von Helmut Roewer
In diesem kurzen Beitrag geht es um linke Ikonographie am Beispiel der Tina Modotti. Sie war eine Fotografin, eine Stummfilm-Darstellerin, ein Modell, eine Komintern-Agentin, und sie ist ein Liebling aller gerecht und billig und feminin Denkenden. Kratzen wir ein wenig an der Fassade!
Eins
Nun wäre ich im Traum nicht darauf gekommen, an Modotti einen Gedanken zu verschwenden, doch der vorbeifahrende Linienbus wollte es anders. Die Erschütterungen, die er in meinem Arbeitszimmer routinemäßig erzeugt, waren diesmal Anlass, dass ein von mir unordentlich aufgeschichteter Bücherstapel umstürzte und das seit langem Auszumusternde, Doppelte oder als offensichtlich idiotisch Wegzuwerfende sich auf dem Fußboden ohne erkennbare Ordnung verteilte. Ich war also genötigt, jedes Buch noch einmal in die Hand zu nehmen. Es waren ziemlich viele.
Mein Auge blieb, wie man so sagt, an einem roten Sonderangebots-Aufkleber hängen, der auf 1,95 € lautete. Er verunstaltete unentfernbar das Buch Auf den Spuren von Tina Modotti. Ich kann mich nicht entsinnen, es wenigstens durchgeblättert, geschweige denn gelesen zu haben. Der Name der Beschriebenen sagte mir nichts, und schon gar nicht der Name der Autorin: Christiane Barckhausen.
Was nun folgte, könnte man einen Selbsterforschungs-Prozess nennen. Mein Arbeitsrechner meldete, dass ihm Modotti bekannt sei. Der Fundort, nämlich das von mir mitverfasste Lexikon der Geheimdienste, machte mich stutzig. Nun gut, man kann nicht jeden der dort verzeichneten Tausenden von Namen im Kopf haben. Wirklich nicht. Und richtig, der Treffer bezog sich gar nicht auf Modotti selber, sondern auf diesen Mann hier:
Nach solchem Einstieg war die Neugierde geweckt und gedanklichen Abschweifungen vom Arbeitsprogramm des Tages Tor und Tür geöffnet.
Zwei
Die hier porträtierte Modotti stammte – wichtig genug in der kommunistischen Ikonen-Malerei – aus der italienischen Arbeiterschaft, also der richtigen, der Vater war Arbeiter, die Mutter Hausfrau. Wann und wie sich die Tochter, die in Wirklichkeit gar nicht Tina hieß, aus diesem Milieu löste, habe ich nirgends glaubhaft beschrieben gefunden. Ist auch letztlich ohne Bedeutung.
Sie tritt Anfang der 1920er Jahre aus der Anonymität heraus, als sie nach erfolgter Auswanderung der Familie nach Kalifornien wenig bis gar nicht bekleidet in Stummfilmen auftritt und als Modell bekannter Maler und Fotografen dient. Jetzt im Nachhinein ist es unklar, ob dieses Heraustreten aus der Masse schon damals so gesehen wurde, oder ob es sich hier um Memoiren-Redseligkeit und späteren Recherche-Fleiß handelt, denen wir solche Lebensweg-Daten verdanken. Irgendwann in jenen Tagen muss sie in den USA den französischen Adligen Roubaix de l’Abrie Richey geheiratet haben, von dem ich gelesen habe, dass er sie alsbald zur Witwe machte.
Wie auch immer, der eigentliche Durchbruch erfolgte nach ihrer Ausreise nach Mexiko, wo sie mit dem amerikanischen Fotografen Edward Weston zusammenlebte, der sie gründlich in die Kunst mit der Kamera einführte. Nachdem sich der Geliebte Ende 1925 in die USA absetzte, machte sie alleine weiter, hatte mit ersten Fotos Erfolg und etablierte sich in der linken Künstlerschickeria um Diego Rivera in Mexico-City.
Die Verbindung zur Komintern, der in Moskau ansässigen Zentrale der Weltrevolution, schaffte deren Mexiko-Resident Arnold Waag, den sie vermutlich unter dessen Decknamen Stirner kennenlernte. Nachdem dieser Weg eröffnet ist, tritt ein neuer Mann in Modottis Lebensbahn ein. Sie fotografiert ihn, das Ergebnis kann sich sehen lassen. Es hätte jeden Gangster-Film aus Hollywood schmücken können. Der Mann ist tatsächlich ein Gangster. Es ist der Komintern- und spätere NKWD-Agent Enea Sormenti, in Wirklichkeit der Italiener Vittorio Vidali – ein Auftragsmörder.
Von nun an ist nicht mehr trennscharf zu unterscheiden, ob ihr die Verbindung zu den Sowjets bei der Arbeit nutzt, oder ob es diesen nutzt, dass sie ein etabliertes Mitglied der mit Stalins Russland sympathisierenden Kunstszene ist. 1930 wird dieses Doppelleben unterbrochen, denn der mexikanische Staat weist Modotti wegen unterstellter terroristischer Umtriebe aus. Zufall oder auch nicht: Mit demselben holländischen Dampfer muss auch Komintern-Mann Vidali das Land Richtung Europa verlassen.
Als die Arbeiter-Illustrierte-Zeitung (AIZ) der KPD zum 1. Mai 1931 mit dem Frontcover des Jahre alten Modotti-Fotos einer Fahnenträgerin aus Mexiko erscheint, ist die Fotografin in Moskau angekommen. Fortan gibt es keine Fotos mehr von ihr, denn sie ist Untergrundkämpferin für die Sache des Kommunismus geworden. Sie reist fortan mit Decknamen und Falsch-Dokumenten in Europa herum, um schließlich wieder in Mexiko zu landen, wo sie 45jährig stirbt.
