Eine kommentierte Textanalyse des UN-Migrationspakt 2018

von Eckhard Stratmann-Mertens

Erst die rechte Netzdiskussion um den UN-Migrationspakt und die Initiative der AfD für eine Aktuelle Stunde dazu im Deutschen Bundestag Anfang November 2018 brachte eine öffentliche Diskussion in Deutschland dazu in Gang. Offensichtlich sollte versucht werden, das seit 2016 auf UN-Ebene ausgehandelte Dokument leise und schnell über die parlamentarische Bühne zu bringen.

»Der Globale Pakt stellt einen rechtlich nicht bindenden Kooperationsrahmen dar«, heißt es in der Präambel (Abs. 7). Dieser Rechtsstatus wird unter dem Abschnitt »Unsere Vision und Leitprinzipien« noch einmal deutlich herausgestellt: »Nationale Souveränität. Der Globale Pakt bekräftigt das souveräne Recht der Staaten, ihre nationale Migrationspolitik selbst zu bestimmen … Innerhalb ihres Hoheitsbereichs dürfen die Staaten zwischen regulärem und irregulärem Migrationsstatus unterscheiden« (Abs. 15 c). Warum dann aber überhaupt ein UN-Pakt für Migration?

Der Pakt stellt einen von der UN zu beschließenden (im Dezember 2018 in Marrakesch/Marokko) internationalen »Kooperationsrahmen« dar, der eine informelle Bindungswirkung entfalten soll. Wer sich dagegen stellt, stelle sich damit gegen die Weltgemeinschaft und handelt sich dadurch – wie in Deutschland derzeit zu beobachten – den Vorwurf des Nationalismus ein. Er enthält die politisch-moralische »Selbstverpflichtung« der Paktstaaten auf 23 Ziele für eine »sichere, geordnete und reguläre Migration«, jeweils gefolgt von einem Paket von Maßnahmen, aus denen die Unterzeichnerstaaten »schöpfen«, also auswählen können. Damit stellt der Pakt in seiner gewollten Gesamtwirkung eine Art »Soft Law« dar, das die Richtung künftiger Rechtsentwicklung beeinflussen soll und wird.

Der Vertrag unterscheidet zwischen Flüchtlingen und Migranten, und unter diesen zwischen irregulärer und regulärer Migration. »Lediglich Flüchtlinge haben ein Anrecht auf den spezifischen internationalen Schutz, den das internationale Flüchtlingsrecht vorsieht.« (Präambel, Abs. 4) Es findet sich aber nirgendwo eine klare Definition von irregulärer und regulärer Migration, infolgedessen finden sich auch keine wirksamen Maßnahmen zur Abwehr von irregulärer Migration. Hierdurch wird der Vermischung beider Migrationstypen Vorschub geleistet (aktuell an der ›Migrantenkarawane‹ von Mittelamerika zu den USA zu beobachten).

Der Abschnitt »Unsere Vision und Leitprinzipien« verdeutlicht die dominierende Perspektive des Migrationspakts. »Migration war schon immer Teil der Menschheitsgeschichte, und wir erkennen an, dass sie in unserer globalisierten Welt eine Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung darstellt und dass diese positiven Auswirkungen durch eine besser gesteuerte Migrationspolitik optimiert werden können.« (Abs. 8) Zum ersten Halbsatz: Aus der pauschalen Aussage über das geschichtliche Faktum der Migration wird fälschlicherweise geschlossen, dass dies unter den jeweils spezifischen nationalen Bedingungen auch in Zukunft so sein müsse. Zum zweiten Halbsatz: Die Globalisierung wird unkritisch als gegeben hingestellt, statt für eine Entglobalisierung einzutreten. Ebenfalls werden pauschal für alle Aus- und Einwanderungsländer Wohlstand, Innovation und nachhaltige Entwicklung (was auch immer das in diesem Kontext heißen soll) als Folgen von Migration dargestellt. Dies trifft pauschal so nicht zu; die verschiedenartigen Nachteile von massenhafter Migration werden systematisch ausgeblendet: u.a. Bevölkerungsabwanderung und Brain Drain in den Herkunftsländern, verschärfte Konkurrenz auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie sukzessive Gefährdung des Identitätsgefühls in den Zielländern.

