Ulrich Siebgeber - ©LG
Ulrich Siebgeber
Vergessen hilft. Aber nicht wirklich.
 

 

Siebgebers Kolumne entstand in den späten Jahren der Merkel-Herrschaft, die geprägt wurden durch ein Klima des politischen Konformismus und der Zuspitzung gesellschaftlicher Differenzen nach dem Motto Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich und muss aus der öffentlichen Debatte entfernt, zumindest unsanft an den Rand gedrängt werden. Gleichzeitig wurden politische Entscheidungen getroffen, deren Brisanz für jeden Einsichtigen offenlag und deren verheerende Auswirkungen das Land gegenwärtig nach und nach zu spüren beginnt.
Siebgebers Aufzeichnungen enden am 8. Mai 2020. Zusammengefasst und nach Themen geordnet lassen sie sich nachlesen in dem Buch Macht ohne Souverän. Die Demontage des Bürgers im Gesinnungsstaat, das 2019 erschien und nebenher das Pseudonym, besser, die literarische Maske des Autors aufdeckte. Im Land der Masken wirkt dergleichen Mummenschanz ohnehin wie aus der Zeit gefallen. Was nicht gegen ihn sprechen sollte.
Ulrich Schödlbauer

Passantengespräch. Berlin-Wilmersdorf, 19. 8. 2016

»CDU raus aus dem Bundestag, Selbstauflösung, Nirwana. Wer das nicht begreift, der hat das Parteiensystem nicht begriffen.«
»Meinen Sie? Der Platzhirsch sollte sich…? Einfach in Luft...?«
»So ist es. Eine Partei muss verschwinden. Die Merkel-Partei steht für nichts, also muss sie verschwinden. Jedenfalls wäre es für alle das Beste.«
»Wofür, meinen Sie, steht die SPD?«
»Die SPD steht für eine Partei, die verlorengegangen ist und wiederbelebt werden sollte.«
»Also für die SPD.«
»So ungefähr.«
»Wieviel Stimmen geben Sie der AfD? Kann sie die CDU beerben?«
»Die AfD beerbt niemanden. Die AfD ist eine Kreatur, dazu bestimmt, der Kanzlerin das Regieren zu erleichtern.«
»Dass sie ihr Raum gegeben hat, sagen viele.«
»Sie hat ihr Platz gemacht, sie hat ihr die Parolen in die Hand gedrückt, sie hat ihr eine Aufgabe zugewiesen. Und sie gibt ihr die Existenzberechtigung.«
»Wieso das denn?«
»Wer Positionen ausspricht, die von den sogenannten weiten Kreisen geteilt werden, besitzt eine gewisse Existenzberechtigung.«
»Jedenfalls, wenn die anderen sich nicht an sie herantrauen.«
»Gehen wir zurück: Die AfD war eine brave Anti-Euro-Partei mit einem Schuss Professoren-Redseligkeit. Man kann das heute noch bei den Alfa-Leuten beobachten, die keiner mehr zur Kenntnis nimmt. Die AfD wurde komplett umgedreht. Da sind Leute am Ruder, die wollen ihr Land zurück. Stellen Sie sich vor: das in einer Demokratie. Wo kommen wir da hin?«
»Nach Sachsenhausen?«
»Lassen Sie’s gut sein. Das ist billige Polemik. Die AfD hat die Aufgabe, die restlichen Parteien im Stimmenspektrum der Republik so zusammenzuschieben, dass keine Partei, die regieren will, an der Kanzlerin vorbeikommt. Das ist übrigens der wahre Sinn der Behauptung, es gebe keine Alternative.«
»Ach. Sehen Sie eine?«
»In der Politik gibt es immer Alternativen. Sie müssen nur formuliert werden. Die AfD ist die Anti-Merkel-Partei, die Merkel braucht, um den Machtanspruch der anderen Bundestagsparteien zu zerstören. Zwei sind schon heruntergewirtschaftet. A-f-D – verstehen Sie: A-f-D. Verstehen Sie? Nein, Sie verstehen nicht. Alle-für-Deutschland. Klingelt’s? Hat aber gebraucht.«
»Wieso Deutschland?«
