Zynismus ist die Kunst, anderen die eigenen Hintergedanken zur Last zu legen. – Wer hat das gesagt? Ich hab’s vergessen. Hätten Sie’s gewusst? Nein? Vergessen. Wichtig ist nur: die Kunst. Welche Kunst? Wenn Design die Kunst der Verpackung ist, dann haben die Mediendesigner den Medienschreibern das Hirn aus den Köpfen gezogen und führen es, als eine Art umgedrehten Skalp, auf ihren Portfolio-Seiten spazieren. Was sollen sie schreiben, die – mehr oder weniger – guten Schreiber, wenn alles, was sie schreiben, vorab so gut verpackt daherkommt, dass man es nur über die Zahl der generierten Klicks zu identifizieren vermag? Am besten nichts – und das geht nicht.
Steve Bannon hat dieses Dilemma in seinem flugs berüchtigten Telefon-Interview mit der New York Times plastisch benannt: die Medien sollten, statt sich weiter als die Oppositionspartei im Lande zu verausgaben, erst einmal ihre historische (Wahl-)Niederlage verarbeiten und sich wieder im Zuhören üben, statt die Regierung schon im voraus niedermachen zu wollen. Was im Medienslang aus dieser leicht dechiffrierbaren Botschaft wurde, ist bekannt: Er habe sie aufgefordert den Mund zu halten, demnach nicht zu berichten und die Wahrheit zu unterdrücken – eine Ungeheuerlichkeit, an der sich definitiv der totalitäre Charakter des von ihm vertretenen Regimes offenbare.
Selbst die biedere Berliner Zeitung musste sich ob dieser geheimen Offenbarung schier überschlagen: »Breitbart News« ist ein unausgesetzter Angriff auf die Pressefreiheit, Bannons jüngste Attacke, die Presse solle »den Mund halten«, unmissverständlicher Ausdruck einer totalitären Gesinnung. Dagegen ist Widerstand nicht nur wünschenswert, sondern dringend geboten. Das Kampagnennetzwerk Avaaz sammelt Unterschriften – bisher rund 60.000 –, mit denen Google aufgefordert wird, keine Werbung mehr an »Breitbart« auszuliefern und so die wirtschaftliche Basis des Unternehmens zu vernichten. Das hat nichts mit Zensur zu tun, sondern mit der Verteidigung einer offenen und toleranten Gesellschaft, die nicht dabei zusehen darf, wie die Meinungsfreiheit im Namen der Meinungsfreiheit von deren Feinden vernichtet wird.
Am besten laufen solche Vernichtungskampagnen unter dem respektablen Titel ›einfach mal die Klappe polieren‹, es muss ja nicht der Kiefer sein, die ›wirtschaftliche Basis‹ wird’s schon richten. Das gefällt den Journalisten im Lande, weil es sie an die eigene wirtschaftliche Basis erinnert, die ganz von selbst dahinschwindet. Ihren verbalen Vernichtungskrieg, der keine Regeln, keinen Respekt und keine Versöhnung kennt, nur triumphalen Sieg und tödliche Niederlage, von dem die BZ unverdrossen im gleichen Artikel schwadroniert, hat auch der als neuer SPD-Vormann präsentierte Martin Schulz gleich zu spüren bekommen, noch bevor er Zeit hatte, seinen eigenen Führungsanspruch zu formulieren.
Nur der Höcke, dem hören sie zu –. Genau betrachtet stimmt auch das nicht, sie haben ihn einfach besser intus als jene transatlantischen Neutöner, vor denen man sich täglich fürchten muss. An Höcke fürchten sie nur eines, sich selbst, die innere Stimme, die durch die Angst vor dem Rausschmiss zum Schweigen gebracht wird und dort, wo es nicht auf Anhieb gelingt, überschrieen werden muss. Die Vorstellung, im Weißen Haus zu Washington sitze seit in paar Wochen ein überlebensgroßer Höcke, treibt ihnen die Schweißperlen auf die frisch rasierte – respektive geföhnte – Denkerstirn: Was wird er sagen, wo er doch nun das Sagen hat? Was wird er tun, wo er doch nun entscheiden muss: die Guten ins Töpfchen, die Bösen… hoppla! »Höcke«, murmeln sie, schon der Name klingt nach ›Hucke‹ und ›Höcker‹, nach Lastträgerei in unterirdischen Bergwerken und medizinischen Spätschäden, was soll, was kann man tun, wenn man zum Journalisten geboren ist und die Insolvenz zum dritten Mal klingelt? Was wird man tun? Der Höcke im Weißen Haus schreibt seine Tweets selbst, das weiß doch jeder, praktisch sitzt er mit in der Redaktion und ist mit dem Artikel schon fertig, bevor man die Sache mit der Klappe…
Was, wenn er doch Erfolg hat? erschreckt ein Autorenteam der Zeit seine Leser und erinnert an eines der gelungensten Bonmots über die Deutschen, das in der französischen Aufklärung kursierte: Sie tun sich zusammen, um ein Bonmot zu verstehen. Der Höcke im Weißen Haus ist ein Bonmot, noch dazu ein deutsches, sie fügen sich alles selbst zu wäre ein passendes aus der jüngeren Vergangenheit. Sie tun sich zusammen im Volk der Schlichter und Verrenker, um den Schwarzen Mann in doppelter Gestalt abzuwehren, nachdem sie sich lange mit der schwarzen Null zufrieden gaben. Aus der Schwarzen Null ist ein Überschuss geworden, da hat jeder noch einen Schuss frei.
Und diese Leute reden davon, Deutschland müsse eine Führungsrolle in der westlichen Welt übernehmen, es müsse unerschrocken Liberalität und Pluralismus gegen die Mächte der Finsternis behaupten – eine leere Behauptung mehr, aus Kopflosigkeit geboren und dahinwelkend wie ein abgeschnittener Krautkopf unter der Sonne. Gemessen an den Medien-Reaktionen auf Trumps Inaugurationsrede musste die Zahl der Presseleute, die Obamas Außen- und Sicherheitspolitik von der Heilsarmee inspiriert wähnten, Legion sein. Gemessen an den Medienreaktionen auf den Führungscoup der SPD muss die Zahl der Schreiber, denen der innere Höcke jede Aussicht auf eine Änderung der Berliner Politik vernagelt, die der aktiven Journalisten um ein Vielfaches übersteigen.
Gesinnung ist nicht so wichtig, Leute, wichtig ist, dass ihr zu euch kommt und den Butzemann bannt: Lernt es den Kindern nach! Singt! Oder lacht meinetwegen, das hält gesund und stellt ein inneres Gleichgewicht her. Das innere Gleichgewicht, die berühmte Balance, die so dreist vor dem Berliner Schloss ihr eigenes Denkmal bekommen soll, da geht sie hin und keiner ist da, der sie zurückholt.
Trump Strategist Stephen Bannon Says Media Should ‘Keep Its Mouth Shut’, New York Times v. 26. Januar 2017
Symbolfigur Donald Trump: Ein verbaler Vernichtungskrieg, der keine Regeln kennt, Berliner Zeitung v. 27.1.2017
Was, wenn er doch Erfolg hat? ZEIT ONLINE v. 26.1.2017