Leitprinzipien und Ziele des Migrationspakts:
Förderung statt Eindämmung von Migration

Der Pakt postuliert eine »360-Grad-Perspektive« zum gemeinsamen Nutzen aller von der Migration Betroffenen (einzelne Migranten und »Gemeinschaften« in den Herkunfts-, Transit- und Zielländern); er will »die reguläre Migration erleichtern und gleichzeitig das Auftreten und die negativen Auswirkungen irregulärer Migration … reduzieren« (Abs. 11). An keiner Stelle des 32seitigen Vertragstextes wird von den Völkern in den Zielländern gesprochen, die sich durch Migration ab einer bestimmten Quantität in ihrer Identität bedroht fühlen können.

Besonders deutlich wird das in den Maßnahmen zu Ziel 7 »Bewältigung und Minderung prekärer Situationen im Rahmen von Migration«. Die prekären Situationen ergeben sich insbesondere aufgrund irregulärer Migration, gerade auch im Bereich »gemischter Flucht- und Migrationsbewegungen«. Die vereinbarten Maßnahmen sind ausschließlich auf das Wohl der Migranten hin orientiert, nicht aber auf die Bedürfnisse der Zielländer (Sicherheit, Identitätswahrung). Selbst bei dem Ziel 11 »Integriertes, sicheres und koordiniertes Grenzmanagement« zeigt sich diese einseitige Ausrichtung: Einerseits sollen sichere und reguläre Grenzübertritte ermöglicht werden, aber gleichzeitig irreguläre Migration verhindert werden (Abs. 27). Ein Hinweis auf staatliche Zwangsmaßnahmen bei irregulärer, oft auch gewaltsamer Grenzüberschreitung fehlt (s. zuletzt wiederholt in Melilla/Spanien und aktuell in Tijuana/Mexiko).

Schaut man sich das Tableau der 23 Ziele des GMP an, wird deutlich, dass nur vier Ziele der Reduzierung von Migration zugeordnet werden können:

2. Minimierung nachteiliger Triebkräfte und struktureller Faktoren, die Menschen dazu bewegen, ihre Herkunftsländer zu verlassen »Dieser Globale Pakt hat das Ziel, die nachteiligen Triebkräfte und strukturellenFaktoren zu minimieren, die Menschen daran hindern, in ihren Herkunftsländern eine nachhaltige Existenzgrundlage aufzubauen und aufrechtzuerhalten, und sie dazu veranlassen, anderswo nach einer besseren Zukunft zu suchen.«(Abs. 12)
9. Bekämpfung der Schleusung von Migranten
11. Koordiniertes Grenzmanagement
21. Ermöglichung einer sicheren und würdevollen Rückkehr von Migranten

Bei dem Maßnahmenpaket zu Ziel 2 (Abs. 18 a-l) fehlt völlig der Appell an die Verantwortung der führenden Länder des globalen Nordens einschließlich der EU für die Ursachen von Flucht und Migration: die zahlreichen unfairen Freihandelsabkommen der EU mit afrikanischen Staaten (sog. Wirtschaftspartnerschaftsabkommen), die EU-Fischereipolitik vor den Küsten Afrikas, der nach wie vor exorbitant hohe CO2-Ausstoß der Länder des globalen Nordens als wesentlicher Mitverursacher des menschengemachten Klimawandels, sowie militärische Interventionen westlicher Staaten mit der Folge der Destabilisierung ganzer Regionen wie des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordafrikas (Krieg im Irak 2003, in der Folge auch Destabilisierung von Syrien, Militärintervention in Libyen).

Der Migrationspakt versucht einen Spagat zwischen der Einschränkung von Migration und der Förderung von Migration, wobei der Schwerpunkt in der Gesamtheit der Ziele und Maßnahmen eindeutig auf der Migrationsförderung liegt. Der Pakt »soll förderliche Bedingungen schaffen, die es allen Migranten ermöglichen, unsere Gesellschaften durch ihre menschlichen, wirtschaftlichen und sozialen Fähigkeiten zu bereichern …« (Abs. 12) Hier kommt wieder einmal der Mythos von der bereichernden Wirkung multikultureller Vielfalt zum Ausdruck, der im Folgenden zur Handlungsanleitung wird: »Wir müssen sie [die Migranten; ESM] in die Lage versetzen, zu vollwertigen Mitgliedern unserer Gesellschaften zu werden, ihre positiven Beiträge herausstellen und Inklusion und sozialen Zusammenhalt fördern.« (Abs. 13, auch 32) Ausdrücklich heißt es in Abs. 32 a, dass Maßnahmen im Bereich von Integrationsprogrammen, »einschließlich Wegen zur Förderung von Vielfalt«, umgesetzt werden sollen. Die destabilisierenden und negativen Wirkungen von Migration für die Zielländer sollen wohl nicht thematisiert werden. Die Staaten verpflichten sich hingegen, »das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Migrationspolitik und die mit Migration befassten Institutionen [zu] stärken« (Abs. 32).

