Ulrich Siebgeber - ©LG
Ulrich Siebgeber
Vergessen hilft. Aber nicht wirklich.
 

 

Siebgebers Kolumne entstand in den späten Jahren der Merkel-Herrschaft, die geprägt wurden durch ein Klima des politischen Konformismus und der Zuspitzung gesellschaftlicher Differenzen nach dem Motto Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich und muss aus der öffentlichen Debatte entfernt, zumindest unsanft an den Rand gedrängt werden. Gleichzeitig wurden politische Entscheidungen getroffen, deren Brisanz für jeden Einsichtigen offenlag und deren verheerende Auswirkungen das Land gegenwärtig nach und nach zu spüren beginnt.
Siebgebers Aufzeichnungen enden am 8. Mai 2020. Zusammengefasst und nach Themen geordnet lassen sie sich nachlesen in dem Buch Macht ohne Souverän. Die Demontage des Bürgers im Gesinnungsstaat, das 2019 erschien und nebenher das Pseudonym, besser, die literarische Maske des Autors aufdeckte. Im Land der Masken wirkt dergleichen Mummenschanz ohnehin wie aus der Zeit gefallen. Was nicht gegen ihn sprechen sollte.
Ulrich Schödlbauer

Von Didier Descouens - Eigenes Werk, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=65123316

von Ulrich Siebgeber

1.

Die Waberlohe, mein Freund, ist ein kleiner Ort links neben der Bühne, dort brennen die Lichter, wenn die Bühne erst einmal im Dunkeln liegt, und die Funken sprühen. In der Waberlohe ist nichts zu holen, sie wabert munter vor sich hin, eine überholte Mutprobe. Wer sie durchschreitet, bekommt ein Eis und einen Klaps auf den Po: Kind, werde erwachsen, dann wirst du sehen, es war ein Kinderspiel. Manche Kinder werden niemals erwachsen, für sie ist das Spiel niemals aus, es ist kein Spiel, sondern der Ernst des Lebens, dort, wo es erregend zugeht. Die Meinungsfreiheit, ein verbrieftes Recht, wird erst da richtig spannend, wo es ans Tabu geht.

Eine Öffentlichkeit, die keine Tabus kennt, weil sie sie nicht zu benennen wagt, kennt praktisch kein anderes Thema. Sie ist ebenso tabubesessen wie tabuversessen, um das Wort eines früheren Bundespräsidenten abzuwandeln, sie redet zwanghaft in einem fort von dem, was sie fortreden möchte, vor allem natürlich von der Masseneinwanderung, dieses nun wirklich langweilige Thema dieser nun wirklich langweiligen AfD und dieser noch langweiliger zu werden versprechenden Aufsteherei links von der linken Mitte, von der man nun wirklich fast gar nichts weiß außer dem Link auf die – ach, auf die nun wirklich nicht.

Noch ›langweiliger‹ scheint nur die neue Rechte dort, wo sie in Theorie macht, so wie Herr Žižek, der pfiffige Herr Žižek, sie auf der hegelisierenden Linken zu machen pflegt: in Theorie machen, so sagt man doch, oder heißt es schlicht: Theorie machen, ganz wie einer den Führerschein macht oder einen Haufen, um den andere dann herumfahren müssen, weil er die freie Sicht auf die vor uns liegenden Dinge behindert, jedenfalls aus der Nahperspektive? Als rechten Theoriemacher par excellence hat sich die Öffentlichkeit hierzulande, quasi als Mini-Bannon aus der mitteldeutschen Provinz, Götz Kubitschek auserkoren, dessen Name und Hand als Bann auf weiten Teilen Sachsen-Anhalts liegt und sie für zarte Gemüter praktisch unbewohnbar erscheinen lässt.

2.

Seit es in Deutschland wieder Intellektuellen-Biographien gibt, für die sich außer dem Verfassungsschutz und der Buchmessen aufmischenden Antifa auch die Landesanstalten der ARD interessieren, obwohl oder weil sie sich, unter uns, wie die Bedienungsanleitung für die neue Bratpfanne lesen (»Ja! Wird schon heiß werden!«), verbindet eine mediale Schnellstraße den unbedeutenden Ort Schnellroda mit den Redaktionsstuben der Republik. Denn dort, in Schnellroda, brodelt der Think Tank der Neuen Rechten, man kann nicht sagen, vor sich hin, denn das wäre eine Richtungsangabe und nicht verträglich mit der unbefangenen Wahrnehmung, dass sich praktisch nicht unterscheiden lässt, was in diesen Regionen vorn oder hinten ist, geschweige denn rechts oder links. Sagen wir also: er brodelt.

