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Das Einstein in der Kurfürstenstraße war das schönste und legendärste Caféhaus Wiener Prägung in Berlin. Man fand dort die tägliche Weltpresse ebenso wie Leute ›von Welt‹ (oder solche, die sich dafür halten): ›Monde‹ & ›Demi-Monde‹ reichlich, glücklich vereint. Dort auch sitzt der Flaneur, trifft sich mit Leuten, mit denen er beruflich zu tun hat, liest Zeitung, sieht schönen Frauen nach, unterhält sich über Ausstellungen, Theater etc. Die Kolumne des Berliner Philosophen Steffen Dietzsch, Bannkreis, versammelt – in loser Folge – die Resultate seines Flanierens: kleine Glossen, Artikel zur Sache. 

 

…neulich im Einstein

nach einem Vortrag von Jorge Semprun (zur Eröffnung der Ausstellung España en el corazón in der Berliner Ibero-amerikanischen Bibliothek) begriff ich spontan die Redewendung von der Wahrheit in der Niederlage. Nämlich, dass die tragische Wahrheit des Verlierers gerade nicht im Verlust der Wahrheit besteht.

Natürlich, zunächst ist niemand geneigt, Verlierern zuzuhören, es sei denn, er beherrscht die Feinmotorik seiner Mundwinkel wirklich! Das ist niemanden vorzuhalten, das gehört sozusagen zur anthropologischen Grundausstattung unserer Gattung.

Dass aber gerade Verlierer ein Leben in der Wahrheit führen können, das hat Semprun an einem Exempel aus der jüngeren spanischen Geschichte vorgeführt: am Kampf der spanischen Republik gegen den franquistischen Putsch vom Sommer 1936. Dies, so Semprun, war der historisch singuläre Fall im Zeitalter des Weltbürgerkriegs, dessen bis heute nachhaltig kurrente Geschichte nicht von den Siegern geschrieben wurde. Es waren und sind die Verlierer jener Bataille, von denen wir etwas über Gewalt & Vernunft, über Politik & Pathos, über Utopie & Untergang, über Bankiers & Parlamentarismus, über Witz & Widerstand und über Humanität im Angesicht ihrer Verhöhnung lernen können. Es waren ja auch die Nachdenklichen jener Epoche (von Antonio Machado über Stephen Spender, George Orwell, André Malraux, Maria Osten, Michail Kolzow, Hemingway, Aldous Huxley, Wyston H. Auden zu Octavio Paz, Max Aub, Ramón J. Sender, Rafael Alberti und César Vallejo, dem wir, wie Semprun sagte, eines der schönsten Gedichte spanischer Zunge verdanken), die allen Versuchungen, jenes Geschehen nach einem ›Opfer-Täter‹-Schema – dem dann politisch die dämonisierte Zweiteilung der historischen Welt folgt – verstehen zu wollen, widerstanden.

Insofern wäre die Erinnerung gerade an den Spanischen Bürgerkrieg geeignet, unser politisches Wissen erstens aus einer tendenziellen Verengung, die paradoxerweise von einer quotenfixierten medialen Öffentlichkeit verursacht ist, herauszubringen. Und sie wäre zweitens auch geeignet, festgefahrene Hierarchisierungen in der – politisch korrekten – Erinnerungsagenda aufzubrechen.

Steffen Dietzsch