von Herbert Ammon

I.

München rühmt sich womöglich noch immer, die »Weltstadt mit Herz« zu sein. Den Beweis lieferten jedenfalls Anfang September 2015 junge MünchnerInnen (damalige PC-taz-Rechtschreibung, noch ohne Gendersternchen), und das heißt vor allem grüne Menschen weiblichen Geschlechts, als sie die dank Bundeskanzlerin Merkels Grenzöffnung (»Grenzen kann man nicht schützen«) in Sonderzügen aus Ungarn ankommenden Syrien-Flüchtlinge auf dem Bahnhof mit Teddybären und Süßigkeiten, sicher auch mit Lebkuchenherzen, empfingen.

Dass München noch immer eine Weltstadt mit offenem Herz ist, beweist sie in diesen Wochen mit wiederholten Demonstrationen gegen die Gefahren einer Machtergreifung durch die AfD, unterstützt von der herzlosen CSU wie seinerzeit von Hugenberg und Papen. Hunderttausende, darunter – nicht zuletzt aus demographischen Gründen – eine Anzahl 68er »Omas gegen rechts«, bevölkern die Theresienwiese, um im Februar 2025 gegen einen zweiten 30. Januar 1933 zu protestieren. Tante Antifa verschwindet unter den vielen Omas und Studierenden. Der ganze Aufwand dürfte am absehbaren Wahlergebnis am Abend des 23.Februar 2025 wenig ändern, vor allem nicht außerhalb der Münchner Wohlstandsregion.

Auch im wohlhabenden München leiden arbeitende Menschen – aufgrund anhaltender Inflation und ähnlicher Belastungen – an der Minderung ihrer Reallöhne. Ihrer Leiden nimmt sich die Gewerkschaft ver.di an, droht mit Streiks im Bahnverkehr und organisiert Demos für mehr soziale Gerechtigkeit. Der Zufall will es, dass ausgerechnet ein paar Tage nach der letzten Großdemo gegen Rechts ein nicht ausreisepflichtiger Afghane sein Auto in die ver.di-Demo steuert und eine große Anzahl von Demonstrierenden (öffentlich-rechtliches Partizip anstelle des genderinsensiblen, aus dem lateinischen Partizip abgeleiteten Nomens ›Demonstranten‹) verletzt, naturgemäß einige schwer, wenngleich bislang – laut Radionachrichtten – noch ohne Todesfolge.

Mag sein, ein Afghane leistete wieder einmal – ohne Parteiauftrag – Wahlhilfe für die AfD, die sich über ein halbes oder ganzes Prozent in den Wahlumfragen freuen darf. Vielleicht fließen die Stimmen auch der CSU zu, wenn Söder auf das Ereignis mit einer starken Rede reagiert.

II.

Genug des Kommentars zu den jüngsten Nachrichten aus der bayerischen Hauptstadt. Uns interessieren die deutschen Zustände, peripher die Stimmenzahl für SPD und die Grünen, primär jedoch, was welche Regierung nach dem 23. Februar 2025 gegen die in allen deutschen Großstädten existierenden Zustände – in den Schulen, auf den Plätzen, in den zu Drogenumschlagplätzen verkommenen Parks – zu unternehmen gedenkt. Dafür, dass – was immer dem künftigen Bundeskanzler Merz und seinem inneren Zirkel vorschwebt – wenig unternommen wird und noch weniger dabei herauskommt, werden seine Koalitionspartner sorgen – laut Umfragen kommen nur SPD und Grüne zusammen in Frage – zudem die diversen pressure groups, die allseits alimentierten NGOs der Zivilgesellschaft und zuletzt die durchgrünte Justiz.

Im übrigen kommen – jenseits von mehr Grenzkontrollen und mehr Geld für mehr Polizeipräsenz – mutmaßlich alle Versuche, den Verfall der deutschen Gesellschaft aufzuhalten, zu spät. Die Statistiken zur Bevölkerungsentwicklung und zum katastrophalen Bildungsstand an deutschen Schulen illustrieren die seit Jahren anhaltende Abwärtsentwicklung.

Nicht zufällig konnte dieser Tage Thilo Sarrazin eine aktualisierte Neuausgabe seines – folgenlosen – Beststellers von 2010, Deutschland schafft sich ab präsentieren. Wenngleich zunehmend empfänglich für Alterspessimismus, fühle ich mich eigentlich nicht zum doomsday prophet berufen. Nichtsdestoweniger darf ich meine Schlusspassage aus einem – prophetisch anmutenden – Globkult-Artikel Sarrazin und die Zukunft der Deutschen: Die Abwicklung eines ›Falles‹ als Abkehr von der Wirklichkeit zur seinerzeitigen Aufregung um Sarrazin zitieren: »Kommt es nicht zu einer grundsätzlichen Umorientierung in der deutschen und europäischen Integrationsdebatte, werden wir ›unser Land‹ in einer Generation nicht mehr wiedererkennen. Fremdheit mag zu den Grunderfahrungen menschlicher Existenz gehören – es handelt sich indes um eine spezifische Erfahrung der europäischen Moderne, die anderen Kulturkreisen fremd ist.«

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