von Ulrich Schödlbauer

In jener Zeit, als die Kunst noch geholfen hat, war sie weniger Rätsel als aller möglichen Rätsel Lösung: Das Publikum blickte auf sie und verstand. Zum Rätsel wurde sie erst, als die Welträtsel anderen Lösungen zugeführt wurden und sie die entzauberte Welt künstlich verrätseln musste, um nicht überflüssig zu erscheinen. Das Rätsel Kunst ist eine Statusfrage, die sich immer aufs Neue stellt und immer neue Antworten generiert.

Paul Mersmann der Jüngere (1929 -2019), der Schalk unter den deutschen Nachkriegsmalern, war ein großer Verehrer de Chiricos und der hermetischen Literatur. Sich selbst sah er in der Nachfolge der Surrealisten, die er für die eigentlich religiösen Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts hielt. Auf der Leinwand bevorzugte er die pittura grassa, die fette Ölmalerei, die im kraftvollen Auftrag der Farben schwelgt. Im Hildastift, einem Wiesbadener Altenwohnheim, kann der Besucher acht Bilder erfragen, die, ursprünglich für die Rotunde über dem Eingangsbereich gedacht, heute in einem der rückwärtigen Gänge hängen, zusammengepfercht in einen gemeinsamen Rahmen, als handle es sich um ein einziges Bild, was definitiv nicht der Fall ist. Zu den Rätseln, die sie aufgeben, gehört auch der Titel – Paul nannte sie Rätselbilder. Dafür muss es einen Grund geben. Ich bin lange vor diesen Bildern gestanden und habe mich gefragt, von welchem Rätsel der Titel wohl sprechen mag (Abbildungen hier).

 

Kommentar

Die Ankunft des Träumers

(1) Ross und Reiter nennen – das ist nicht so einfach, vor allem, wenn du selbst der Reiter bist und das Ross kein Ross, sondern ein Untier, ein Tier, das es nicht gibt, der Zeichenhand eines Kindes entsprungen, ein Einhorn, du spürst es kaum unter dir, denn da ist noch etwas unter dem Tier, ein schaukelndes Boot im Wasser, du stößt euch vom Ufer ab und ihr seid im Bild. Eine Lyra wartet am Ufer auf dich, geformt wie ein Pi (π), dein Blick wandert weiter, hinauf über den Sockel zu einem Segel, einer tiefblauen Mandorla und einer Statue, ganz in Weiß, immer eins im anderen wie bei einer Matrjoschka. Die Statue, die vielleicht eine Frau ist, hebt den Arm, die Geste besitzt Anmut und Würde, zugleich und in einem, du spürst deine Nacktheit, von der erhobenen Hand der weißen Frau löst sich ein Strahl und wandert … wandert, dein Blick wandert mit, vielleicht auch nicht, vielleicht bloß das innere Auge, ein Ei ruht, aufgerichtet, auf einem Dreifuß, rein und vollkommen, ein klares Symbol. Wie klein du dir vorkommst! Musste das sein? Was treibt der Mann da vor dem Gemäuer? Es wird ein Bedürfnis sein, das ihn treibt. Er hat ein Brett vor dem Kopf, das ist deutlich zu erkennen, der magische Kontakt berührt ihn nicht, er klebt zwischen den Wänden, der Traum braucht ihn nicht. Warum steht er dann da? Du hingegen … du bist unterwegs, du bist angekommen, dich trägt das Wasser, dich trägt das Untier, du bist der Träumer im Land der Träume, der Spottkönig Ohneland.

Wieder vereint!

