Astrid Bötticher / Miroslav Mareš: Extremismus: Theorien - Konzepte - Formen, (Oldenbourg Wissenschaftsverlag) 2012, 460 S. von Felicitas Söhner

 

Der Begriff ›Extremismus‹ erscheint auf den ersten Blick recht unproblematisch . Beinahe täglich verwenden Medien und Öffentlichkeit dieses Wort. Doch so eindeutig und problemfrei, wie der Begriff zu sein scheint, ist er ganz und gar nicht. Dieses gängige Bild weist erhebliche Schwächen auf und ist gleichzeitig politisch folgenschwer.

Dabei ist die Debatte über den Extremismusansatz und dessen Auswirkungen für die Arbeit gegen diskriminierende, menschenrechts- und demokratieverachtende Einstellungen nicht neu. Seit Jahren verweisen Wissenschaftler und Kritiker darauf, dass eine plakative Einteilung in eine politische ›Mitte der Gesellschaft‹ und ihre extremen Ränder, die gegen einen demokratischen Verfassungsstaat gerichtet sind, empirisch nicht haltbar ist.

Das verfassungspolitische Grundkonstrukt der Extremismustheorie beinhaltet, dass derjenige, der wesentliche Prinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ablehnt, ein Extremist ist (vgl. Backes / Jesse 1993). Dieser Ansatz imaginiert eine von Links- und Rechtsextremisten bedrohte demokratische Mitte. Dabei verdeckt die Begrifflichkeit was empirische Studien zum Rechtsextremismus und seinen Anhängern längst belegen: eine sogenannte ›unbescholtene demokratische Mitte‹ existiert nicht (vgl. Kopke/Rensmann 2000, Link 1991). Dass eine Demokratie jedoch auch von einer Elite oder politischen Mehrheit bedroht sein kann, existiert in dieser Logik nicht. Vielmehr werden klare Grenzen suggeriert, die inhaltlich jedoch schwer bestimmbar sind, sowie Ähnlichkeiten zwischen rechtem und linkem Rand (vgl. Forum für kritische Rechtextremismusforschung 2011).

Gleichzeitig ist der Terminus ›Extremismus‹ kein feststehender juristischer Begriff, seine Grenzen sind vage. Als sozialwissenschaftlicher Ausdruck entzieht er sich einer klaren Definition. Auf dessen Fraglichkeit wurde schon häufig hingewiesen. Nichtsdestotrotz findet er in gesellschaftlichen Diskursen, politischen Aktionen und Verwaltungspraktiken Verwendung und auch Kritikern des Extremismusbegriffs ist es bislang noch nicht gelungen, einen adäquaten Ersatz zu etablieren. Auf dieser Basis eines unzulänglichen begrifflichen Modells näherten sich Bötticher und Mareš der Thematik und untersuchten und verglichen entsprechende Einstellungen. In ihrer jüngsten Untersuchung konstatieren die Autoren: »Extremismus ist ein gewaltvolles, politisch abweichendes Verhalten, dass (sic!) durch die Einstellung begünstigt wird, aber sich nicht darauf reduzieren lässt. Der Extremismus beinhaltet prinzipiell eine menschenverachtende Komponente und enthält partikular-moralische Elemente, die den ihm anhängenden Personen Sinnstiftung bieten bis hin zu einer das eigentlich Religiöse ersetzenden Spiritualität. Der Extremismus als ideologieverkapselte selbständige Subkultur befindet sich in einem ständigen Austausch mit der Mehrheitsgesellschaft, auf die er reagiert und gegen die er agiert, wenn es ihm möglich ist und in der er existiert.« ( Bötticher 2012 S.104)

Fächerübergreifend erfährt das Phänomen Extremismus unter anderem in der Politologie, Soziologie, Geschichtswissenschaft und Psychologie Beachtung. Aufgrund dieses theoretisch und methodisch breiten Forschungsfeldes haben sich vielfältige und untereinander mehr oder weniger dicht vernetzte Konzepte entwickelt. Um einen systematischen Zugang in diese komplexe Thematik und insbesondere Studierenden eine Einführung in diesen Forschungsbereich zu bieten (vgl. S.V ), haben Bötticher und Mareš ihre Einführung in den Extremismus veröffentlicht.

Astrid Bötticher / Miroslav Mareš: Extremismus: Theorien - Konzepte - Formen, (Oldenbourg Wissenschaftsverlag) 2012, 460 S.

Miroslav Mareš, Politologe an der Masaryk-Universität in Brno (Tschechien), beschäftigt sich seit Jahren mit dem Phänomen Rechtsextremismus in Tschechien und Deutschland. In seiner jüngsten Studie konzentriert er sich vor allem auf die Geschichte, Entwicklung und Gegenwart der Neonazi-Szene in Tschechien. Astrid Bötticher, Politologin an der Universität Witten-Herdecke, ist spezialisiert auf die Erforschung von politischem Extremismus sowie Ideologieforschung. Ziel ihrer Forschung ist es, »ein neues Forschungskonzept zu erarbeiten, welches sich von dem verfassungspolitischen Ansatz abhebt« (vgl. http://www.uni-wh.de/university/staff/details/show/Employee/boetticher/details/vita/).

