Ulrich Siebgeber - ©LG
Ulrich Siebgeber
Vergessen hilft. Aber nicht wirklich.
 

 

Siebgebers Kolumne entstand in den späten Jahren der Merkel-Herrschaft, die geprägt wurden durch ein Klima des politischen Konformismus und der Zuspitzung gesellschaftlicher Differenzen nach dem Motto Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich und muss aus der öffentlichen Debatte entfernt, zumindest unsanft an den Rand gedrängt werden. Gleichzeitig wurden politische Entscheidungen getroffen, deren Brisanz für jeden Einsichtigen offenlag und deren verheerende Auswirkungen das Land gegenwärtig nach und nach zu spüren beginnt.
Siebgebers Aufzeichnungen enden am 8. Mai 2020. Zusammengefasst und nach Themen geordnet lassen sie sich nachlesen in dem Buch Macht ohne Souverän. Die Demontage des Bürgers im Gesinnungsstaat, das 2019 erschien und nebenher das Pseudonym, besser, die literarische Maske des Autors aufdeckte. Im Land der Masken wirkt dergleichen Mummenschanz ohnehin wie aus der Zeit gefallen. Was nicht gegen ihn sprechen sollte.
Ulrich Schödlbauer

von Ulrich Siebgeber

Hat er das gesagt? – Ja sicher hat er es gesagt. – Aber doch im Spaß? – Wieso das denn?

Hatte ich Spaß? Ich weiß nicht… Aber ich war schließlich auch nicht dabei, als die CDU in Hamburg zusammenkam, um viel Spaß zu haben und dabei letztendlich diese Sache mit dem Parteivorsitz neu zu regeln. Was ihr en passant gelungen ist – das bleibt anzuerkennen. Auch wenn alle Spaß gehabt haben sollten: Es war, von außen betrachtet, kein Zuckerschlecken. Die Medien hatten die Merz-Frage gestellt und die Einhorn-Partei entschied sich für Dezember. Im neuen Jahr mag das wieder anders aussehen. Aber dem alten kam es zupass. Wie hätte ich, als Ein-Mann-Partei, mich entschieden? Das ist nicht so einfach. Zum Glück bin ich in dieser Sache nicht Partei und darf daher raten. Als CDU-Delegierter hätte ich mir gesagt: du weißt zu wenig über diesen Merz. Der Mann will über kurz oder lang Kanzler werden, das ist klar. Aber was will er? Die AfD kleinkriegen? Nun, genau das muss er, wenn er Kanzler werden will. Das hätten wir also gemeinsam. Eine Merkel macht das mit links, die braucht das nicht. Ah, sie steht nicht mehr zur Wahl? Das verändert die Sachlage. Warum hab’ ich nicht gleich daran gedacht. »AKK« sagt meine Nachbarin, ihre Stimme erwärmt sich dabei, bei drei Silben ein wahres Wunder. Vielleicht auch nur ein halbes, denn wer AKK sagt, sagt Merkel und legt damit noch zwei drauf. Unter AKK verwandelt die AfD sich in eine Wollmaus, bei Gelegenheit wegzusaugen, man muss nur sehen, wohin der Trend sie treibt. Bei Merz klingt alles so scharf, als hörte man irgendwo schon die Messer wetzen. Das muss nicht sein. Jedenfalls sollte es sich nicht so anhören. Der Mann will schließlich die konservative Wertebasis der Partei stärken. Heißt das, er vertritt Prinzipien? Wenn ja, welche? Unsere? Nun gut, das kann er sich schenken. Nichts für ungut, aber meine Werte teile ich nicht. Ich wüsste nicht wie. Gehört er zum rechten Flügel oder will er ihn, horribile dictu, einbinden? In was? Wie weit? Wissen tät’ man’s schon gern, sonst wird daraus nix. Vielleicht will er ja nur den Langsamen draußen im Lande schmeicheln, damit sie auch schnell noch mit von der Partie sind. Wenn er da mal nicht ins Fettnäpchen tritt. Alle sind jetzt konservativ, ist das normal? Merkel konserviert ihre Kanzlerschaft, Spahn seine Ansprüche, Merz sich selbst, er hat sich einkonserviert, so dass man nicht mehr unterscheiden kann, wo das Blech aufhört und die Substanz beginnt, AKK –… Wenn man mich fragt, so gibt’s den grünen Konservatismus, den roten und den violetten. Beim grünen heißt es Windräder oder Dreschflegel, beim roten AWO oder Nord Stream 2, beim violetten Abendland oder Kirchentag. Bei den echten Patrioten hört alles auf, das sind gefährliche Spinner, die wollen uns weg haben, so weit geht auch kein Merz. Wie weit geht er dann? Weggehen, das kann er, das hat er geübt, das sitzt. Apropos: er sieht nicht aus, als hätte er die Quote erfunden. Winkt da ein klitzekleines Problem? Eine Quote für Aufsichtsräte, das ließe sich vielleicht arrangieren. Stichwort EU: Will er Reformen? Ja und nein? Das klingt schlecht, das klingt ganz schlecht. Ein verkappter EU-Gegner, der unsere Errungenschaften in Frage stellt? Am Ende den Euro? Das klingt alles so – überlegen, aber ist es auch überlegt? Und wenn es das ist: Wer hat sich das alles überlegt? War er das selbst? Und wenn ja: Ist das erlaubt? Wahrscheinlich ist er bloß Globalisierer: freier Fluss für Kapital, Waren und Arbeit, aber es soll keiner merken außer denen, die’s merken sollen. Ich hätte ja gern gewusst, was so einer als Kanzler anstellt, aber merken soll auch das keiner. Dafür haben wir den zweiten Wahlgang. Ich persönlich könnte auch einen dritten gut finden, einen ganz persönlichen, da würde ich mit dem Kandidaten vorher in Klausur gehen und alles aus ihm herauspressen. Was zum Beispiel heißt europäische Arbeitsmarktpolitik? Will er deutsche Arbeitsplätze nach Griechenland transferieren? Oder nach Italien? Wie weit will er die Transferunion treiben? Und wie hält er’s mit der Einwanderung? Sie soll nicht grenzenlos sein, das sagen inzwischen fast alle. Wo liegen seine Grenzen? Wie immer man es dreht: Er redet von Werten und keiner weiß so recht, welche er meint. Er deutet an und er hält sich raus. So weckt man Erwartungen. Nur welche?