(2) Der Zyklus entstand, ich vergaß das zu erwähnen, Anfang der neunziger Jahre, zur Zeit des Wiedervereinigungsrausches, als die Politik das aseptische Wort ›Einheit‹ als Riegel zwischen den Vorgang und die Reminiszenzen schob, die er im Volk hätte auslösen können. Was könnte der öffentlich verordneten Phantasie näher liegen als so ein Bild: zwei junge Frauen, aufeinander zueilend –: einen Augenblick noch und sie werden sich in den Armen liegen. Wie rührend! Die rechte, östliche, hat die trennend-vereinende Brücke bereits betreten. Die andere, spät dran, eilt hinauf. Die Brücke wirkt klein, rasch zu bewältigen, doch der Steg ist schmal und von Stolpersteinen blockiert. Ein hartes Stück Arbeit liegt vor den beiden. Gewiss, sie werden es schaffen! Mersmann war die politische Existenz der Deutschen zuwider. Er träumte sich, wenn er träumte, an den Prager Hof des Renaissancekaisers Rudolph II. – halb Artist, halb Alchimist. Und wirklich: verstört und leicht derangiert entweicht der Doppeladler des alten Habsburger Reiches dem blondbezopften Idyll. Das einzig Beständige im Raum ist der Fluss, der träge unter dem Paar seine Bahn zieht, eingefasst von Steinen, die an den Zahn der Zeit gemahnen: panta rhei. Die Zwietracht aber höret nimmer auf. Mersmann ist tot, das Bild lebt. Wie recht beide doch bekommen sollten.

Felsenpfad mit Kentaur

(3) Kentauren sind selten geworden. Das gilt für die freie Natur, es gilt umso mehr in der Kunst. Bei Picasso trifft man sie noch, bei Mersmanns frühem Idol de Chirico, selbstredend bei Böcklin, doch in der Regel muss man zurückgehen in die Mythengehege früherer Jahrhunderte, um fündig zu werden: Symbiosen aus tierischer Kraft und männlichem Stolz, antike Einheit von Mensch und Natur, unerlöst heidnisch, von keinerlei Platonismus angekränkelt. Mersmanns Kentaur ist der ›sich tierisch lesende‹ Mensch, der Mensch ohne Transzendenz, hineingestellt in eine durch und durch zwittrige Landschaft. Wohin der Blick auch fällt, überall schimmert Kunst durch, sei es die Van Goghs in Gestalt der Zypresse und des Weges, der sich hinter ihr schlängelt, sei es Petrarcas mühsam zu erklimmender Felsenpfad, der auf den Gipfel des Mont Ventoux führt und dort geradewegs in die Meditation, seien es die typischen Mersmann-Formen. Was treibt ein Kentaur, selbst eine Kunstfigur, in solcher Umgebung? Er lässt Blätter in einen Baumstumpf rieseln. Warum? Ein Rezept? Ein Ritus? Eine Beschwörungsgeste? Er wird den Stumpf nicht beleben. Doch wer so denkt, ist vielleicht nicht im Bilde. Wäre das gemeint: Im-Bilde-Sein? Vom Eingehen ins Bild sprach einst Walter Benjamin. Hier bleibt der Betrachter ausgeschlossen. Er mag sich an die Stirn fassen, wie er will: Es ist nicht zu fassen.

Freiheit

(4) Ein Schütze, den Bogen spannend, zielt ins Hohe und Weite. An der Spitze des Pfeils, halb aufgespießt, klebt Tells Apfel. Schuss und Treffer sind eins. Im Hintergrund, links im Bild, fliegt die Trikolore. Hinter einem Bergrücken dampft schwerfällig die Sonne herauf: ein Bild der Aufklärung? Vielleicht versinkt sie auch: Aufklärung adé! Alles ist möglich. Ein Zwischenwesen aus Pferd und Hund rennt einen Abhang herunter, eine Kopf-ab-Rübe auf dem Karren hinter sich her zerrend, über dem die schwarze Fahne der Anarchie weht. Da wären also bereits drei Spielarten der Freiheit versammelt. Fehlt noch als vierte die Freiheit der grauen Gans, die dem Schützen in die Parade fährt: Figur der Anspruchshaltung des fordernden Mittelmaßes, der, gerade eingetroffen, auch schon zum Angriff übergeht.

