von Herbert Ammon

I.

Wir, der Souverän, das Wahlvolk, hat gesprochen (vielleicht – eher unwahrscheinlich – noch nicht endgültig nicht in der Hauptstadt). Jetzt sprechen die Parteispitzen darüber, was in den kommenden Jahren für das Volk das Beste ist. Und wir dürfen spekulieren, welche Regierung am Ende der Verhandlungen der siegreichen und weniger siegreichen Parteien herauskommt. Noch können wir auch Wetten abschließen: Wer wird Kanzler? Olaf Scholz oder Armin Laschet? Welche Koalition, nachdem uns die Weisheit der Wähler (sc. -innen) vor Rot-Grün-Rot bewahrt hat?

Auf Laschet zu setzen, wäre eine sehr riskante Wette. Aber wer weiß? Womöglich macht er den Grünen ein Angebot, das sie nicht ablehnen möchten: Klimarettung durch noch höhere Energiepreise und – beispielhaft für Europa und flächendeckend – durch noch höhere Windräder, Gender Speak in allen amtlichen Dokumenten und Verlautbarungen, dazu reichlich Ministerposten, am Ende sogar Baerbock als Außenministerin, weil sie vom Völkerrecht kommt. Aber was würde dann aus Heiko Maas, der wegen Auschwitz in die Politik gegangen ist?

Nein, die Chancen für Scholz, siegreich mit 1,6 Punkten Vorsprung, stehen besser. Aber auch bei dieser Wette kommen Unsicherheitsfaktoren ins Spiel. Wer spielt beim Koalitionspoker mit höherem Einsatz: Lindner für die FDP oder Habeck für die Grünen?

II.

Wie auch immer das Spiel in den nächsten Wochen ausgeht, für Unterhaltung ist gesorgt. Leider sind die Dinge durchaus nicht so unterhaltsam. Es geht – real und bedrückender als in den Wahlkampfparolen aller Parteien – um die schwierigen Zukunftsfragen für Deutschland und Europa. Ganz unabhängig von der Klimakrise – genauer: von dem lokal und mit CO2-freien erneuerbaren Energien allein womöglich gar nicht aufzuhaltenden Klimawandel – stehen wir derzeit vor der Frage, wie wir angesichts halbleerer Gasspeicher und schmaler Ölreserven über den nächsten Winter kommen.

Apropos Energiepreise und Windräder: Die Proteste gegen Landschaftszerstörung und Bodenversiegelung werden zunehmen. Die in höheren Einkommensgruppen und im urbanen Milieu beheimateten Grünen werden keinen politischen Gewinn daraus ziehen können. Vielmehr wird die deutsche Protestszenerie – zur Zeit dominiert von ›Querdenkern‹, Klimarettern und Antifa – politisch bunter werden.

Bei der Energiefrage kommt die Außenpolitik ins Spiel. Nach vorherrschender Meinung betreibt Putin mit verknappten Gaslieferungen über die bestehenden Pipelines ein erpresserisches Spiel. Nichtsdestoweniger scheint die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 für die deutsche (und österreichische) Gasversorgung unverzichtbar. Wie halten es die in die Regierung strebenden Grünen mit ihrer Ablehnung der fertiggestellten zweiten Pipeline durch die Ostsee? Wichtiger die eigentliche Frage: Wird es der künftigen Bundesregierung gelingen, den Unmut Polens, der baltischen Staaten sowie der Ukraine zu besänftigen?

Die von den Grünen proklamierte ›Klimaregierung‹ soll – zielgerecht vor dem allseits befürchteten tipping point – den ökonomisch-technischen Umbau auf ›saubere‹ Energien durchsetzen. Als wenig problematisch mag die dafür benötigte Gewinnung von Lithium aus dem südamerikanischen Atacama-Dreieck erschinen. Anders steht es mit Kobalt, des anderen für ›saubere‹ Batterien elementaren Rohstoffs. Hinsichtlich der Zustände in der Demokratischen Republik Kongo, dem wichtigsten Herkunftsland, geht es nicht nur für die Grünen um die Frage nach dem Verhältnis von Moral und Interesse, von Menschenrechten und politischem Eigennutz.

III.

Phrasen sind kein Ersatz für verantwortungsvolle Politik. Das gilt innenpolitisch für die moralisch aufgeladene Migrationsdebatte, erst recht für die großen Fragen der Weltpolitik. Die Warnungen vor der Klima-Apokalypse übertönen die Fragen nach den machtpolitischen Realitäten der Gegenwart, evident im Konfliktverhältnis der USA zu China und Russland sowie der – als weltpolitischer Machtfaktor instabilen – EU im Verhältnis zu den drei genannten Mächten.

Von Walther Rathenau stammt der Satz: Die Wirtschaft ist unser Schicksal. Alles, was – weit über die kommende Legislaturperiode hinausreichend – die deutsche und europäische Zukunft bestimmen wird, hängt von der fortdauernden Leistungsfähigkeit des hochentwickelten Industrielandes in der Mitte Europas ab. Höhere Staatsverschuldung und/oder exzessive Geldschöpfung für EU-Europa sind keine tauglichen Instrumente zur Erhaltung ökonomischer Produktivität.

Die Voraussetzungen dafür sind Spitzenleistungen im wissenschaftlich-technischen Bereich, die Bewahrung bzw. Wiedergewinnung deutscher Ausbildungsstandards im dualen Schulsystem, Stabilisierung der Bevölkerungskurve durch kluge Familienpolitik, Steuerung der Einwanderung (anstelle ungeordneter Migration), last but not least eine Selbstverständigung über Geschichte und Zukunft unserer Gesellschaft. Mit der Beschwörung ›grüner‹ Technologien und ›grünen‹ Wachstums und ›unserer besonderen historischen Verantwortung als Deutsche‹ ist es nicht getan.