und sie bleiben mit ihrer Unterrichtseinheit allein. Gern unterrichteten sie Köpfe, stattdessen drängeln sich Querköpfe, die meinen, der Herr Oberlehrer spräche ihnen aus der Seele, er bläst aber nur die letzten Verstandesfunken davon. »Bravo!« »Vollkommen richtig!« »Verräter!« »Lumpenpack!«

Da graust es dem Lehrer insgeheim, da er gern Niveau halten würde, aber lehren muss er nun einmal, denn etwas anderes kennt er nicht. Zum Glück finden sich Leute genug, die aufrichtig glauben, seine gefährlichen Irrlehren bekämpfen zu müssen. So bekommt er wenigstens Feinde und braucht nicht unter Entfremdung zu leiden. Vielleicht fühlt er sich sogar verstanden und hört aus ihren Tiraden ein leises »Weiter so!« heraus. Zwei Daseinszwecke in einem Aufwasch: Was will man mehr!

Es gibt sie, wie gesagt, am ›Rand der Gesellschaft‹, ab und zu bekommen sie hochrichterlich bescheinigt, dass sie, Anschläge und Rohheitsdelikte seitens ihrer wüsten Klientel abgerechnet, keine ›wirkliche‹ Gefahr für das Gemeinwesen darstellen, und feixen dazu. Doch sollte man die eingebildeten Gefahren nicht unterschätzen. Sie streuen weit und keineswegs nur an den Rändern.

Regierungsparteien, die mangels Profil den Kampf gegen rechts forcieren, wollen nicht kämpfen, sondern weiterregieren – da hilft der Popanz aus der Retorte, um die schwindende Anhängerschaft zu agitieren. Die klugen Leute schweigen dazu. Die – prachtvolles Wort! – ›breite Masse‹ folgt aufs Wort, soweit sie zu folgen vermag. Gefolgschaft ohne Folgen – das soll es geben, das kann es geben, das müsste nicht sein, es nährt bloß die Realkonkurrenz von rechts, weil es in einen Topf wirft, was selbst die Schlichten im Lande auseinander gehalten wissen wollen. Der einsame Kampf gegen das ›Ja – aber‹ stellt es lauter als nötig: ja – aber aber, wer entdifferenziert hier denn? Entdifferenzieren, so betrachtet, ist Arbeit, harte Arbeit, die Müßiggang voraussetzt oder die ›Ingroup‹, gern ›Blase‹ genannt, in der sich einer wohlfühlt, der sonst wenig zu sagen hätte.

Der Kampf gegen rechts hilft der Rechten, die mit dem Wort ›rechts‹, wie sie sagt, nichts anfangen kann, vor allem, weil sie – siehe oben – nichts damit anfangen will. Will sie nicht? Kann sie nicht? Braucht sie nicht? Wie rechts ist rechts? Ein Aufpasser könnte geneigt sein, das für Europas – Deutschlands – Schicksalsfrage zu halten und in Abwandlung eines Benjamin-Wortes zu murmeln: Rechts hatte noch alles sich zu enträtseln. Darüber vergisst sich gern, dass links die Inhalte fehlen, seit kein ökonomisches Programm mehr die Mechanik des Sozialabbaus konterkariert. Wie links ist links? Wie gescheit ist links? Gescheit genug, um zu erkennen, dass die Trump-Ökonomie, sollte sie sich konkretisieren, nach den neoliberalen Exzessen neue Spielräume für einen selbst eröffnet, vorausgesetzt, man ist bereit, über den Privilegien-Zoo für Globalisierungsgewinner und ihr buntes Gefolge hinauszudenken? »Wie link ist das denn?« Ach die Linke! Sie nagt an dem hingeworfenen Knochen ›Populismus‹, als habe sie mit dem populus noch niemals etwas anfangen können. Wenn man die Geschichte der DDR betrachtet, könnte man natürlich ins Grübeln geraten … aber das war nie die Perspektive der SPD. Oder?

Populisten freut es, populär zu sein. Wer kann es ihnen verdenken? Welcher Politiker möchte nicht populär sein? Wenn die anderen populär sind, liegen sie deshalb falsch? Falls sie falsch liegen, sind sie deshalb populär? Liegt falsch, wer die ›Sorgen und Nöte der Mitbürger‹ ernst nimmt? In der Tat: an dieser Phrase ist etwas falsch, wenn sie nur dazu dient, den ›Populisten‹ die Wähler abspenstig zu machen. Sie liegt auf derselben Linie wie die Beschimpfung von Leuten, die gestern den Brexit und Trump und morgen die Anti-Merkel-Partei wählen, als dumpf und ungebildet und abgehängt und ländlich und ältlich und, ach, white und male und macho und sexist und racist und rapist

Hören Sie auf! Hören Sie auf! Wo hören Sie hin? Hören Sie nicht? Hören Sie nichts? Sie kommt von weit oben, jene Phrase, von sehr weit oben, das Ohr neigt sich tief hinab, aber vielleicht nicht weit genug … nicht so weit, wie es nötig wäre. Und wenn es sich tief genug neigte: seltsam unnatürlich wirkte die Haltung schon und der Effekt wäre dahin. Zur Gefahr wird Populismus, sobald er den hoheitlichen Politikgestus der Machteliten angreift und ihre naive Empörung über diese Unverschämtheit für sich arbeiten lässt – gefährlich für die Träger der Macht, ob für Staat und Gesellschaft, das steht in den Sternen … oder in den Pünktchen, die ein Parteiprogramm vom anderen trennen.

Der Kampf gegen den ›Populismus von rechts‹, auf den sich die Regierungsparteien einstimmen, verspricht kaum mehr als ein totes Rennen. Die Fronten sind klar, die Frage wäre, wen die Beschreibung interessiert. Eher dürfte er vielen Lust darauf machen, bei der anderen Seite mitzuhören und ihr, wie in den USA gesehen, heimlich Recht zu geben. Die größte Gefahr, der sich die andere Seite gegenüber sieht, geht von den Oberlehrern in den eigenen Reihen aus, die aus der Not der Anschärfung die Tugend der Nasführung entwickeln und darüber selbst zu Genasführten werden. Hier kommt sie zum Vorschein, die Reflexivität der politischen Gesten. Sie ist fest mit der persönlichen Suada verbunden, so dass es schier aussichtslos wirkt, sie voneinander isolieren zu wollen. Manchmal reizt bereits eine Stimme.

Dieser hier – Sie erkennen sie? – eignet eine gewisse Verführungskraft, auch wenn sich viele von dem, was sie ausspricht, abgestoßen fühlen. Jedenfalls regt sich ihr Unwille, nicht jeder lässt sich gern einwickeln, es sei denn, er fühlt sich krank. Der Verführung geschieht dadurch kein Abbruch. Man nennt das negative Faszination.

Sie gehört keinem Törichten, diese Stimme, eher dem reinen Toren des Märchens. Er könnte von Geistern und Zwergen reden, sein Publikum nähme es ihm ohne weiteres ab. Er hat sich auf das spezialisiert, was nüchterne Menschen ›Symbolpolitik‹ nennen – wann immer er auftritt, geht es um alles. Was eben noch Teil des Mainstreams war, kommt aus seinem Munde, als zerbreche er eine der Säulen, auf denen das Staatswesen ruht: Hysterie im Publikum, Häme beim politischen Gegner, Verwirrung in den eigenen Reihen. Ein solcher Mensch wäre in jeder Partei ein gefährlicher Magnet und er weiß es. Er weiß es so gut, dass er darüber reden kann, als gehe es ihn nichts an. Und schon hat sie es – ihr Problem.