Wer zu den approbierten Meinungsträgern des Landes zählt und freiwillig solche Orte aufsucht, muss, wie der gehörnte Siegfried, über eine Haut verfügen, die nichts juckt, oder eine Unbedenklichkeitsplakette bei sich tragen, wie sie zum Beispiel der MDR Sachsen-Anhalt oder die ZEIT offenbar an ihre Mitarbeiter austeilen, sobald sie ausschwärmen, um ihre Arbeit zu tun (oder zu lassen). Gejuckt haben muss es, wenngleich aus anderen Gründen, den Berliner Philosophen Steffen Dietzsch, Jahrgang 1945, als er im September 2017 im Rahmen der Sommerakademie des Instituts für Staatspolitik (IfS) einen Vortrag über »Klassiker der Parteienkritik« hielt. Jedenfalls ziert seither ein Eintrag die Wikipedia-Seite des Vielvortragenden, dessen Auftrittsorte gewöhnlich nicht im rechten Spektrum zu liegen pflegen. »Im September 2017«, heißt es da, »trat Dietzsch bei einer Veranstaltung des neurechten Instituts für Staatspolitik um Götz Kubitschek in Schnellroda auf. Auf der Veranstaltung waren auch mehrere Rechtsextremisten wie Thor von Waldstein und Aktivisten der vom Verfassungsschutz beobachteten Identitären Bewegung zugegen.«

Gewiss wäre man erstaunter, Herrn Žižek auf der Rednerliste des Instituts zu finden, als den NPDler Waldstein oder nicht namentlich genannte ›Aktivisten‹ der Identitären Bewegung. Žižek, immerhin, schafft es, die Themenliste der Rechten abzufahren und kurz vor dem Ziel so heftig links zu blinken, dass die Vorteilswahrer des Kapitalismus vor Entzücken in ihre hübschen gegenderten Händchen klatschen. Währenddessen redet der ehemalige Leiter des Bereichs Philosophische Editionen an der Ostberliner Akademie der Wissenschaften Dietzsch, randvoll mit Wissen über die theoretischen und praktischen Abgründe des kommunistischen Projekts, in der Regel im kleinen Philosophenkreis über den Theoriezirkus der Moderne und seine praktischen Implikationen.

Žižek, das weiß man, ist ein bunter Hund, Dietzsch hingegen seit jenem Tag im September ein Angeschmierter. Folgt man dem Wikipedia-Link, so gerät man an eine mehrfach nachredigierte Seite des bereits erwähnten MDR Sachsen-Anhalt (https://www.mdr.de/sachsen-anhalt/identitare-treffen-schnellroda-100.html), auf der es lapidar heißt: »Vierzig Rechtsextreme stehen vor dem Gasthof ›zum Schäfchen‹ in Schnellroda. Bei ihnen sind zwanzig Einwohner, sie stehen an Tischen, trinken Bier, pöbeln und grinsen... Das IfS gibt sich gern als intellektuelle Instanz der Neuen Rechten. Es versammelt Politiker und Wissenschaftler, die der Bundesrepublik den Rücken gekehrt haben.«

Oha, denkt sich so mancher brave Staatsbedienstete, da also liegt der Hund begraben. »Die Teilnehmer und Referenten der Sommer-Akademie haben die Kennzeichen ihrer Autos abgeklebt – niemand soll wissen, wer alles angereist ist. Vor dem Gasthof steht im beigen Trenchcoat der 74-jährige Professor Steffen Dietzsch. Er lehrte Philosophie an der Humboldt-Universität Berlin.« Vom Trenchcoat überführt! Nicht ganz vielleicht, denn auf dem beigefügten Foto ist kein Herr im beigen Trenchcoat zu erkennen, ebenso wenig der inkriminierte Herr Professor aus dem fernen Berlin. Aber sei’s drum. Irgendwo steht irgendwer herum, irgendwer trinkt Bier, irgendwer pöbelt, irgendwer demonstriert gegen irgendwas und irgendwer läuft dazwischen herum und berichtet direkt für den MDR. Wahnsinn!

3.