Schlaf der Vernunft

(5) Was treibt die junge Frau mit Kind zwischen den Felsen? Drei Augenpaare beherrschen das Bild: das der sitzenden Frau, die den Betrachter anblickt, als sitze sie Modell, das des Kindes im Korb, das den Kopf hergedreht hat, während sein Blick eher die Mutter zu suchen scheint, schließlich das abgewandte des Malers oben links im Bild, der, mit spitzem Pinsel den Himmel vollendend, in die Weite späht, als habe er dort noch eine malerische Unstimmigkeit zu beheben. Die Gegenkraft zur Konstellation der Figuren liegt in den Steinen, die keine Steine sind, sondern organische Formen, ganz wie das Gebirge im Hintergrund – Embryonen sind es, zugehörig einer Welt im Entstehen, im Halbschlaf, entsprungen dem Schlaf der Vernunft, der nicht mit Nachtgespenstern schreckt, sondern den Tag illuminiert. Hier atmet alles Zukunft, zumindest wünscht man sie ihm. Was daraus werden mag? Niemand weiß es.

Was soll der Zirkus?

(6) Zwei Schimmel, an den Flanken zusammengewachsen, vielleicht auch nur dicht beieinander stehend, dazwischen ein trennendes, schwer zu taxierendes Element. Ein Karussell auf Rädern, die Kugeln gleichen, umkreist die beiden. Rechts im Bild torkelt ein trunkener Drache davon und linkerhand schießen zwei seltsame Geschütze einen aufragenden Bau in Brand, der vielleicht nur ein Mauerstück ist, das sich wie durch ein Wunder geöffnet hat und durch dessen Öffnung die Pferde jetzt hindurchdrängen. Wie sie da stehen und die Köpfe drehen, wirken sie ein bisschen wie Zirkuspferde. Doch genauso gut könnten sie Ordensbänder tragen und sich über den Zirkus wundern, der um sie herum veranstaltet wird. Jedenfalls sind sie die Attraktion der Stunde und wie es scheint, wissen sie nicht recht, was sie davon halten sollen.

Im Labyrinth der Deutungen

(7) Der Korb ist leer, das Kind ist weg, der Apothekenvogel, auf einer Stange sitzend, trägt eine Botschaft im Schnabel: So weit, so gut. Auch die nackte Figur im Teich kommt einem inzwischen bekannt vor, doch reitet sie nicht mehr auf einem falschen Pegasus, sondern rudert mit einem Fuß im Wasser und scheint den Vogel um die Herausgabe des Zettels zu bitten. Aber vielleicht liegt da bereits die Täuschung und die Figur streckt bloß die Handfläche vor, um sie dem Betrachter zu zeigen, der darin ein Dreieck oder ein Wundmal entdecken darf, falls ihn das Bedürfnis nach Sinn überkommt. Rätselhaft auch die tellerartigen Scheiben, denen man bereits in den anderen Bildern begegnete. Eine davon scheint die nackte Gestalt als Boot benützen zu wollen, doch ist sie bereits durch den Boden gebrochen und das Gefährt erscheint unnütz. Alles wirkt bedeutsam und jede Bedeutung führt weiter ins Labyrinth: obscurum per obscurius. Und doch liegt die Aussage klar vor Augen – die dringende Bitte um das Rezept, das Rettung verspricht, vorgetragen von jemandem, der zu versinken droht, offenbar einer nicht ganz unbedeutenden Figur weiblichen Geschlechts, wie die Andeutung eines BHs verrät, auch wenn das sogenannte Geschlecht verhüllt bleibt. Apropos Hülle: Vielleicht hält der Vogel doch kein Rezept im Schnabel, sondern ein Stück des Verbandes, der die Figur im Wasser lose umschlingt. Mag sein, sie verlangt die Herausgabe, um ihre Garderobe zu komplettieren. Dann allerdings wäre der Vogel ein Künder des Schabernacks und der Korb auf der grünen Wiese zitierte den Korb, in dem man auf der Place de Grève die Köpfe der Guillotinierten davontrug. Dazu könnte die Brandfackel rechts im Bild ganz gut passen.

