Ernst Eichengrün - Aufnahme: ©EE
Ernst Eichengrün
Notizen zur deutschen Politik

 

Ernst Eichengrün, geb. 1934, war 1967-69 Bundessekretär der Jusos, von 1972 bis 1991 Leiter der Abteilung Politische Bildung im Gesamtdeutschen Institut, von 1982 bis 1991 dessen Vizepräsident.

Das Sommerloch-Thema hat sich mittlerweile zu einem veritablen Schwerpunkt-Thema entwickelt – in den Medien, sowie in den sozialen und asozialen Netzen. Es geht jetzt um die grundlegende Frage, ob die Integration von Generationen von Migranten gelungen ist oder nicht. Einige »bio-deutsche« Reaktionen haben viele Mitbürger mit Migrations-Hintergrund aufgewühlt. Etliche dieser Reaktionen, insbesondere in den asozialen Netzen – haben in ihrer Niedertracht, Ihrer Fremdenfeindlichkeit und ihrem Rassismus kräftig zur Verunsicherung der Integrierten und der noch zu Integrierenden beigetragen. Die Saat, die die AfD so eifrig gesät hat, geht jetzt auf. Das Verhalten des DFB dürfte den Eindruck verstärkt haben, dass es auch für die Mitte der Gesellschaft nicht mehr selbstverständlich ist, Hass energisch zurückzuweisen.

Die Diskussion über Integration muss also jetzt geführt werden, auch wenn der Anlass eher geringfügig und keineswegs repräsentativ ist. Dabei rächt es sich, dass diese Diskussion so lange verdrängt worden ist – von der Politik und den Medien. Wer sich kritisch zu äußern wagte, wurde sogleich mit dem Vorwurf des Rassismus und des Nazismus mundtot gemacht. Eine Steilvorlage für Özil und seinen Paten, den Kalifen Erdogan – wie sich heute zeigt. Man kann noch so oft sagen, dass Kritik an einer Religion nichts mit Rassismus zu tun hat, das Totschlag-Argument bleibt am Leben.

Jetzt wird die Schuld am »Rassismus« gerne denjenigen gegeben, die vor etlichen Jahren damit anfingen, die Auswüchse des Islam und die Probleme der Integration beim Namen zu nennen. Doch vor Sarrazin gab es schon einige Ansätze dazu, aber sie fanden wenig Resonanz und wurden von Politik und Medien beharrlich ignoriert und hinwegrelativiert. Jetzt heißt es, erst Sarrazin habe den Rassismus zum Leben erweckt und vor allem, er habe damit die hiesigen Moslems vor den Kopf gestoßen. Das stimmt nicht ganz, denn es war die Debatte um Sarrazin, die das bewirkt hat, aber nicht Sarrazin selbst. Erst diese Debatte, die mit dem Vorwurf des Rassismus sämtliche kritische Ansätze zum Thema Islam zu tabuisieren versucht hatte, konnte die Moslems irritieren. Erst diese Debatte, gekrönt mit dem Vorwurf der Islamophobie, konnte selbst bei integrationswilligen Moslems den Eindruck erwecken, sie seien im Grund bei uns nicht willkommen.

Richtigen Rassismus finden wir heute aber vor allem bei Erdogan, wenn er die Kurden unterdrückt, aber auch, wenn er die ausgewanderten Türken vor Assimilation warnt, dabei aber Integration bejaht – eine Alibi-Forderung, die von seinem Bemühen, ebendiese Türken als Fünfte Kolonne einzuspannen, als scheinheilig entlarvt wird.
Rassismus finden wir auch bei jenen hiesigen Türken, die sich als Herrenrasse empfinden und die Deutschen verachten. Rassismus gibt es schließlich bei jenen neuen muslimischen Zuwanderern, die den gelernten Antisemitismus mitgebracht haben. Dass beides auch eine religiös untermauerte Rechtfertigung findet, macht die Sache nicht besser.