Biographien werden gemacht. Das ist keine neue Information, aber ein Aspekt, den man nicht außer Acht lassen sollte, vor allem, wenn es sich um Leute handelt, die selten ihren Schreibtisch verlassen und auch dann meist nur, um den letzten von ihnen verfassten Text vor kleinem Publikum zu verlesen und anschließend mit ein paar Leuten zu diskutieren. Wie zum Beispiel die Wikipedia dieses Problem schultert, darüber verrät ein wenig die ›Diskussion‹ zu dem erwähntem Eintrag. Dort liest man:

»Die letzten beiden Sätze sind ohne Kontext, entbehren der Neutralität, wirken markierend bis diffamierend und beruhen auf einem unzuverlässigen Beleg. Da ich die Änderung trotz mehrfacher Versuche nicht selbst durchführen kann, mögen das bitte andere tun. Entfernt werden sollten folgende Sätze: ›Im September 2017 trat Dietzsch bei einer Veranstaltung des neurechten Instituts für Staatspolitik um Götz Kubitschek in Schnellroda auf. Auf der Veranstaltung waren auch mehrere Rechtsextremisten wie Thor von Waldstein und Aktivisten der vom Verfassungsschutz beobachteten Identitären Bewegung zugegen.‹ 1. Was soll das? Was hat das mit dem Rest des Artikels zu tun? 2. Welche Information ist hier enthalten? Soll jemand markiert oder in eine bestimmte Ecke gestellt werden? Der Eindruck könnte nur vermieden werden, wenn auch alle anderen belegbaren Auftritte (und wer dort alles anwesend war) aufgeführt werden. 3. Beleg ist unzuverlässig. a) mussten von der betreffenden Redaktion bereits Änderungen vorgenommen werden (s. Anmerkungen), zum anderen wurde b) bereits dementiert, dass es sich bei der im Beleg beschriebenen Person, um Steffen Dietzsch handeln kann. a)http://www.mdr.de/sachsen-anhalt/identitare-treffen-schnellroda-100.html b)https://www.globkult.de/gesellschaft/bannkreis/1226-bannkreis-63

Der Verweis, der als b hier gelistet wird, führt zu einem Text, in dem (augenscheinlich) Dietzsch (selbst) schreibt, dass er zu einem Vortrag am IfS gewesen sei. Das behauptete Dementi ist nicht erkennbar.--KaiDenker (Diskussion) 22:24, 31. Jan. 2018 (CET)

Genau lesen hilft. Oben wurde die Neutralität eines Teils des Artikels bezweifelt. Es wurde nicht behauptet, dass Dietzsch nicht anwesend war, sondern dass er in Text b dementiert hat, die Person (›im braunen Mantel‹) zu sein, die im Text a (MDR) beschrieben wird. Jeder Mensch kann daraus schließen, dass im fraglichen MDR-Text extrem schlampig und tendenziös gearbeitet wurde. Insofern sollte es doch mindestens fraglich sein, ob dieser Artikel als Nachweis dienen sollte.

Genau lesen hilft: das ist ganz offensichtlich ein weniger bedeutender Teil der Diskussion. Zur Frage, ob der Zusatz angemessen ist, trägt das wenig bei. Sollten WP-Artikel der Markierung von Personen dienen, die ›mit Rechten reden‹? Das würde Methoden eines ›Verfassungsschutzes‹ gleichen. Fraglich, ob das auf der WP-Agenda steht. (nicht signierter Beitrag von 77.14.84.230 (Diskussion) 16:41, 14. Mai 2018 (CEST))«

Viel Text um wenig Text, möchte man meinen. Andererseits macht das Wort ›Dementi‹ hellhörig: Der Online-Duden umschreibt seine Bedeutung mit »offizielle Berichtigung, Widerruf einer Nachricht oder Behauptung«. Nun hat sich weder der Philosoph noch ein von ihm mit dieser Mission Beauftragter auf den Wikipedia-Seiten blicken lassen. Wohl aber ist der Versuch eines um die Neutralität des Wikipedia-Eintrags Besorgten gescheitert, den Artikel nach dem Motto: Entweder alle Auftritte oder keinen zu redigieren. Wie es aussieht, ist er gleich zweimal gescheitert, denn auf den letzten Diskussions-Passus erfolgte ganz offenkundig – nichts. Für die Wikipedia-Beauftragten jedenfalls scheint Neutralität ein Fremdwort zu sein.

4.