In Maßnahme 21 i heißt es: Wir werden »für Migranten auf allen Qualifikationsniveaus [also auch bei Analphabeten und geringer Schulbildung; ESM] den Zugang zu Verfahren der Familienzusammenführung durch geeignete Maßnahmen erleichtern, die die Verwirklichung des Rechts auf ein Familienleben und das Wohl des Kindes fördern« einschließlich des Rechts auf Zugang zu sozialer Sicherheit und sozialen Diensten. Diese humanitär erscheinende Vereinbarung ist ein herausragender Pullfaktor zur Steigerung der Wanderungsbewegungen in reiche Industriestaaten mit ausgebautem Sozialsystem wie Deutschland.

Das übergreifende Ziel des Paktes, Migration zu fördern, wird besonders deutlich im Ziel 5 »Verbesserung der Verfügbarkeit und Flexibilität der Wege für eine reguläre Migration«. Es heißt: »Wir verpflichten uns, die Optionen und Wege für eine reguläre Migration in einer Weise anzupassen, die in Widerspiegelung der demographischen Wirklichkeit und der Realität auf dem Arbeitsmarkt Arbeitskräftemobilität und menschenwürdige Arbeit erleichtert, … mit dem Ziel, die Verfügbarkeit von Wegen in eine sichere, geordnete und reguläre Migration zu verbessern und zu diversifizieren.« (Abs. 21) Hier scheint das beliebte Argument westlicher Industriestaaten durch, dass infolge der Überalterung der Gesellschaft und wegen angeblichen Fachkräftemangels die Einwanderung von Migranten notwendig sei.

Absage an die geistige Ausbeutung ›weniger entwickelter‹ Länder (Brain Drain):

Merkwürdigerweise steht dem eine Maßnahme aus Ziel 2 e (Abs. 18 e) entgegen: Um die Triebkräfte und Faktoren zu minimieren, die Menschen dazu bewegen, ihr Herkunftsland zu verlassen, ist es das Ziel, »die Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte (›brain drain‹) in den Herkunftsländern zu vermeiden und die Zuwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte (›brain gain‹) in den Herkunftsländern zu optimieren …« Diesem erklärten Ziel steht das geplante ›Fachkräftezuwanderungsgesetz‹ der Großen Koalition diametral entgegen. Die Bundesregierung kann sich damit herausreden, dass der Maßnahmenkatalog zu Ziel 2 eben nur wahlweise gilt.

In einem wesentlichen Punkt ist der Migrationspakt wegweisend, insbesondere angesichts der Verantwortung des globalen Nordens für die vielfältigen Formen des menschengemachten Klimawandels: Wir werden bei »Lösungen für Migranten zusammenarbeiten, die aufgrund von schleichenden Naturkatastrophen, den nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels und Umweltzerstörung, beispielsweise durch Wüstenbildung, Landverödung, Dürren und Anstieg des Meeresspiegels, gezwungen sind, ihr Herkunftsland zu verlassen, einschließlich indem in Fällen, in denen eine Anpassung im Herkunftsland oder eine Rückkehr dorthin nicht möglich ist, Optionen für eine geplante Neuansiedlung [Unterstreichung: ESM] und Visumerteilung konzipiert werden«. (Abs. 21 h) Streng genommen handelt es sich hier nicht um Migranten, sondern um Umweltflüchtlinge. Unabhängig davon ist es ein Gebot internationaler Verantwortung und Solidarität, dass es in Zukunft, z.B. beim Verschwinden ganzer Inselstaaten durch den Anstieg des Meeresspiegels, zu derartigen Neuansiedlungsoptionen kommen muss.