Tohuwabohu

(8) Dass Stühle auf Bergen stehen und sich zu Häusern auswachsen, sollte in einem Universum nicht weiter verwundern, in dem aus Felsen lange Stangen aufragen, aus denen Feuer, vermischt mit Wasserdampf, hervorbricht oder -flammt. Sicher ist nur, das gemeinsame Haus steht in Flammen und von unten dringt Wasser ein, während die Computer nutzlos herumstehen und große Augen machen. Das Ganze ein wenig wirr, aber die Herren mit den kantig entschlossenen Gesichtern im Vordergrund werden die Herausforderung wohl stemmen. Vielleicht sind sie auch nur auf der Flucht oder die Landschaft hat sie ausgespuckt und sie haben mit der Sache rein gar nichts zu tun. Gehören sie zusammen? Freund oder Feind? Oder halten sie bloß sie nach der Kamera Ausschau? Handelt es sich um Porträts zweier Schauspieler, die keiner mehr kennt? Was soll der Betrachter mit ihnen anfangen? Auch das Tohuwabohu will gemalt sein und jeder fischt sich heraus, was er gebrauchen kann.

 

Betrachtung

Aus Resignation oder Einsicht bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass die Bilder, die den Betrachter, der nach Bedeutung Ausschau hält, fast nach Belieben narren, tatsächlich das Rätsel ins Visier nehmen, das sie aufgeben. Das mag komplizierter klingen, als es ist. Seht her, heißt es, mich werdet ihr nicht entschlüsseln. Die Botschaft bleibt vorerst verborgen – vielleicht bis zum St. Nimmerleinstag, vielleicht darüber hinaus, vielleicht findet sich einmal ein Jean-François Champollion, der die Hieroglyphen in lesbare Schrift verwandelt. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Aus diesem Labyrinth ist so schnell kein Entkommen. Es sei denn…

Wie sagt Kafkas Katze zur Maus? Du musst nur die Laufrichtung ändern! Vielleicht ist bereits der beschlagene, der geheimnislüsterne Blick auf die Bilder falsch. Immerhin wurden sie gemalt, um ›aus luftiger Höhe‹ auf die Gäste des Hauses herabzublicken, den größten Teil der Zeit unbeachtet, hin und wieder mit einem forschenden Blick bedacht. Etwas Selbstgenügsames haftet an ihnen, als sei das Schicksal, dem Treiben der Menschen entrückt zu sein, bereits mitkomponiert. Kann man Bilder malen, die es in der Konsumwelt nicht gibt? Kann ein Künstler eine Kunst wollen, die sich bewusst abseits hält? Jedenfalls nur dann, wenn es aus seiner Sicht etwas Bedeutsameres gibt als ›Rezeption.‹ Nein, sagt das betriebsame Gemüt, Kunst, die für niemanden da ist, hat ihren Daseinszweck verfehlt. Warum gäbe es sonst Museen? Warum wäre die Welt voll von Reproduktionen? Kunst und Wirkung sind eins. Wo keine Wirkung ist, da ist auch keine Kunst. So verlangt es die gerade Blickrichtung auf die Kunst. Aber wo ein Gerades existiert, da existiert auch ein Schräges. Der oblique Blick nimmt die Weltdinge anders wahr. Der bestvermarkteten Kunst haftet etwas Abseitiges an, das nur dem entgehen kann, der sich von aller Kunst verabschiedet hat. Warum sollte, wo alles auf Steigerung der Effekte angelegen ist, nicht einmal auch dieser Aspekt gesteigert werden?

Nimmt man die Gemälde so, wie sie sind, als Objekte, die sich entziehen, als bildgewordene Skepsis gegenüber dem Fassungsvermögen und -willen des Publikums, als provinzverschlagene Trotzköpfe des Kulturbetriebs und hermetische Chiffren ihrer selbst, so ergeben sich überraschende Schnittmengen. Der Träumer im See, der aus einer kindischen Phantasie hervorgegangen zu sein scheint, die beiden Zopfmädel, die an Figuren des Struwwelpeter erinnern, der liebevoll gemalte Kentaur aus einer Zeit, in der die europäische Kunstwelt noch das Sagen hatte, die herzige donna col bambino, sie alle zitieren Elemente einer abgesunkenen, dem Bildungsspießer geläufigen Motivwelt, platziert an imaginären Orten, die ihrer Vertrautheit Hohn sprechen, Landschaften, in denen der Pinsel den Pinsel führt, um es in einer Metapher zu sagen, bei der sich an Beliebiges denken lässt, an Nietzsches Sils Maria zum Beispiel oder an den bereits erwähnten Van Gogh, an barocke Wolkenmalerei oder an frühere Mersmann-Arbeiten. Verweise verschränken sich, die einander nicht viel zu sagen haben. Was liegt näher, als die guten Leutchen ein wenig zu narren? Mersmann, der die Liebenswürdigkeit in Person war, konnte auch boshaft sein. Jeder großen Kunst ist ein Gran Bosheit beigemischt. Hier erregt bereits der Titel Misstrauen: Ihr werdet rätseln und ihr werdet nichts finden.