»Weil Deutschland Merkel-Land ist. Merkel ist der Pfropf auf der Wiedervereinigung. Solange sie regiert, bleibt die Flasche zu.«
»Wie meinen Sie das?«
»Da haben zwei Denk- und Lebensstile zusammengefunden, die noch lange nicht zueinander passen werden. Hier in Berlin weiß das jeder. Die Kanzlerin ist eine Verkörperung, eine Repräsentation. Schauen Sie auf die Raute. Sie repräsentiert das Gute. Die guten Kräfte der Nation. Die guten Kräfte müssen gestärkt werden, dazu sind sie da. Deshalb wird auch Berlin in diesem Wahlkampf auf allen Plakaten starkgeredet. Passen Sie auf: das wird der Slogan für die nächste Bundestagswahl – ›Starkes Deutschland‹!«
»Jawoll.«
»Naja, ich meinte Sie nicht persönlich. Obwohl – wollen Sie nicht zu den Starken gehören?«
»Ich gehöre seit langem dazu. Meine Stärke ist Beach Ball.«
»Das dachte ich mir. Wo trainieren Sie? Nee, darüber sprechen wir später. Solche Gespräche dauern lange. Meine U-Bahn...«
»Und wenn die Guten die Bösen sind? Oder wenn sie einfach unrecht haben? Oder wenn sie bloß nicht wissen, was sie tun? Oder wenn sie wissen, was sie tun und sie tun es trotzdem, weil sie so programmiert sind und nicht als Spielverderber dastehen wollen?«
»Dann sind sie trotzdem die Guten.«
»Warum?«
»Weil sie das Land an der bewussten Nahtstelle zusammenhalten.«
»Deshalb sind sie die Guten?«
»Die Guten sind nicht gut, weil das, was sie tun, richtig ist. Sie sind die Guten, weil keine anderen da sind.«
»Sie meinen, die anderen sind einfach nicht da?«
»Doch, aber sie sind nicht die Guten.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Sie auch nicht. Deshalb müssen sie stärker werden.«
»Was ich Sie noch fragen wollte...«
»Aber bitte.«
»Was halten Sie von Rot-Rot-Grün?«
»Ich hab’s gewusst. Sie sind ein Schlaumeier. Schauen Sie: Rot-Rot-Grün, das ist Merkel für den Fall, dass sie nicht mehr antritt oder gestürzt wird. Bauen Sie ein paar zweitrangige Differenzen in die Positionspapiere ein und Sie können tun und lassen, was immer Sie wollen.«
»Sie meinen, alles, was die Linken da vorlegen, ist Kosmetik?«
»Verhandelbar heißt das Wort.«
»Und die Grünen?«
»Die Grauen Panther, meinen Sie? Eine Zehn-Prozent-Partei, von der alle herrschenden Ideen der letzten dreißig Jahre ausgegangen sind, bis sie ihr ausgingen? Warum sollte die sich bewegen? Wohin sollte die sich bewegen? Die fällt vom Sockel, sobald sie sich bewegt. Das wird sie schön bleiben lassen.«
»Nach den Sozialdemokraten frage ich nicht.«
»Ich auch nicht. Allerdings, vielleicht...«
»Ich glaub’s nicht.«
»Gesetzt den Fall, die CDU verschwindet: das ist die einzige Partei, die sich neu erfinden könnte. Historische Substanz genug hat sie. Nur diese Lethargie… Aber reden wir nicht davon. Sie hat ein Altersproblem, das muss sie lösen.«
»Mehr Werbung?«
»Sehr witzig.«
»Mehr Einwanderer?«
»Ich plädiere für eine türkische Arbeiterpartei. Das bringt die Verbandsfunktionäre auf den Teppich.«
»Und heizt die Atmosphäre auf.«
»Man kann nicht alles haben.«
»Aber es gibt kaum noch Arbeiter.«
»Das müsste ich wissen. Man rechnet sie unsichtbar. Das heißt nicht, dass sie verschwinden. Außerdem: Alles, was nicht Kapital ist, ist Arbeit, mein Lieber.«
»Viel Arbeit.«
»Nicht wahr?«
»Meine Bahn. Niqab oder Hidschab?«
»Beides. In doppelter Ausführung.«
»Die Kundschaft wird anspruchsvoller.«
»Die Konkurrenz wächst.«