Jenen, die so leichtfertig den Vorwurf des Rassismus wie agitatorisches Kleingeld gegen jeglichen Versuch, die Zuwanderung zu steuern, benutzen, sollte allmählich klar sein, dass sie damit den wirklichen Rassismus aus dem Fokus rücken.

Zur gewachsenen Skepsis gegenüber dem Islam hat dieser in den vergangenen Jahren kräftig selbst beigetragen: Von nine-eleven bis zum IS, von der Selbst-Ghettoisierung vieler Türken und Araber bis zum provokanten Auftreten etlicher Sprecher mit dem demonstrativen Migrations-Vordergrund. Aktuell wurde die Skepsis gegen ein Zuviel an Zuwanderung schließlich durch den ungebremsten Zustrom von anderthalb Millionen Moslems. Dieser wurde von einigen »Wohlmeinenden« vorbehaltlos begrüßt und mit der ausgesprochenen Erwartung verbunden, er möge unser Land endlich grundlegend verändern und den »Neuen Deutschen« schaffen. All das musste die Skepsis Vieler wecken.

Bei Özils Rechtfertigung sind auch zwei Faktoren übersehen worden:
Wenn er sagt, er habe mit dem Treffen mit Erdogan nur den Repräsentanten der Türkei ehren wollen, so verkennt er, dass Erdogan eben nicht das Symbol der Einheit der Nation ist – anders als zur parteipolitischen Neutralität verpflichtete konstitutionelle Monarchen oder machtlose Präsidenten – sondern ein absoluter Herrscher mit einseitiger parteipolitischer Orientierung und absichtsvoller Spaltung der Gesellschaft. Wenn Özil das nicht erkennen sollte, dann ist das ein Defizit an politischer Bildung oder gar mangelndes Verständnis der Demokratie. Da fragt sich mancher, bei wie vielen Türkischstämmigen es sich ebenso verhalten könnte.
Und bei allem Respekt für Erdogan hätte Özil bewusst sein müssen, dass eben dieser Despot kurze Zeit vorher sich darin gefallen hatte, Deutschland mit Nazi-Vergleichen zu überziehen. Wo blieb da Özils Solidarität mit Deutschland?

Doch das Kernthema Integration bleibt auf der Tagesordnung. Es muss mit strenger Sachlichkeit und mit Einfühlungsvermögen angegangen werden. Einseitigkeit und Polarisierung haben da nichts verloren. Deshalb muss sich die Mitte der Gesellschaft dieses Themas annehmen, damit es nicht den Randgruppen überlasen bleibt. Denn bislang dominieren vor allem die Extreme: Einmal die, denen es gar nicht zu viel Migranten geben kann und die jeden Andersdenkenden verteufeln, und jene völkisch »Denkenden«, die jegliche Zuwanderung aus fremden Kulturkreisen ablehnen oder – so ein AfD-Vertreter kürzlich, meinen, dass Migranten überhaupt nicht voll integriert sein können. Beide Extreme fördern bewusst die Spaltung der Gesellschaft.

Diesen Tendenzen müssen wir rational entgegenwirken. Manche ihrer Anhänger erreichen wir mit Argumenten, manche Protestler mit sinnvoller Politik. Manche erreichen wir nicht wie etwa die Herren Höcke und Augstein. Aber wir sollten nicht - wie das Kaninchen auf die Schlange – nur auf die Extreme starren.

Vor allem die Menschen zwischen den Extremen zählen! Hier gilt es, zur rationalen, differenzierenden Sichtweise beizutragen. Gewiss: Es gibt eine Art der Differenzierung, die alles hinwegrelativiert. Doch schlimmer noch ist der Hang zu Pauschalurteilen, vor allem, wenn sie die Verallgemeinerungen des vorgefertigten Weltbilds verstärken. Wer über ein ausgeprägtes, rational erbautes Gesamtbild verfügt, in dem auch die Gewichtung stimmt, der wird nicht so rasch angesichts der täglichen Aufrege-Themen den Überblick oder gar den Verstand verlieren.