Von Lutz Götze
1502 ankerte die Karavelle des Christoph Kolumbus vor der karibischen Küste. Der Entdecker gab dem Land den Namen: Costa Rica, ›Reiche Küste‹ also. Fortan beuteten die Spanier das Land, wie anderswo, nach Belieben aus. 1821 wurde der Zwergstaat unabhängig. Blutige Fehden aber blieben an der Tagesordnung, zumal unter den ›cafetaleros‹, den reichen Kaffeebaronen. Der letzte Bürgerkrieg endete erst 1948.
José Maria Figueres Ferrer, genannt Don Pepe, gründete alsbald die Zweite Republik, schaffte die Armee ab und schuf erste soziale Reformen. Seither ist das Land wirtschaftlich stabil, kennt keine politischen Unruhen oder Putsche – im Gegensatz zu den Nachbarländern Panama, Nicaragua, Honduras, El Salvador oder Guatemala – und erhielt den Beinamen Schweiz Amerikas: ein heute, angesichts der zahlreichen Steuerbetrügereien und Schmiergeldaffären der Eidgenossenschaft, eher zweifelhaftes Prädikat. Die Zahl der ›Ticos‹, wie sich die Einwohner selbst nennen, die den Vergleich mit der Schweiz ehrenrührig finden, nimmt entsprechend zu.
Oscar Arias Sánchez, Präsident des Landes von 2006 bis 2010, bekämpfte erfolgreich die US-gestützten ›Contras‹ im Lande. 1987 schuf sein Plan Frieden in Costa Rica und mit den Nachbarn. Dafür erhielt er im gleichen Jahre den Friedensnobelpreis.
Sánchez investierte das Geld, das durch den Verzicht auf eine Armee gespart werden konnte, in Bildung, Erziehung und Sozialfürsorge. Schulbesuch und Krankenversicherung wurden frei; einzelne private Hochschulen, darunter die Universidad Católica de Costa Rica, verlangen dennoch Studiengebühren. Die einstmals kostenfreie Rentenversicherung leidet freilich unter chronischem Geldmangel. Im Einkammerparlament von San José werden Änderungen debattiert. Inzwischen wurden auch drastische Kürzungen von Sozial-und Bildungsausgaben beschlossen. Die Spaltung zwischen Arm und Reich hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen: Zehn Prozent der Einwohner Costa Ricas leben von weniger als 1,25$ am Tag. Die Armut fördert Gewalt und die Bereitschaft, am Drogenhandel mitzuverdienen.
Die Bevölkerung ist gemischt. Die Mehrzahl stammt aus der Karibik oder sind Mestizen, also Nachfahren der Kinder aus spanisch-indianischen Verbindungen. Die Zahl der Ureinwohner ist vergleichsweise gering.
Das Land gewinnt seine Energie zu nahezu einhundert Prozent aus regenerierbaren Quellen, vor allem der Wasserkraft. Solare Energie bestreitet allerdings derzeit lediglich fünf Prozent des Energiebedarfs. Hier soll beträchtlich ausgebaut werden, zumal der Bau weiterer Wasserkraftwerke am Widerstand der indigenen Bevölkerung vom Stamme der ›Teribe‹ scheiterte, die zu Recht argumentierte, dass ihr Territorium dadurch zerstört würde.
Schulunterricht ist bis zur sechsten Klasse obligatorisch; ein wesentlicher Aspekt der Ausbildung ist die Umwelterziehung und die Vermittlung nachhaltiger und wirksamer Schritte gegen Erderwärmung, Umweltverschmutzung und Seuchen. Das Ergebnis ist beeindruckend: Costa Rica ist eines der saubersten Länder weltweit. Der Besucher ist beeindruckt vom Willen der gesamten Bevölkerung, ihre Umwelt zu bewahren, sauber zu halten und im Frieden mit der Natur zu leben. Die Regierungen haben ein Drittel des Gesamtterritoriums des Landes in Nationalparks – achtzehn an der Zahl – umgewandelt, um Flora und Fauna zu schützen: ein leuchtendes Beispiel für alle Länder, keineswegs nur in Zentralamerika.
Die Mehrzahl der Menschen lebt von Ackerbau und Viehzucht: Costa Rica ist der größte Bananenexporteur der Welt und hat erfolgreich bereits vor Jahren die ›United Fruit Company‹ aus dem Lande gewiesen. Neben den Bananen bilden vor allem Zuckerrohr, Mango, Maracuja, Ananas und andere Feldfrüchte die Haupteinnahmequellen. Die Bodenschätze sind eher gering.
Wenn dann noch die paradiesische Landschaft samt Traumküsten auf der pazifischen wie karibischen Seite und aktiven Vulkanen hinzugerechnet wird, ist der Besucher geneigt, Costa Rica ein Paradies auf Erden zu nennen. Ist es das?
Nur sehr bedingt, denn die Probleme werden täglich deutlicher. Obenan stehen Drogentransfer, Korruption und Sozialabbau. Costa Rica liegt auf der Transitstrecke der Drogentransports von Kolumbien über Panama und Mexiko in die USA. Zahlreiche Kartelle sind im Land entstanden. Die neoliberale Wirtschaftspolitik, auch als Ergebnis des Freihandelsabkommens mit den USA aus dem letzten Jahrhundert, hat das Land dramatisch verändert. Bei einer Großrazzia im Dezember 2013 wurden Tonnen von Kokain sichergestellt, zusätzlich flog ein Großkartell auf. Die seit 2010 amtierende Präsidentin Chinchilla – erste Frau in dieser Position in ganz Mittelamerika und Nachfolgerin von Sanchéz- versuchte dagegen anzugehen, doch ohne Erfolg. Immerhin hat sie in ihrer Amtszeit weitere Reformen wie die Anerkennung der Homo-Ehe und ein Artenschutzabkommen verwirklicht, ließ aber auch 7000 US-amerikanische Soldaten und eine beträchtliche Anzahl Kriegsschiffe ins Land, um, wie sie erklärte, den Drogenhandel zu bekämpfen. Ihr Nachfolger Solis will das fortsetzen, nachdem man Chinchilla Korruption vorgeworfen hatte. Die Situation bleibt fragil.
Von den Kürzungen im Sozial-und Bildungsbereich während der letzten Jahre war oben bereits die Rede. Sie werden fortgesetzt, weil dem Land notwendige Einnahmen fehlen und große Teile des Haushalts und privater Gelder im Korruptionssumpf landen. Die Masse der Bevölkerung verarmt.
Der Tourismus hat in den letzten Jahren einen enormen Aufschwung genommen, vor allem im Norden um die Stadt Tamarindo. Etliche Hotels sind entstanden, manche freilich verharren im Rohzustand, weil das Geld fehlt. US-Amerikaner überfluten das Land: Für sie ist Costa Rica das gleiche wie Mallorca für die Deutschen. Entsprechend benehmen sie sich: laut, ohne Respekt vor den Menschen und Ihren Bräuchen, unangenehm. Obendrein kaufen sie in großem Stil Grund und Boden auf und werden dabei durch eine dubiose Gesetzgebung gegenüber Einheimischen begünstigt. Das facht den Zorn der Indigenen gegen die ›Gringos‹ zusätzlich an, der sich immer wieder in Gewaltakten entlädt.
Vom einstigen Paradies entfernt sich Costa Rica jeden Tag einen Schritt mehr.