von Herbert Ammon

Alle sind erleichtert über den Abgang Donald Trumps, alle sind bewegt und beglückt von der Inauguration Joe Bidens am sonnigen Wintertag des 20. Januar 2021. In seiner Rede, akzentuiert mit den in den USA üblichen religiösen/zivilreligiösen Formeln sowie mit einem stillen Gebet, hat Präsident Biden die Überwindung aller Zwietracht, die Einheit der Nation, ihre stolze Geschichte, und eine glückliche Zukunft beschworen. Alles werde wieder gut: Die Corona-Pandemie werde man überwinden, allen Bevölkerungsgruppen gerecht werden – das Stichwort lautete equity, nicht mehr equality –, dem historischen Auftrag Amerikas gemäß für Frieden und Gerechtigkeit in aller Welt wirken.

Mit kritischen, vom discours établi abweichenden Stellungnahmen gilt es in diesem Land vorsichtig zu sein, deshalb zur Klarstellung: Ich gehörte nie zu den Trump-Verehrern. Seine Auftritte waren zu großspurig, seine Rhetorik zu schrill, geistig allzu bescheiden, sein Politikstil teils naiv sprunghaft, teils undiplomatisch konfrontativ. Ob seine ›Erfolge‹ in der Außenpolitik zu dauerhaftem Frieden in Nahost führen, wird die Zukunft zeigen.

Kritische Fragen zu den Versprechen Bidens seien gleichwohl erlaubt. Diese gelten zum einen der angekündigten Außenpolitik. Gewiss, unter Biden sind die USA zu dem Pariser Klimaabkommen von 2015 sowie zu den internationalen Organisationen (WHO und UNESCO) zurückgekehrt. Den Rest hat der frühere US-Botschafter John C. Kornblum in Berlin prognostiziert: Es wird sich nicht viel ändern. Auch die Biden-Regierung sieht sich mit der Weltmacht China konfrontiert. Allenfalls rhetorisch dürfte sich der von Trump eingeleitete protektionistische Kurs abschwächen. Was das – auch für Deutschland und Europa bedeutsame – Verhältnis zu Russland unter Putin betrifft, so hat Biden bereits seine Ablehnung des vor Vollendung stehenden Projekts Nord Stream 2 deutlich gemacht. Ob Biden in Nahost an dem Zwei-Staaten-Konzept für Israel/Palästina festhält, bleibt abzuwarten. Wahrscheinlich ist diesbezüglich ein weiteres formales Bekenntnis, bei fortdauernder Akzeptanz des Status quo. In den Sternen stehen die künftigen Beziehungen zu den Mullahs in Teheran. Zuletzt: Unwahrscheinlich ist eine Aufkündigung des unter Trump ausgehandelten Handelsabkommens mit Mexiko und Kanada (USMC). Eine Rückkehr zu dem unter Bill Clinton in den 1990er Jahren durchgesetzten, für amerikanische Arbeitsplätze zerstörerischen neoliberalen NAFTA-Konzept ist auszuschließen.

Damit rückt die künftige Einwanderungspolitik in den Blick. An der südlichen Grenze Guatemalas zu Honduras und an der nördlichen zu Mexiko befinden sich bereits wieder Tausende von Migranten im Warteraum für den Zug nach Norden. Statt der erhofften Grenzöffnung hat Biden bereits eine elektronische Grenzüberwachung – anstelle der von Trump versprochenen, aber nie gebauten Mauer – angekündigt.

Voraussichtlich wird es aber zu einer Legalisierung der Millionen illegal im Lande lebenden Immigranten kommen. Eine derartige Innenpolitik, akzentuiert durch gruppenspezifische, auch aktivistische, ›progressive‹ Gruppen begünstigende Förderungsprogramme – affirmative action im umfassenden Sinne –, könnte erneut den Widerstand der – eben nicht nur weißen – Trump-Wähler mobilisieren. Längst stößt auch der von ›linker‹ Ideologie (intersectionalism, genderism, identity politics, sensitivity training etc.) forcierte Wandel zu kultureller ›Vielfalt‹ im konservativen Herzland Amerikas auf Ablehnung. Aus eben diesen Bevölkerungskreisen, inklusive der einst stramm demokratisch wählenden Arbeiterschicht, rekrutierte sich die Anhängerschaft des Populisten Donald Trump.

Die bei Bidens Amtsantritt in prächtigem Gewand die Nationalhymne zelebrierende Lady Gaga gehört mutmaßlich nicht zu den kulturellen Leitfiguren der Bevölkerungsmehrheit. Inwieweit die versprochene Versöhnung, symbolisiert durch den Auftritt des Countrysängers Garth Brooks aus Oklahoma, im kulturell gespaltenen Amerika gelingt, bleibt abzuwarten. Das von Amanda Gorman mit Grazie vorgetragene Gedicht wird auch viele konservative Amerikaner angesprochen haben. Dennoch: Es ist keineswegs sicher, dass nach all dem Schlechten unter Trump in den kommenden Jahren unter Biden alles wieder gut wird.