
von Ulrich Schödlbauer
In Berlin rufen die Penner abweisenden Passanten ein »Gu'n Tach noch!« nach. Seit einigen Tagen vermisse ich das. Es scheint, alle sind jetzt Kriegsopfer und erwarten, dass man ihnen schwere Waffen aushändigt. Andernfalls sind sie ernsthaft beleidigt. Jedenfalls schweigen sie auffällig.
von Immo Sennewald
Fliehkräfte aus dem Reich der Mitte
Ein Bestseller ist dieses Buch schon, nichts fehlt: Politthriller, Liebesgeschichte, Sittengemälde, Familiendrama – alles so ungekünstelt wie glaubwürdig erzählt von einem 1968 geborenen Chinesen. Wie viele andere Autoren wird er seine Heimat schwerlich wiedersehen. Desmond Shum ist aber weder ein Dissident vom Range eines Liu Shaobo, Friedensnobelpreisträger, nur zum Sterben von Xi Jinping aus dem Kerker entlassen, noch ein Liao Yiwu, der mit aufsässiger, rebellischer Poesie, mit Romanen aus den Abgründen Chinas gegen die Kommunistische Partei zu Felde zog – er ist eigentlich ein Muster an Heimatliebe und Engagement, Liebling aller Schwiegermütter, gebildet, groß, sportlich, charmant. Doch er lebt heute mit seinem Sohn in England, seine geschiedene Ehefrau verschwand im September 2017 in Peking spurlos. Ihr einziges Lebenszeichen war seither ein Telefonat mit der flehentlichen Bitte, dieses Buch nicht zu veröffentlichen. Niemand weiß, was Whitney Duang widerfährt im Reich der totalen Kontrolle, im Reich des kollektiven Gehorsams, wo der einzelne Mensch keine Rechte, keinen Schutz vor den Mächtigen hat. Er hat nicht einmal mehr eine Stimme am Telefon, wenn der allmächtige Staat ihn isoliert.
von Lutz Götze
Mark Twain soll einmal gesagt haben, der Herrgott habe am Anfang Mauritius erschaffen und erst danach das Paradies. Käme der Dichter heute auf die Insel, so müsste er bekennen, dass er einem furchtbaren Irrtum erlegen war.
Die Insel im Indischen Ozean liegt nahezu 11 000 Kilometer von Mitteleuropa entfernt und wird nach langer Pandemiepause, jetzt wieder von einer Vielzahl von Fluggesellschaften bedient. Der moderne Flughafen Seewoosagur gerät in Stoßzeiten bereits jetzt – vor der Hauptsaison – an seine Grenzen. Stundenlange Wartezeiten an den diversen Kontrollschaltern erwarten den Reisenden, der von den 11 Stunden Nachtflug ohnehin genervt ist. Übermüdete schreiende Kinder steigern das Unwohlgefühl.
Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2024 Lucius Garganelli, Serie G