Drei
Der Rest ihres Lebens ist schnell erzählt, weil es im Grunde die weißen Flecken sind, die ihren Weg markieren. Von Mexiko geht die Reise via Deutschland nach Moskau, wo sie fortan als Mitarbeiterin der Komintern beschäftigt wird. Dieser Generalstab der Weltrevolution sendet die Vielsprachige (italienisch, deutsch, englisch, spanisch und vermutlich französisch) als Kurier und Organisatorin in sein westeuropäisches Büro in Paris. Fortan heißt sie Maria. Dann, nach sechs Jahren kommt das nächste große Abenteuer, der Spanische Bürgerkrieg (1936-39).
Als sie dem Chaos am Ende dieses Kriegsgeschehens schließlich über Frankreich entkommt, hat sie eine wüste Karriere an der Seite ihres Lebensgefährten Vittorio Vidali hinter sich.
Dieser NKWD-Agent betätigte sich auf Geheiß seiner sowjetischen Vorleute als Auftragskiller. Seine Zielpersonen sind linke Abweichler, an denen in Spanien kein Mangel war. Zu Vidalis Opfern zählte Andres Nin, der Führer der spanischen Anarchisten. Für solche Leute war in Moskaus Lesart des Sozialismus kein Platz. So sorgte man, wenn auch auf Umwegen, für den Sieg der Franco-Partei, allem Geschwafel von der internationalen Solidarität zum Trotz. Ich erwähne diesen Umstand, weil bei der Lektüre der reichhaltigen sozialistischen Erbauungsliteratur über den Spanischen Bürgerkrieg stets der unzutreffende Eindruck erzeugt wird, das sogenannte Gute habe gesiegt, während in Wirklichkeit das Gegenteil zutraf – Francos Diktatur ging als Sieger in die Geschichte ein.
Ob Modotti beim Leute-Umlegen behilflich war, vermag ich nicht zu sagen. Ihre Biografen halten diese Sache nicht für erwähnenswert. Indessen: Dass sie vom Tun ihres Lebensgefährten nichts mitbekam, schließe ich aus, und was genau Modotti in der Zeit in Spanien machte, weiß ich auch nicht. Klar ist hingegen, dass Modotti nach der Flucht aus Spanien versuchte, mit dem Schiff und echten spanischen Falschpapieren als Carmen Ruiz Sánchez auftragsgemäß aus Europa zu entkommen.
Ihr Zielland waren die USA, wo man sie nicht einreisen ließ, denn mittlerweile hatte das FBI eine Personenakte über sie angelegt, in der sie als sowjetische Agentin bezeichnet wurde. Eine Einreise nach Mexiko gelang hingegen, wo sich Modotti wegen ihrer Ausweisung im Jahre 1930 nunmehr vermutlich als Illegale unter einem Falschnamen aufhielt. Inwieweit ihr Aufenthalt in Mexiko-City von den Behörden geduldet wurde, lasse ich mal offen. Jedenfalls hat sie in dem ihr verbleibenden Lebensrest nicht wieder für öffentliche Furore gesorgt. Erst ihr Tod brachte sie wieder in die Schlagzeilen.
Erwähnenswert bleibt noch, dass sie hier in Mexiko wieder mit ihrem Gefährten aus Spanien, Vittorio Vidali zusammenkam, der eingetroffen war, um den Stalins Erzfeind Leo Trotzki umzubringen. Der Anschlag misslang, wurde aber bald darauf von anderen Agenten mit Erfolg zu einem Ende geführt. Modotti und Vidali blieben liiert, bis sie am 5. Januar 1942 in einem Taxi auf dem Nachhauseweg starb. Die festgestellte Todesursache der 45jährigen war ein Herzanfall. Bald machte das Gerücht die Runde, Genosse Vidali – er sich weigerte, die Leiche zu identifizieren, und er vermied es, auf ihrer Beerdigung zu erscheinen – habe Hand angelegt. Ich weiß nicht, ob es so war. Und: Warum sollte er das tun?
Vier
In den sozialistischen Ländern gehörte Modotti bald zu den Ikonen. Vor allem Frauen, man versteht das, berauschten sich an dieser Frau, die so wunderbar in ein scheinbar selbstbestimmtes Sozialistinnen-Leben zu passen schien und deren früher mysteriöser Tod gut ins Legenden-Stricken passte. Nach dem Ende des realen Sozialismus sowjetischer Bauart, ging das Erbe an die West-Linken über. In deren Händen ist Modotti heute noch.
Schnell noch ein Blick auf die Autorin des beinahe in den Ramsch geratenen Buches.
Davon ist in ihrem Modotti-Buch selbstverständlich keine Rede. Dafür aber, dass sie zu Recherche-Zwecken jahrelang in der westlichen Welt umherreiste, was bekanntlich sonst kaum ein DDR-Bürger vermochte. Das ging nach meiner Auffassung mit Sicherheit nur mit dem Segen ihres ehemaligen geheimdienstlichen Zweitarbeitgebers. Ob diese Genehmigung mit einem neuerlichen Auftrag verbunden war, vermag ich nicht zu sagen. Jedenfalls haben die Akten des MfS, soweit wir sie kennen, hierüber nichts vermerkt.