… neulich vor dem Einstein
zeigte sich ein Freund befremdet von einem Radio-Morgenkolumnist, der uns schlicht nahelegte, den Autismus des heiligen Kindes Greta als Chance für die anstehende Heilung der Gesellschaft (weil die Gesellschaft jetzt selber pathogen sei) zu begreifen: Einige Probleme, mit denen ›Asperger‹ zurechtkommen müssten, sollten neue allgemeine Verhaltens- und Begegnungsformen werden; sie sollten eingeübt werden als Mittel zu unbestimmt – guten – Zwecken. Das beträfe u.a. deren (uns zunächst als egozentrisch wahrgenommene) soziale Interaktionen und Kommunikation; ihr schroffes, von wenig mitmenschlicher Empathie getragenes ›überreifes‹ Sonder-Selbstbewusstsein mache uns alle erst sensibel für die allmächtigen Probleme unserer Welt…
Der Asperger-Vorteil: Er zerstöre oder schwäche althergebrachte Vorbehalte von Sitte, Benehmen, Wissen und Verstehen, auch Pflicht und Recht in den künftigen Auseinandersetzungen, es mache unempfindlich für (unnütze) Fragen und (falsche) Entscheidungen Anderer, gegen deren Duldsamkeit und ›Toleranz‹ – egal, ob auch die Anderen unbestimmt als die Gesellschaft erscheinen. Attackiert deren Konventionen, da es doch um den Erhalt-der-Welt gehe. Und man hätte jetzt bei der Aufrüstung ›unseres‹ (links-grünen) polemisch-kritischen Vermögens mit der (ehemals bloß einzelnen) Thunbergschen Neurodiversität die Chance, sich gewissermaßen mit einem natürlichen Grund zu legitimieren (chemisch in Balance zu halten!). Und so würde man – wie jene ›Andersklugen‹ – auch immun werden gegen Spott, Sarkasmus, Ironie angesichts – aus der Sicht der Anderen – ziemlich sachfremder Warnungen, Überzeugungen oder Dekonstruktionen bisheriger allgemeiner Wirtschafts- oder Lebensart.
Zweierlei wäre bei der ›Übernahme‹ neurodiverser Symptome zu bedenken:
a. Diese (kulturalistische) Entpathologisierung einer anerkannten Krankheit würde sie instrumentalisierbar machen, und so wären die Würde und die Persönlichkeit derer verletzt, die sie als Schicksal zu tragen gezwungen sind, und
b. wäre die Hoffnung verfehlt, damit den allgemeinen inklusiven Imperativ (seit der Aufklärung) des Habe-Mut-dich-deines-Verstandes-zu-bedienen jetzt mit einem neuen, divers-empirisch (die versus wir) bestimmen How-dare-you unterlaufen oder substituieren zu können. Zu begreifen wäre: Selber denken ist keine Sonderbegabung! Auch kein aus-der-Art-fallendes Denken. Hier widerstreiten Selberdenken mit Einzeldenken oder, mit Molière:
Philinte: Ihr philosophischer Zorn glüht, dünkt mich, doch zu heiß. Verzeihn Sie, wenn dazu ich nur zu lächeln weiß.« (Le Misanthrope, I,1)