Ulrich Siebgeber - ©LG
Ulrich Siebgeber
Vergessen hilft. Aber nicht wirklich.
 

 

Siebgebers Kolumne entstand in den späten Jahren der Merkel-Herrschaft, die geprägt wurden durch ein Klima des politischen Konformismus und der Zuspitzung gesellschaftlicher Differenzen nach dem Motto Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich und muss aus der öffentlichen Debatte entfernt, zumindest unsanft an den Rand gedrängt werden. Gleichzeitig wurden politische Entscheidungen getroffen, deren Brisanz für jeden Einsichtigen offenlag und deren verheerende Auswirkungen das Land gegenwärtig nach und nach zu spüren beginnt.
Siebgebers Aufzeichnungen enden am 8. Mai 2020. Zusammengefasst und nach Themen geordnet lassen sie sich nachlesen in dem Buch Macht ohne Souverän. Die Demontage des Bürgers im Gesinnungsstaat, das 2019 erschien und nebenher das Pseudonym, besser, die literarische Maske des Autors aufdeckte. Im Land der Masken wirkt dergleichen Mummenschanz ohnehin wie aus der Zeit gefallen. Was nicht gegen ihn sprechen sollte.
Ulrich Schödlbauer

»Ehrlich gesagt, nie wäre ich auf die Idee gekommen, eines Tages dem Papst – the pontiff, wie ihn sein angelsächsisches Publikum gelegentlich mit einem Anflug von Sarkasmus nennt – ein sonniges Gemüt zu bescheinigen. Der Kontrast zum Dalai Lama lässt sich nicht einfach mit ein paar Weihwasserspritzern beseitigen. Er gründet tief in den religiösen Kulturen, die, zum Kummer mancher Zeitgenossen, nur im Plural zu überleben scheinen. Die eine Religion geht in die Tiefe, die andere in die Höhe, die dritte in die Weite, bei der vierten wird’s eng... Daran wäre nichts auszusetzen, wenn ihre Vertreter sich der Tonlage ihrer Botschaft ständig bewusst blieben. Ob, was aus Rom zu vernehmen ist, es mit den Interviews Seiner tibetanischen Heiligkeit aufnehmen kann, steht freilich auf einem anderen Blatt. – Sie hören mir zu?«

»Keine Zeit. Wie meinen Sie das?«
»Ich wusste, dass Sie mir zuhören würden. Auf seinem jüngsten Flug nach Polen hat der Papst einige bemerkenswerte Sachen gesagt: dass Krieg herrsche, dass man sich nicht fürchten solle, es auszusprechen, dass es kein Religionskrieg sei, sondern ein Krieg um Interessen, Geld, Bodenschätze, Herrschaft, dass nicht Religionen den Krieg wünschen, sondern die anderen...«
»Was soll daran falsch sein?«
»Nichts. Vorausgesetzt, wir einigen uns darauf, wer die anderen sind.«
»Nun … die schlimmen Finger, die Ungläubigen, die Geldleute, die Materialisten, die Atheisten, die Skeptiker, die Abtrünnigen, die Abgefallenen, die Satanisten, die Religionsverächter, die Nudisten, was weiß ich, sie sollen schmoren...«
»Nanana. Sie meinen, die hat er alle gemeint?«
»Nun, vielleicht nicht in der Reihenfolge, nicht in der Deutlichkeit, aber der Tendenz nach … würde ich sagen, ja.«
»Ich sehe, Sie wissen noch nicht, was er auf dem Rückflug gesagt hat. Er hat gesagt… Glauben Sie, Ihre Uhr kann Sie irgendwie beschützen? Ein Talisman? Interessant. – Wie ich schon sagte, er hat gesagt, er denke, es sei weder richtig noch wahr, den Islam mit Gewalt zu identifizieren.«
»Hört sich gut an. Finde ich auch.«
»Richtig. Er hat gesagt, er denke, in jeder Religion gebe es eine kleine fundamentalistische Gruppe. Auch bei uns.«
»Sehr richtig.«
»An wen denken Sie? Sinn Féin?«
»An wen?«
»Auch gut. Aber dann kommt’s. Wenn ich – also er – morgens in die Zeitung schaue – Seine Heiligkeit weilt in Gedanken bereits wieder in Rom –, dann sehe ich – wieder er – diese ganze Gewalt hier in Italien: da bringt einer seine Freundin um, der andere seine Schwiegermutter, alles getaufte Katholiken...«
»Die Hitze, ich sage Ihnen, das ist die Hitze. Sehr auffällig in einem Land wie Italien. Mediterrane Kultur, wir Nordmenschen lieben das sehr. Praktischerweise können die meisten Touristen kein Italienisch und die meisten Italiener kein Englisch. Der Papst natürlich...«
»Hören Sie auf. Wann waren Sie das letzte Mal in Italien?«
»Vor 25 Jahren. Ich kann mich gut erinnern: In Pisa schimpfte der Friseur wie ein Rohrspatz über die afrikanischen Illegalen, die den Strand mit Einwegnadeln pflastern würden. Eine Schande für die Behörden. Und dass endlich Schluss damit sein solle. Schon der Familie wegen.«
»Sein Sohn handelt heute mit Drogen. Der Papst sagt: Wenn ich über islamische Gewalt rede, muss ich auch über katholische Gewalt reden.«
»Interessant. Wo hat er das her? Ich meine, redet er über mexikanische Drogenbosse? Kämpfen die Kerle etwa für die Weltherrschaft der Ecclesia? Ah, ich verstehe … deshalb will Trump die Mauer bauen. Kluger Scheitel. Völlig irre. Aber sagen Sie – all diese katholizistischen Anschläge auf öffentliche Gebäude, auf Kirchen, Moscheen, Polizeiposten, Shopping Malls, Baumärkte, Supermärkte, Rockfestivals, Touristenhotels, auf einsame Surfer – warum zum Teufel redet eigentlich niemand davon? Bilder, die uns zuinnerst verwunden und auf ewig traumatisieren würden – warum sieht man nichts dergleichen? Warum liest man nichts darüber? Warum wird dieser Stoff uns von Medien und Politikern dauerhaft vorenthalten? – Halt, sagen Sie nichts. Sagen Sie nicht, die Freimaurer. Mit Freimaurern kenn ich mich aus. Die sind selbst im Fadenkreuz. Im übrigen gibt es kaum welche. Der AfD trau’ ich es, ehrlich gesagt, nicht zu. Die sind nicht so weit. Also: Wer erteilt solche Verbote? Vor allem: Wer setzt sowas durch? Ah, ich verstehe, la Mafia. Omertà. Es sind die Drogen. Hören Sie, es sind die Drogen.«
»Jetzt echauffieren Sie sich.«
»Ich teile die Erregungen meines Volkes. Kommen Sie, Sie haben noch etwas in petto.«
»Ich nicht. Haben Sie die Rede von diesem komischen General auf dem Nominierungsparteitag der amerikanischen Demokraten gehört? Nein? Ich schon. Hard stuff. Sollten Sie sich reinziehen.«
»Was sagt er denn?«
»Ach nichts. Etwas wie: wir sind anders. Und dass er Clinton auch den Einsatz von nichtmilitärischen Mitteln zutraut.«

Mein Nachbar. Aber Sie kennen ihn ja bereits.