Man muss ein Volk schon mögen – auch in seinen närrischen Elementen –, um nicht von den Unter- und Zwischentönen der in seinem Magen und angrenzenden Organen geführten Reden irritiert oder sogar verstört zu werden. Die enge Kohabitation zwischen Volksverächtern und Volksvertretern führt gelegentlich zu Hassdelirien, welche die hier und da zu hörende Rede vom deutschen Selbsthass zwar verständlich, doch deshalb nicht wahrer werden lassen. Nein, sie hassen sich nicht, die guten Deutschen, sie hassen nur die Deutschen und fühlen sich selbst dabei irgendwie wahrer, auch hochherziger, als es die Sache zulässt. Der Unterschied mag klein wirken, aber er sollte deshalb nicht weniger beachtet werden. Im Grunde ist das einzig Beachtenswerte in all dieser Hasserei die doppelte Selbstverleugnung – hassenswert sind immer die anderen, wie tief man sich selbst auch ›schuldig‹ fühlt.
Fühlt man sich so? Erstaunlich wäre es angesichts der Gesichtslosigkeit jener verhassten anderen, denn selbstverständlich geht kaum einer so weit, den Nachbarn oder die Frau in der U-Bahn links für die Vergangenheit oder die Weltverhältnisse verantwortlich zu machen, das wäre ja pathologisch und überdies ungerecht, weil man gar nicht weiß, mit wem man es zu tun hat. Bleibt nur das ›Volk‹ – eine Konstruktion, wie man aus den Küchen der Kulturwissenschaft erfährt. Sie hassen also eine Konstruktion, die sich zweimal im Jahr auf Mallorca und an ähnlichen Orten des Unbehagens materialisiert. Viel Spaß, könnte man dazu sagen, besser als Flucht und Vertreibung trifft sich das allemal. Man trifft sich, man verachtet einander von Herzen und irgendwo zwitschert eine Stimme: Der Selbsthass macht uns stark. Wer da nicht betreten schweigt, der kennt das Fremdschämen nicht, er hat es nie geübt.
Jemand könnte auf den Gedanken verfallen, dass die Integration der neuen Deutschen durch diesen Mechanismus nicht unwesentlich zu erleichtern wäre, vorausgesetzt, es fände sich eine Ideologie, die den Hassprozess geschickt in die gewünschte Richtung zu steuern erlaubt. Einen großen Schritt in diese Richtung hat irgendwann der Grünen-Vorsitzende Özdemir (ihm zur Seite die nimmermüde taz) getan, als er das Kraftwort ›Biodeutsche‹ aus der Schmuddelecke des Rassenkampfs in die gepflegte bürgerliche Diskurskultur einspeiste. Und es ist doch wahr: Wer, wenn nicht die Grünen, könnte in dieser Sprache vom Starkwerden träumen? Wenn einer ist, was er isst, dann sollte der häufige Besuch von Bioläden umstandslos eine Terracotta-Armee von Biodeutschen in die Welt zaubern, vor der auch die stärksten Terrorgeschwader in den globalen Konfliktherden irgendwann freiwillig in die Knie gehen. Weit gefehlt! Wie die Sprache nun einmal spielt, schieben sich andere Deutungen nach vorn. Unmöglich, bei jenem Ausdruck nicht an bereits verbal durch urdeutsche Etikettierung hervorstechende Skinheads und Hooligans zu denken, die manchen Polizeieinsatz zur Sternstunde der Republik veredelten und weiter veredeln werden! Ein kleiner Programmfehler nur, aber ein möglicherweise entscheidender, der außer acht lässt, dass auf diesem assoziativen Umweg eine Bevölkerungsgruppe dingfest gemacht wird, die sich bis vor wenigen Jahren ohne Wenn und Aber als das Staatsvolk der Republik betrachtete und von auswärtigen Beobachtern noch immer dafür gehalten wird, mangels angemessener Identifikatoren jedoch (es sei denn, man nähme den Negativindikator ›ohne migrantischen Hintergrund‹ dafür, der aber aus historischen und sachlichen Gründen als ungenau und sogar irreführend ausscheidet) den Geist aufgegeben hat: ein Ausdruck, der wörtlich zu nehmen ist, da der oben zitierte Ungeist aus der Flasche nichts anderes als seine übriggebliebene Hohlform füllt.
Füllt er sie denn? Füllt er sie wirklich? Fragen ließe sich immerhin. Ein Staatsvolk: Wo kommt es her, wie fühlt es sich an, wozu braucht man dergleichen und, Frage aller Fragen: Wie wird man, nach dem komischen Beamtenwort, Angehöriger dieser Spezies? Fest steht: weder durch Bio-Quark, nach- wie breitgetreten, noch durch das Grölen verbotener Strophen. Wie dann? Wie denn dann?