Ulrich Siebgeber - ©LG
Ulrich Siebgeber
Vergessen hilft. Aber nicht wirklich.
 

 

Siebgebers Kolumne entstand in den späten Jahren der Merkel-Herrschaft, die geprägt wurden durch ein Klima des politischen Konformismus und der Zuspitzung gesellschaftlicher Differenzen nach dem Motto Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich und muss aus der öffentlichen Debatte entfernt, zumindest unsanft an den Rand gedrängt werden. Gleichzeitig wurden politische Entscheidungen getroffen, deren Brisanz für jeden Einsichtigen offenlag und deren verheerende Auswirkungen das Land gegenwärtig nach und nach zu spüren beginnt.
Siebgebers Aufzeichnungen enden am 8. Mai 2020. Zusammengefasst und nach Themen geordnet lassen sie sich nachlesen in dem Buch Macht ohne Souverän. Die Demontage des Bürgers im Gesinnungsstaat, das 2019 erschien und nebenher das Pseudonym, besser, die literarische Maske des Autors aufdeckte. Im Land der Masken wirkt dergleichen Mummenschanz ohnehin wie aus der Zeit gefallen. Was nicht gegen ihn sprechen sollte.
Ulrich Schödlbauer

Ruckediguh, Blut ist im Schuh. Wieder ein Sommermärchen

»... und, meine Freunde, lasst es euch gesagt sein und sagt es weiter: Lasst euch nicht einreden, dass euch der Schuh drückt! Es ist ein guter Schuh, mit einer Sohle, die weiß, wo es lang geht, mit einem Absatz, auf dem man auf der Stelle kehrt machen kann, wenn einem danach der Sinn steht, mit einem Oberleder, fein wie Feigengrütze, auf dem spiegeln sich alle Wunder der Welt! Freilich auch alle Ungereimtheiten, über die müssen wir reden, auch in Brüssel, auch in Bochum und Gelsenkirchen, selbst in Straßburg, selbst in Frankfurt, wenn’s sein muss, bei den Kollegen in den Vorstandsetagen, das ist doch klar, das ist unser Ziel, das ist unser Auftrag, das ist unsere Zukunft.

Lasset uns also reden, jeder an seinem Arbeitsplatz, jeder in seiner Kantine, jeder am Tresen, lasst es uns immer und immer wieder sagen: Dieser Schuh ist gut! Wer da glaubt, dass dieser Schuh ihn drückt, dem wollen wir sagen, immer und immer wieder: Einen anderen Schuh gibt es nicht! Und wer diesen Schuh ausziehen will, dem sagen wir ins Gesicht: Nicht mit uns! Denn, liebe Freunde, lasst es uns immer und immer wiederholen: Einen anderen Schuh gibt es nicht! Und wenn die anderen es nicht mehr hören wollen, wenn ihr es selbst nicht mehr hören könnt, wenn ihr meint, es hänge euch zu den Ohren heraus: Sagt es wieder! Legt eine Schippe drauf! Einen anderen Schuh gibt es nicht!

Denen, die euch verführen wollen, barfuß in die Wälder zurückzukehren, denen rufen wir zu: Nicht mit uns! Wir kennen eure Sirenengesänge, wir kennen eure dumpfen Parolen, wir kennen euer Stammtischgewäsch, wir kennen es aus der schuhlosen Zeit, die nun, den Anstrengungen unserer Vorgänger sei es gedankt, hinter uns liegen. Es gibt kein Zurück! Dieser Schuh wird getragen, diesen Schuh werdet ihr ertragen, solange! solange! solange! ein Tropfen Proletenblut in unseren Adern kreist. Lasst euch nicht beirren. Erkennt die Feinde des Volkes! Ihr erkennt sie zuverlässig am Genörgel. Lasst nicht zu, dass sie euch den Schuh kaputtmachen! Was mit Genörgel beginnt, das mündet früher oder später in Hass, in Erbitterung, in gesellschaftlichen Zwiespalt und – Klassenkampf. O ja! Bekämpft die Spalter, bevor sie euch spalten. Wer aber behauptet, dass dieser Schuh drückt, von dem müssen wir uns trennen. Und deshalb: Seid wachsam! Seid wachsam und...

Da ermahnen uns die Genossen von jenseits der Siebzig: Vorsicht! Ihr habt die Zeit nicht erlebt. Ihnen rufen wir zu: Na und? Sollen wir vielleicht erst noch achtzig werden, damit wir das Sagen zu haben? Nein, liebe Seniorinnen und Senioren – die fangen beide mit S an: S&S, nee Kinder –: Heute sind wir hier, weil wir das Sagen haben! Seht euch um! Seht euch gründlich um, denn jetzt sind wir eure Zukunft. Und wir lassen uns diese Zukunft nicht kaputtmachen. Nicht durch euch und eure sogenannte Nachdenklichkeit kaputtmachen. Von Nachdenklichkeit ist die Welt nie besser geworden. Denkt vor! Denkt weiter! Und wer da kommt und sagt, wir wären eine Seniorenpartei, dem rufen wir zu: Na und? Ist das schlecht? Müssen nicht alle ins Heim? Besser früher als später! Besser jetzt als nie! Diese unsere – sagte ich ruhmreiche? – Partei hat ihre Reife bewiesen ... an die Adresse der Besserwisser sei es gesagt: unter härtesten Bedingungen bewiesen! Wer ihr hier und jetzt diese Reife vorwerfen zu müssen glaubt, dem antworten wir ruhigen Gewissens: Besser einmal als nie! Besser einmal und nie wieder als nie und nimmer.

Um auf den Schuh zurückzukommen: Ja, ja, ja. Wir wissen, dass dieser Schuh drückt. Glaubt nicht, wir wüssten nicht, wo euch dieser Schuh drückt. Wenn wir sagen, es gibt keinen anderen, dann, das müsst ihr uns glauben, wissen wir genau, wovon wir reden. Wir wissen es und die da wissen es nicht. Wir tragen die Last der Welt und die da glauben, sie könnten das auch. Wir haben verstanden und die da glauben, sie verstünden auch etwas davon. Nichts haben sie verstanden! Lasst euch nicht anstecken von ihrer Unwissenheit. Seid froh, wenn ihr nichts davon wisst. Schuh ist Zukunft, Unbeschuhtheit Barbarei. Wenn euch der Schuh drückt, behaltet es für euch. Euer Schuh ist unser Schuh. Wir werden diesen Schuh nicht mehr ausziehen, nicht bis ans Ende der Welt. Auch das müsst ihr uns glauben und vieles andere mehr. Irgendwann, das verspreche ich euch – und ich gebe euch dieses Versprechen nicht allein –, irgendwann wird euch nichts mehr drücken. Ja, ihr habt richtig gehört: Dafür stehen wir! Die Zeit der Gerechtigkeit, sie wird kommen, ganz von allein, auf leisen Sohlen meinethalben, aber sie wird kommen. Dafür stehen wir. Dafür kämpfen wir. Daher: Lasst uns den Druck aushalten! Lasst uns zusammenstehen! Lasst uns nicht stehen! Lasst uns...«