Die Autoren setzen sich in ihrer gemeinsamen Publikation mit Theorien, Konzepten und Formen des politischen Extremismus auseinander. Sie beschäftigt sich eingangs mit der wissenschaftlichen Methodik des Forschungsfeldes und den unterschiedlichen Zugangsweisen zum Thema. Dieser erste aus der Feder von Bötticher stammende Part ist »als eine Art Werkzeugkasten konzipiert worden, dessen Inhalt dem Leser zur eigenständigen Verwendung dargereicht wird« (S.V). Darauf folgend werden verschiedene Formen von Extremismus klassifiziert und erläutert. Dieser von Mareš erarbeitete Abschnitt richtet sein Interesse auf verschiedene Zugänge zu konkreten Phänomenen sowie Anwendungsmöglichkeiten der zuvor beschriebenen Werkzeuge.

Im Aufbau des Buches orientierten sich die Autoren an didaktischen Gesichtspunkten (vgl. S.V ). Nach ihrem Verständnis entspricht die Dichotomie des Bandes einem stufenförmigen Modell des Erkenntnisprozesses, in welchem der Erläuterung und begrifflichen Aneignung die konkrete Anwendung des Neuen folgt.

Im ersten Teil des Buches werden verschiedene Schulen der Extremismusforschung und ihnen eigene Methoden und Theorien dargestellt. Der Leser findet Erläuterungen zum verfassungspolitischen Ansatz, zum historisch-genetischen Ansatz, zur politischen Psychologie wie auch zur Biographieforschung. Neben diesen verschiedenen Herangehensweisen an die Thematik wird auch der Prozess des Erkenntnisgewinns mit seinen didaktischen Etappen erörtert. Die Autorin bespricht in methodischer Offenheit klassifizierende wie auch verstehende Ansätze der Extremismusforschung um eine weiterführende Diskussion zu ermöglichen.

Die zweite Hälfte des Bandes wendet sich insbesondere einzelnen Extremismusformen im Rahmen eines Extremismusmodells nach einem Links-Rechts-Islamismus-Schema zu. Hierbei geht es dem Autor insbesondere um eine Klassifizierung und Positionierung der jeweiligen Extremismen und seiner Akteure in der Gesellschaft. Die großen inhaltlichen Themen im Rechtsextremismus, Linksextremismus und Islamismus werden differenziert und ausführlich inhaltlich beschrieben. Die Forscher erörtern weitere religiöse Extremismen, jedoch in deutlich geringerem Umfang. Auch gehen sie auf Formen von einem ethnischen, separatistischen sowie sogenannten Öko-Extremismus ein. Neben der Darstellung der sogenannten ›großen‹ Formen des Extremismus differenzieren Bötticher und Mareš auch deren Subkulturen und Grauzonen. Hier wäre es wünschenswert, wenn das Ungleichgewicht der Betrachtungsintensität verschiedener Extremismen hinreichend empirisch begründet worden wäre, beispielsweise durch deren konkreten Einfluss oder Gefahrenpotential.

Die Autoren verstehen diese Aufklärungsarbeit als einen fördernden Beitrag in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dieser Thematik. Bötticher und Mareš möchten dem Leser eine umfassende und fundierte Darstellung des Untersuchungsfeldes bieten, welche neben einer geordneten Übersicht auch konkrete Details enthält. Sie verstehen das Buch als eine Einladung, sich »weiter mit den spezifischen Fragestellungen und Phänomenen zu beschäftigen, die Kommunikation der verschiedenen Vertreter der Ansätze voranzutreiben, und sich ganz allgemein dem so wichtigen Thema im konzeptuell-methodischen und theoretischen Sachstand zu geben« (S. VI).

Abschließend verweisen die Verfasser auf die ausgebliebene theoretische Ausarbeitung potentieller Dynamiken als offene und interessante Aufgabenstellung (S. 393). Sie bewerten die Erforschung des Extremismus als wichtiges Feld der Gesellschaftstheorie und der Inneren Sicherheit, welches unter anderem klären sollte, wie das vom faktisch abweichenden Verhalten ausgehende »Risiko für die Bevölkerung minimiert werden« (S. 394) könne. Gleichzeitig begreifen sie den »Dualismus von Links und Rechts (als) längst überholt, aber (als) sprachliche(n) Fakt« (S. 394). Hier sind nach Ansicht der Autoren spannende Diskussionen zu erwarten.