Aber vielleicht hätte ich, wäre ich CDU-Delegierter gewesen, das alles nicht so genau wissen wollen, weil jede Antwort mich gezwungen hätte, mir selbst eine auszudenken. Dann hätte ich mir gesagt: Schneidig wirkt er, der Herr Kandidat, er hat einen scharfen Verstand oder wenigstens stellt er ihn aus, er wirbt um die Braut, indem er mit höheren Prämien winkt, er ist ein Prämienverkäufer, der einen Kämpfer markiert, ein Antipopulist, der gern populär wäre, aber immer ein bisschen so wirkt, als spräche er auf einer Aktionärsversammlung. Das wirkt nicht gut, hätte ich mir gesagt, es kommt nicht wirklich an. Nein, es kommt nicht wirklich an. Man kann nicht einer Partei, die seit 13 Jahren am Drücker ist, ins Gesicht sagen, sie reite den falschen Gaul – jedenfalls nicht gerade in dem Moment, in dem man sich ihrer Gefolgschaft versichern will. Es wäre mir lieb, wenn er sich jetzt in die Parteiarbeit kniete, um kenntlich zu werden. Er sollte sich hinsetzen und weitermachen. Vielleicht überzeugt er dann ja.

Doch vielleicht hätte ich, als kleiner Parteitagsdelegierter, mir nichts dergleichen gesagt und gedacht: Es ist ja immer gut gegangen, mit dieser AKK geht die Welt nicht unter, regieren wir weiter, solange es halt geht. Dann hätte ich mich umgedreht, ein schlaues Gesicht aufgesetzt und gesagt: Freunde, das war jetzt schon ein historischer Moment. Und wir waren alle dabei. Helau.

 

 

Kolumnen

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