»Na und? Dann war er halt bei den Rechten. Was ist dabei?« Wer so redet, versteht wenig vom Reputationswesen dieser Republik. Für einen Professor der Philosophie, emeritiert oder nicht, ohne entsprechende politische Neigungen ist ein Eintrag wie dieser so etwas wie ein Schufa-Eintrag für einen kredithungrigen Familienvater. Wie wenig harmlos das alles gemeint ist, erfährt man, wenn man den ursprünglichen MDR-Artikel unter dem irreführenden Titel #Schnellroda – Sommercamp der Identitären Bewegung wortgetreu auf den Seiten des DOKMZ (»fascism is not an opinion - fascism is a crime«) wiederfindet (https://www.dokmz.com/2017/09/17/schnellroda-sommercamp-der-identitaren-bewegung/) – sinnigerweise unter dem Motto: »fight hate«. ›Erwischt‹ wurde Dietzsch in Schnellroda von einer Antifa-Kamera (https://hosenrunter.noblogs.org/schnellroda/sommerakademie-2017-sr1609/). Auf dieser Aufnahme trägt er ersichtlich ein graues Sakko statt jenes ominösen Trenchcoats, den sich der MDR-Mitarbeiter zusammenfabulierte. Denunzieren durch Gruppieren: so etwa könnte man das Verfahren nennen, das sich in all diesen Artikeln beobachten lässt. Ganz offensichtlich lassen sich deren Netzvorhalter durch die inzwischen empfindlich verschärfte Netzgesetzgebung nicht im Geringsten beirren.

Ist Denken ansteckend? Was bewirkt räumliche Nähe, was ein flüchtiger Händedruck zwischen Menschen, die für eine Stunde oder zwei dasselbe Podium teilen? Sind sie Verschwörer, denen öffentliche Ankläger mit ciceronianischem Eifer nachzustellen haben? Cicero, immerhin, besaß ein Mandat. Ist es verboten, der Einladung zu einer rechtlich unbedenklichen Veranstaltung Folge zu leisten, sofern man etwas zu sagen hat? Gibt es eine Moral, die es Philosophen verbietet, das Ergebnis ihres Nachdenkens Menschen mitzuteilen, die möglicherweise anderer Auffassung sind oder von der Materie nichts verstehen? Existiert, außer in totalitären Winkeln des Universums, ein Imperativ, der es verbietet, vernünftige Gedanken zu äußern, weil sie von den falschen Ohren gehört werden könnten? Nirgends auf den besagten Seiten wird der Leser über den Inhalt von Dietzschs Schnellrodaer Vortrag, also den einzigen Gegenstand von – möglicherweise – öffentlichem Interesse, auch nur andeutungsweise informiert. Bestand der Skandal darin, dass es an ihm nichts zu skandalisieren gab? Bestand der Skandal darin, dass es keinen Skandal gab? Besteht der Skandal darin, diejenigen einzuschüchtern, denen sich ohnehin kaum jemals ein öffentliches Statement zur Lage des Landes entringt? Heißt das Spiel, das hier gespielt wird, vielleicht ›Menschen-Scheuchen‹?

5.

Vom agilen Herrn Žižek stammt der bedenkenswerte Satz: »Denken heißt über das Pathos der allgemeinen Solidarität hinauszugehen« – ein wenig unfreundlicher könnte man sagen: Wer in seinem Denken schmutzige Orte einrichtet, denkt schmutzig. Nicht zweimal bitten ließ sich ein Fachfreund von der Fernuniversität Hagen, der umgehend einen institutionellen Feldzug gegen den ehemaligen Kollegen begann. Nein, nicht ohne Erfolg. Auch darüber wäre zu reden. Die Scientific Community erweist sich in solchen Lagen weder als besonders Scientific noch als Community. Der ›Kampf gegen Rechts‹ treibt unter Menschen, die zwar über, doch nicht in der Öffentlichkeit zu handeln gewöhnt sind, seltsame Blüten. Wer aber schmutzig denkt, der wird über kurz oder lang seine Mitmenschen mit Schmutz übergießen. Dabei sollte man eine Eigenschaft des Schmutzes nicht übersehen: Er denunziert seine Quelle.

Steffen Dietzsch selbst hat sich zu der Angelegenheit auf Globkult wie folgt geäußert: »...darf man aus ganz privaten Erwägungen heraus – als Bürger – überhaupt Einladungen dieser Observanz annehmen? Darf man das aus allein lehr- und meinungsfreiheitlichen Gründen abwägen, oder muss man politisch-moralische Meinungslagen anderer ins Kalkül ziehen?
Wenn ich mich (warum eigentlich?) erklären müsste, dann könnte ich versichern, dass sich meine öffentlichen Lehr- und Meinungsäußerungen auch künftig aller parteipolitik-bewegter Zuneigungen enthalten werden. Ich scheue natürlich keine Diskussionen mit anderen (auch ›rechten‹) Meinungen, trete auch künftig, wenn ich, wie diesmal, eingeladen werde, in solchen Seminaren und Lehrveranstaltungen auf… Eins aber mache ich nie wieder (das habe ich unter Druck bis 1989 gelernt): nie wieder richte ich mein Denken nach dem Imperativ: ›Das-musst-Du-politisch-sehen‹.«