Ein von manchen Wissenschaftlern propagiertes dualistisches Extremismusmodell ist meines Erachtens abzulehnen, da nach diesem für Links- und Rechtsextremismus eine Wesensgleichheit impliziert wird (vgl. Wippermann 2010). Deren Gleichstellung ist jedoch so nicht hinnehmbar, sondern entspricht vielmehr einer »Rückkehr in die Denkschablonen des Kalten Krieges« (Hafeneger 2009). Außerdem bietet ein dualistisches Modell keine Erklärung für das Phänomen des Nationalsozialismus, sondern erteilt vielmehr einem lebendigen, nichtstatischen, dynamischen Demokratieverständnis eine grundsätzliche Absage und ist somit als theoretischer Ansatz unzureichend. Die Autoren bestätigten die Problematik der Begrifflichkeit in ihrem jüngsten Beitrag: »Der Extremismus als Erscheinungsform ist nicht so umstritten wie die Definition desselbigen. Keinem würde es einfallen davon zu sprechen, dass es Extremismus nicht gäbe, doch was genau Extremismus ist, darüber besteht kaum eine Einigkeit.« (Bötticher 2012 S.101)

Neben einer ausstehenden Definition gibt es derzeit auch keine greifenden zivilgesellschaftlichen Konzepte gegen Extremismus. Manche Extremismustheorien vernebeln vielmehr dessen sozialökonomische Entstehungsursachen (vgl. Butterwegge 2009). Gleichzeitig verführen diese dazu abweichende Meinungen und Haltungen insbesondere in soziokulturellen Randgruppen zu vermuten. Um die demokratische Gesellschaft gegen Bedrohungen zu stärken, sollten sich die Praktiken und Handlungskonzepte stärker für Toleranz und Vielfalt einsetzen, um antidemokratische und menschenfeindliche Bewegungen in allen Segmenten der Gesellschaft zurückzudrängen. Zudem müssen die qualitativen Unterschiede des Extremismusbegriffs in der öffentlichen Debatte deutlich gemacht werden und dieser, solange alternativlos, nicht unreflektiert, sondern im Wissen um seine Problematik verwendet werden.

Es ist gut, dass zu dieser Thematik nun eine didaktisch gut angelegte Darstellung vorliegt. Das besprochene Buch kann für die in diesem Bereich Forschenden als guter Anstoß für eine grundlegende Debatte sowie als nützliche Informationsquelle dienen. So lässt sich abschließend festhalten, dass der Band einen lesenswerten Beitrag zur Extremismusforschung liefert. Inwiefern er zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Thematik beizutragen vermag, wird sich in zukünftigen wissenschaftlichen und öffentlichen Debatten zeigen.

Literatur:

BACKES, UWE / JESSE, ECKHARD (1993), Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn
BENDEL, PETRA (2002), Extremismus, in: Nohlen, Dieter / Schultze, Rainer-Olaf, Lexikon der Politikwissenschaft, 2. akt. u. erg. Auflage, Bd. 1, Verlag Beck, München
BRANDT, PETER (HG.) (1985), Antifaschismus, Ein Lesebuch. Deutsche Stimmen gegen Nationalsozialismus und Rechtsextremismus von 1922 bis zur Gegenwart, Litpol, Berlin
BÖTTICHER, ASTRID / MAREŠ, MIROSLAV (2012), Anti-Extremismus, in: Vorgänge, Die rechte Gefahr, Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin. S.101 – 108
BUTTERWEGGE, CHRISTOPH (2009), Rechtsextremismus in der Krise, in: Die extreme Rechte als Gewinner der Krise? Vortrags- und Diskussionsveranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung am 27.10.2009 in Berlin
FORUM FÜR KRITISCHE RECHTEXTREMISMUSFORSCHUNG (HG.) (2011), Ordnung. Macht. Extremismus. Effekte und Alternativen des Extremismusmodells, VS Verlag, Wiesbaden
HAFENEGER, BENNO ET.AL. (2009), Folgenreiche Realitätsverleugnung: Das neue Extremismusbekämpfungsprogramm der Bundesregierung, Öffentliche Erklärung zum Neuen Extremismusbekämpfungsprogramm der Bundesregierung, http://www.netz-gegen-nazis.de
KOPKE, CHRISTOPH / RENSMANN, LARS (2000), Die Extremismusformel, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 12, Blätter Verlag, Berlin
LINK, JÜRGEN (1991), Links/Rechts, Mitte/Extreme - Metamorphosen einer politischen Landschaft. In: kultuRRevolution. zeitschrift für angewandte diskurstheorie, Nr. 26, klartext Verlag, Essen. S. 25 – 29
MÖLLER, KURT (1998), Extremismus, in: Schäfers, Bernhard / Zapf, Wolfgang (Hg.), Handwörterbuch zur Gesellschaft Deutschlands, Leske + Budrich Verlag, Opladen, S. 188
NEUGEBAUER, GERO (2000), Extremismus - Rechtsextremismus - Linksextremismus: Einige Anmerkungen zu Begriffen, Forschungskonzepten, Forschungsfragen und Forschungsergebnissen, in: Schubarth, Wilfried / Stöss, Richard (Hg.), Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Bilanz. Leske+Budrich Verlag, Opladen
WIPPERMANN, WOLFGANG (2010), Politologentrug – Ideologiekritik der Extremismus-Legende, in: Reihe Standpunkte, 10/2010, Rosa Luxemburg Stiftung, Berlin

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