Ist das arrogant oder notgeboren? Vielleicht ist auch diese Frage falsch gestellt. In der postmodernen Welt musealer Begutachtung existiert ein Überschuss an Sinn, der sich auf jedes neue Objekt stürzt, als habe er schon immer darauf gewartet, sich in ihm zu reproduzieren. Spiegelverkehrt erscheint er in der Leere der Köpfe, die damit nichts anzufangen wissen, aber vom Entzücken an der Kunst nun einmal nicht lassen wollen. Es erscheint legitim, wenn sich Kunst dieses Ansturms erwehren will. Das Maß des Erträglichen ist erreicht, wenn jeder schon weiß, was dem anderen dazu einfallen wird, und sich innerlich in Abstinenz übt, weil er das Spiel durchschaut. Vielleicht bedeuten die tellerförmigen Scheiben, wie sie unvermittelt auf einigen Bildern erscheinen, die leeren Teller der Kunst, auf denen der Sinn heiß serviert wird. Der Betrachter findet nichts, aber das macht nichts, da er alles schon weiß. Unter den Alleswissenden ist der Maler der Analphabet, der unentwegt Hieroglyphentafeln aus dem Schutt der Jahrtausende zieht, aber den Rosetta-Stein wohlweislich unter der Erde lässt, um das Geschäft nicht kaputtzumachen.

*

Es gibt eine Ungeduld mit der Kultur, die sich nicht auf die Kunst beschränkt, aber in der Disproportion aufwendiger (und entsprechend teurer) Museumsbauten und ihrer seriell wirkenden Bestückung dankbare Objekte für beißende Kritik findet. Repräsentation frisst Kunst – so oder ähnlich lauten die Klagen, sicher nicht zu Unrecht, wenn man die verbissenen Kämpfe um schrumpfende Kulturetats Revue passieren lässt. Aber der Unmut reicht weit darüber hinaus. Genau betrachtet gilt er dem Phänomen der Weltkunst, deren Ausstellungswert sich im Privatsafe realisiert, wo sie als Geldanlage vor sich hindämmert. Das müsste die Öffentlichkeit nicht kümmern, würde es nicht die Frage aufwerfen, wie die öffentlichen Hände eigentlich den großen Potlatsch rechtfertigen, als der sich der steuerfinanzierte Kulturbetrieb seinen Verächtern darstellt. Mersmann (dessen Spätwerk ebenfalls überwiegend in den Safes privater Sammler liegt) glaubte darauf eine Antwort gefunden zu haben: Die Autorität der Kunst, Wirklichkeit nicht bloß zu gestalten, sondern auch zu deuten, ist der des Staates und seiner Trabanten klar überlegen. Gerade deshalb wäre sie auf ein Mäzenatentum angewiesen, das diese Überlegenheit erkennt und akzeptiert, also das genaue Gegenteil einer Ausgabenpolitik, die auf Propaganda-, Lifestyle- und Tourismuseffekte geeicht ist. Das klingt sehr renaissancehaft und ist auch so gemeint. Nicht die Kunst hat sich vor der Politik zu verantworten, sondern die Politik vor der Kunst. Dass sich das weit von der zeitgenössischen Realität entfernt, ist aus dieser Sicht kein Einwand, sondern eine bittere Feststellung. Die entgötterte Welt mag Realität sein, aber diese Realität bedarf des rettenden Gottes.