Plädoyer für Multi-Kulti-Vielfalt durch Migration:

»Wir müssen außerdem allen unseren Bürgerinnen und Bürgern objektive, faktengestützte und klare Informationen über die Vorteile und Herausforderungen der Migration vermitteln, um irreführende Narrative, die zu einer negativen Wahrnehmung von Migranten führen, auszuräumen.« (Abs. 10) Hier wird die Gesamtstoßrichtung des Paktes überdeutlich und damit auch die Bestimmung des politischen Gegners, über den an anderen Stellen das Verdikt des ›Rassismus‹, der ›Fremdenfeindlichkeit‹ und der ›Stigmatisierung von Migranten‹ (u.a. Abs. 33 f.) ausgesprochen wird.

In Abs. 32 i heißt es: »Wir werden … für Schulen mit einer hohen Konzentration von Kindermigranten gezielt Mittel für Integrationsaktivitäten bereitstellen, um die Achtung von Vielfalt und Inklusion zu fördern«. Dieser Fokus auf Vielfalt ist angesichts von Stadtteilgrundschulen mit einem Migrantenanteil von über 50-80 Prozent (und teilweise noch mehr) in vielen Städten Ausdruck einer völlig verfehlten Flüchtlings- und Migrationspolitik und ein Hohn auf die deutschstämmigen Kinder als Minderheit in diesen Schulen.

Fazit:

Der UN-Migrationspakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration ist aufgrund seiner Fülle an Zielsetzungen und Maßnahmen nicht pauschal als schwarz oder weiß einzuschätzen. Es finden sich eine Reihe von Zielen und Maßnahmen, die sinnvoll und unterstützenswert sind, gerade auch, um den rechtlichen Status von Migranten weltweit zu schützen und zu verbessern. Aber der Fokus des gesamten Vertrages liegt eindeutig auf der Förderung von mehr Migration und der Schaffung von Akzeptanz für eine entsprechende Politik.

Der Pakt ist einseitig und vorrangig am Wohl der einzelnen Migranten orientiert. Er ist geprägt von einem individualistischen Ansatz zugunsten der Migranten, das Wohl von Völkern in den Zielländern wird weitestgehend ausgeblendet. Nicht zufällig findet sich dieser Begriff kein einziges Mal im Vertragstext. So formuliert der Vertrag als erstes von zehn Leitprinzipien: Der Pakt »fördert das Wohlergehen von Migranten und der Mitglieder der Gemeinschaften in den Herkunfts-, Transit- und Zielländern. Infolgedessen steht in seinem Mittelpunkt der einzelne Mensch.« (Abs. 15 a)

Der Vertrag forciert den Prozess der Globalisierung, indem er massenhafte Migration quasi als Naturereignis auffasst, die es nur zu regulieren und zu optimieren gelte. Dass man die Prozesse von Globalisierung und Migration auch eindämmen kann und sollte, ist für die Vertragspartner wohl unvorstellbar. Folgerichtig bleibt daher auch die Verantwortung der reichen westlichen Industriestaaten, nicht zuletzt der Europäischen Union, für Ursachen von Migration und Flucht unerwähnt.

Die Große Koalition betonte in ihrem Entschließungsantrag zum Migrationspakt für den Deutschen Bundestag Ende November, dass die nationale Souveränität hinsichtlich der Migrationspolitik durch den Vertrag ausdrücklich nicht angetastet werde. Dies ist so richtig wie irreführend. Der Vertrag als Kooperationsrahmen, der von der Weltgemeinschaft abgesegnet wird, macht nur einen Sinn, wenn seine Zielsetzungen und Maßnahmen als Soft Law verstanden werden sollen, als politisch-moralische Richtschnur für jeweiliges Regierungshandeln und für die weitere Rechtsentwicklung. Wenn dies von den Staaten, die dem Vertrag in Marrakesch zustimmen werden, nicht so gewollt ist, wäre der Vertrag überflüssig.

Insofern ist es nicht etwa ein Ausdruck von Nationalismus, den Vertrag in der vorliegenden Fokussierung abzulehnen. Dies wäre hingegen gerade eine Verpflichtung zur internationalen Solidarität, wenn die Verursachung von Migration u.a. durch unverantwortliche Politiken des reichen globalen Nordens attackiert wird, wenn die ungehemmte weitere Globalisierung umgekehrt wird, und wenn das Recht von Völkern, ihre gewachsene Identität zu bewahren, anerkannt wird. Gerade dann kann auch ihre Bereitschaft gefördert werden, in einem begrenzten Maße Migranten und Fremde aufzunehmen und zu integrieren.

 

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