Genügt das? Nein, ich denke nicht. Wer die rechtlich-demokratische Substanz des Landes zerstört (und jeder Angriff auf die Freiheit der akademischen Lehre, der Meinungsäußerung, privat oder öffentlich, auf die Freiheit des öffentlichen Auftretens und Redens-mit-und-zu-wem-es-mir-passt, ist ein Angriff auf ebendiese Substanz), der verdient es, in öffentlicher Rede gestellt und beredet zu werden. Das kann nicht bedeuten, dass jeder Pinscher namentlich an den Pranger gehört. Aber es bedeutet, dem Pinschertum eine Lektion zu erteilen: Wer anderen eine Grube gräbt, sollte zumindest in Erwägung ziehen, sich eines nahen oder fernen Tages selbst in ihr wiederzufinden.

6.

Wie die Dinge nun einmal stehen, hat der Ruf, ein ›Rechter‹ zu sein, in der öffentlichen Kultur dieses Landes etwas zutiefst Bedrohliches. Rechte mögen das anders sehen, sie sind Bekenner, die um das Heikle ihres Unterfangens wissen, soweit sie nicht einfach mit jenen identisch sind, denen, aus gutem historischem Grund, der kollektive Abscheu ohnehin gewiss ist. Wer, ausgerüstet mit nichts als Scheingründen, jemanden entgegen seiner Selbstbeschreibung einen ›Rechten‹ nennt – mit jenem »Oho« in der Stimme, das schon Bescheid weiß –, einen ›Rechtsradikalen‹, ›rechten Fundamentalisten‹ oder ›Rechtsaußen‹ – oder, mit trügerischen journalistischen Mitteln, den entsprechenden ›Zusammenhang‹ herstellt, der tut dies, gleichgültig, wie Gerichte sich dazu äußern mögen, in ehrabschneiderischer Absicht. Im akademischen oder allgemein: im Intellektuellendiskurs ist es gleichbedeutend mit dem Versuch, den sozialen Tod der betreffenden Person herbeizuführen.

Weniges ist schäbiger als dieses Fang-mich-doch-Nazi-Spiel, mit dem sich, unter dem Feixen der BILD-Leser, mittlerweile bereits die Links-von-der-Mitte-Fraktion über den Löffel balbiert. Angst essen Öffentlichkeit auf. Angst, Scheu, ›Schiss‹ – was braucht es mehr, um eine Kultur zu zerstören, die an der Wendemarke ›Diversität‹ ihre angestammten Inhalte über Bord wirft, um sich nicht nass zu machen? Mag sein, der ›Kapitalismus‹ zwingt ihre Exponenten dazu, um dem alerten Herrn Žižek noch einmal das Wort zu erteilen. Dann sind eben sie der Kapitalismus, der sich selbst kannibalisiert – kein schöner Anblick, und so unnütz: »Je mehr ich tue, was der andere von mir verlangt, desto schuldiger fühle ich mich« – spricht der Analytiker Žižek, der sich darin bestens auskennt. 

»Mit der Denkfreiheit als der Freiheit eines Einzelnen, sich-selbst-verantwortlichen Subjekts war nun nicht nur eine moralisch neue Norm gesetzt – was man jetzt neu dürfen darf –, sondern damit wurde sofort für einen Einzelnen, jenseits seiner (alten) Bindungen in Familie, Clan, Religion oder Zunft, eine neue Praxis selbstbestimmten Lebens begründet. Damit aber wurde damals schon der althergebrachte Rahmen in der Polis (als Gemeinschaft!) zerbrochen und eine andere, alle Gemeinschaft transzendierende, Polis begründet: die nennen wir – modern – mit einem neuen Namen: Gesellschaft.« So Dietzsch, der Kantianer, in dem Buch mit dem schönen Titel Denkfreiheit.

7.

Am Ende zählt, was einer sagt. Hat er es gesagt? Hat er es so gesagt? Und wenn er es so gesagt hat: Wie hat er’s gemeint? So? Oder anders?

Steffen Dietzsch: Das Versprechen der Repräsentanz

 

Abb.: Le Cauchemar by Eugène Thivier, Musée des Augustins de Toulouse. Von Didier Descouens - Eigenes Werk, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=65123316

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